Was würde "Kässeli-Guscht" dazu sagen, dass die Raiffeisen-Verwaltungsräte im letzten Jahr um 44 Prozent höhere Vergütungen bekommen haben? Was hielte er davon, dass der wegen der Affäre Vincenz im März zurückgetretene Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm mit über einer halbe Million Franken auch mehr Lohn bezieht?

"Kässeli-Guscht", dies zur Erklärung, stand in den 70er Jahren der Raiffeisen-Filiale in Bichelsee im Kanton Thurgau vor. Zu deren Kunden gehörte auch Hausi Leutenegger. Der Promi und Unternehmer berichtete vergangenes Jahr im cash-Interview in nostalgischen Worten von seinem damaligen Bankverwalter.

Hausi Leutenegger ist immer noch Raiffeisen-Kunde und damit kein Einzelfall: Schweizerinnen und Schweizer sind konservativ, was ihre Bankgeschäfte betrifft: Man bleibt bei der gleichen Bank, auch wenn andere vielleicht tiefere Gebühren haben. Banking ist für viele immer noch eine Frage des Vertrauens. Doch Raiffeisen ist gerade dabei, einen wichtigen Teil davon zu verspielen.

Dass das Image von Gross- und Privatbanken wegen Millionensalären nachhaltig getrübt ist, ist eine Sache. Aber UBS, Credit Suisse oder Julius Bär sind als globale Konzerne nicht vergleichbar mit der Welt der Schweizer Regionalbanken. Die Raiffeisen-Gruppe, wie man sie heute nennt, behielt ihr solides, bescheidenes Image auch über die Finanzkrise von 2008 hinweg: Sie setzte nicht wie die Grossbanken in verglasten Wolkenkratzern mit goldenen Schriftzügen in New York Milliarden in den Sand. Aber wenn ein Pierin Vincenz in den Verdacht gerät, sich bei Deals persönlich bereichert zu haben, hat Raiffeisen nicht nur ein Imageproblem. Sie gerät auch in eine Vertrauenskrise. Daran würde auch ein Freispruch für Vincenz, der die Vorwürfe bestreitet, wohl nicht viel ändern.

Die massiv erhöhte Vergütung für den Raiffeisen-Verwaltungsrat wiegt fast noch schwerer als der Fall Vincenz. Die Entlöhung der Verwaltungsräte in einer Krisensituation um fast die Hälfte auf 2,4 Millionen Franken zu erhöhen, ist im besten Falle unverständlich und ungeschickt. Der Entscheid kann auch als zynisch wahrgenommen werden.

Vergütungen für Raiffeisen-Verwaltungsrat steigen kräftig an

Unpassend ist die Erklärung, die Raiffeisen am Morgen geliefert hat. Die Bank begründet die höheren Vergütungen mit dem Mehraufwand, den die Führung einer systemrelevanten Bank zu bewältigen habe. Schön und gut. Aber die Bewältigung einer ausufernden Regulierung ist der Job der Chefs. Ganz abgesehen davon könnte die Affäre Vincenz ja auch Wasser auf die Mühlen jener leiten, die noch mehr Regulierung wollen.

Auch wenn die Bankengruppe nun verspricht, die Entlöhungssysteme zu ändern: Man kann immer noch die Frage stellen, warum dies nicht schon früher oder konsequenter geschehen sei. Windschiefe Salärstrukturen und eigenartige Begründungen nähren Misstrauen und Spott gegenüber den Banken und deren Mitarbeitern. Auch wenn der "Kässeli-Guscht" im Zeitalter eines modernen, zusehends digitalisierten Bankings eine Figur aus der Verangenheit ist: Die Art von Vertrauen, das Kunden in solche Bankmitarbeiter hatten, ist heute so wertvoll wie damals. Daran sollte Raiffeisen denken.