Deshalb sollte eine lange geplante, aber immer wieder verschobene Videoschalte von Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Wirtschaftsverbänden und Topmanagern - darunter die Chefs von BASF und der Deutschen Bank - am 21. September einen Austausch ermöglichen.

90 Minuten diskutierten die Firmenvertreter nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters aus Teilnehmerkreisen mit dem Grünen-Politiker über den künftigen Umgang mit der kommenden, schwierigen Supermacht China.

Die Mission: Habeck zu erklären, dass die deutsche Wirtschaft nicht so blauäugig im China-Geschäft agiert wie ihr unterstellt wird. Und den Minister dazu bewegen, die Zügel bei den aussenwirtschaftlichen Instrumenten wie Export- und Investitionsgarantien nicht zu stark anzuziehen - vor allem nicht in der nahenden Rezession.

Habeck, der einräumte, noch nie in China gewesen zu sein, habe zwar keine Zusagen gemacht, sagten Teilnehmer. Aber er habe einen Dialog versprochen. "Er hat eine sehr steile Lernkurve, ist sehr offen", sagte einer der Manager. "Das Problem: Er fängt bei China ganz unten an der Kurve an." Ein im Ministerium angedachtes Screening aller deutschen Investitionen in China soll nach den deutlichen Warnungen der Wirtschaft vor einem neuen "bürokratischen Monster" vom Tisch sein. Insofern sei man relativ zufrieden aus dem Gespräch gegangen, sagte ein Teilnehmer.

Rückzug ist keine Option 

Allerdings räumen Wirtschaftsvertreter ein, dass sie bei ihrem China-Engagement umdenken müssen. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich die Risiko-Kalkulation verändert. Es wurde deutlich, was passieren kann, wenn man von einem Land bei bestimmten Gütern abhängig ist. Viele Firmen haben sich bei ihren Globalisierungsstrategien sehr stark auf den schnell wachsenden Milliardenmarkt China konzentriert. Sie investieren Milliarden, China war der Wachstumstreiber, als Geschäfte in Europa und Amerika schwächelten. Doch nun wird eine mögliche Kehrseite des starken Engagements deutlich.

Sollten die Spannungen zwischen China und Taiwan eskalieren, seien der Politik wegen der Abhängigkeiten die Hände gebunden, warnt etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Töns: "Wenn das Undenkbare eintreten würde, könnten wir jetzt keine Sanktionen verhängen, sondern nur mit dem Finger wedeln und sagen: 'Das könnt ihr nicht machen'". Auch Kanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis machten klar, dass sich Wirtschaft und Politik hier auf einer Gradwanderung befinden. Gegenüber Peking seien klare Worte bei Menschenrechten und der Gleichbehandlung von Firmen nötig. "Aber eine Abkopplung von China ist für unsere Unternehmen keine Option: China ist ein wichtiger Wachstumsmarkt und ein wichtiger Lieferant für bezahlbare Vorprodukte", sagte Dombrovskis diese Woche auf dem Maschinenbauergipfel des VDMA. Der Kanzler betont ebenfalls, dass ein Rückzug keine Option sein - auch in Richtung des Grünen-Koalitionspartners, der in der China-Debatte die Menschenrechtsfrage deutlich stärker betont.

Lokalisierung soll Gefahr eines China-Schocks mindern

Tatsächlich hätten Unternehmen bereits damit begonnen, sich neu zu orientieren und ihr China-Engagement zurückzufahren, heisst es in einer neuen Studie "China - Vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor" der Volkswirte von Behrenberg und des Institute of East Asia Studies der Universität Duisburg-Essen. Doch in den Daten zu Investitionen in China sieht man diesen Trend noch nicht. Im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2022 stiegen die Investitionen deutscher Unternehmen in China laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) auf einen Rekordwert von rund zehn Milliarden Euro. Allerdings konzentrieren sich die Investitionen laut einer Studie der auf wirtschaftliche und politische Analysen spezialisierten Rhodium-Gruppe auf nur wenige grosse Konzerne wie BASF oder Autokonzerne. Jüngste Ankündigung: Der Autokonzern VW investiert 2,4 Milliarden Euroin eine Partnerschaft mit dem chinesischen Softwareunternehmen Horizon Robotics.

Das klingt paradox angesichts der Diskussion um eine Verringerung der Abhängigkeit. Aber Ulrich Ackermann, Aussenwirtschaftsleiter des Verbands der deutschen Maschinenbauer (VDMA) erklärt dies so: Ein Weg, um die Abhängigkeit von China zu verringern, ist genau das Gegenteil von Rückzug - nämlich noch mehr Investitionen. "Eine Variante der Absicherung ist die Lokalisierung der Produktion", erläutert er. Jahrelang habe man auf eine globale Arbeitsteilung gesetzt. "Jetzt zwingt uns das Auseinanderdriften unserer Handelspartner Nummer eins und zwei – USA und China – zu einer neuen Strategie. Die Maschinenbauer wollen Investitionen in anderen Teilen der Welt so weit wie möglich unabhängig von China machen."

Das heisst, Geld in die Hand zu nehmen: "Man muss in China investieren, um sich dort unabhängiger von Importen aus dem Westen zu machen", erklärt es Ackermann. Im Konfliktfall habe man dann in China ein eigenständiges Unternehmen, das man verkaufen könne, erklärt ein Manager gegenüber Reuters. Natürlich senke diese Strategie die Effizienz gegenüber der früher angestrebten globalen Arbeitsteilung innerhalb der Konzerne. "Aber seit dem Krieg in der Ukraine ist die Absicherung mindestens so wichtig wie die Effizienz." Im Klartext: Firmen sind bereit, einen Preis zu zahlen, um das Risiko eines Totalausfalls zu minimieren.

"Unsere Strategie ist 'local for local' – nicht nur aus geopolitischen Gründen, sondern auch um unsere Risiken zu begrenzen, nahe an den Kernmärkten zu sein und die Kostenvorteile zu nutzen", sagt auch Tobias Just, Kommunikationschef bei der Mercedes-Benz AG, an der mittlerweile zwei chinesische Firmen beteiligt sind. BASF-Chef Martin Brudermüller argumentierte im Gespräch mit Habeck nach Teilnehmerangaben, dass die Investition von zehn Milliarden Euro in einen Chemiepark in der Provinz Zhanjiang im Juli nur einen Ausgleich gegen eine zu grosse Abhängigkeit vom deutschen und europäischen Markt darstelle.

Im Wirtschaftsministerium heisst es zu dem Investitionsboom nur, dass man das Verhalten deutscher Unternehmen in China "aufmerksam" verfolge. "Der jüngste Anstieg ist mit Blick auf die ausschlaggebenden Faktoren, die betroffenen Branchen und den Unternehmenstypus differenziert zu betrachten", sagt eine Sprecherin. Man halte aber an dem Ziel einer breiteren Diversifizierung und des Abbaus kritischer Abhängigkeiten fest.

Druck kommt auch aus den USA

"Die grössere Sensibilisierung für die Lieferketten gibt es seit der Corona-Pandemie", sagt Agatha Kratz von Rhodium. Seit Lockdowns in China und Staus an den Häfen den Welthandel ins Mark trafen, versuchten Firmen, sich generell von Ausfällen einzelner Lieferanten unabhängiger zu machen. "Es ergibt aber aus ökonomischer Sicht keinen Sinn, den chinesischen Markt aufzugeben - auch wenn vieles schwierig ist und bleibt", sagt DIHK-Aussenwirtschaftsexperte Volker Treier zu Reuters.

"Statt eine Bestrafung für das Geschäft mit China zu planen, wären Anreize für das Geschäft mit anderen Ländern der richtige Ansatz", fordert auch der VDMA-Experte Ackermann mit Blick auf die im Wirtschaftsministerium angedachte Beschneidung der staatlichen Investitions- und Exportgarantien. Nur ist Diversifizierung nicht immer einfach: So wurde Habeck in der Runde von ernüchternden Erfahrungen berichtet, die die Firmen bisher auf dem zweiten asiatischen Milliarden-Markt Indien gemacht hatten. Indien sei zwar eine Demokratie, aber teilweise erheblich protektionistischer als China.

Zumindest ausserhalb Asien klappt die breitere Aufstellung der Wirtschaft: Die Exporte in die USA schossen in den ersten acht Monaten 2022 auf 100,2 Milliarden Euro in Höhe - im Vergleich zu 72 Milliarden Euro nach China. Ein Grund: Der Druck zur Regionalisierung der Produktion kommt nicht nur aus China, sondern auch aus den USA. Die Regierung in Washington will dafür sorgen, dass den attraktiven Markt etwa für E-Autos nur noch nutzen kann, wer dort auch produziert. Deshalb werden nur Batterien auf den Markt gelassen, die in Nordamerika hergestellt wurden. VW investiert deshalb nicht nur in China, sondern verstärkt in Kanada. 

(Reuters)