Die beiden italienischen Krisenbanken Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza werden auf Kosten der Steuerzahler zerschlagen. Bis zu 17 Milliarden Euro stellt die Regierung für die Institute bereit, die zuletzt von der EZB-Bankenaufsicht als wahrscheinlich nicht mehr überlebensfähig eingestuft wurden (zum Artikel). 

Die Meldung von gestern Sonntag wirft einmal mehr ein Licht auf das permanente Krisenland Italien: Denn anders als im "Bel Paese" stehen die Zeichen in der Eurozone auf Erholung. Anfang Juni musste das europäische Statistikamt Eurostat die Schätzung für das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2017 überraschend von 0,5 auf 0,6 Prozent nach oben revidieren. "Europa hat die USA in punkto BIP-Wachstum überholt und weist eine stärkere Konjunkturdynamik auf als die meisten Schwellenländer", schreibt Adrien Pichoud, Chefökonom von SYZ Asset Management, in einem Kommentar.

Auch politisch hat sich einiges gelegt: "EU-Schreck" Marine Le Pen konnte in Frankreich die Macht nicht ergreifen. Stattdessen erhofft man sich von Emmanuel Macron, dessen neuformierte Partei "La République en Marche" auch eine absolute Mehrheit im Parlament durchboxen konnte, wichtige Reformen und ein Anziehen des Wirtschaftswachstums. Der anstehende Ausstieg Grossbritanniens aus der EU verunsichert zwar die Anleger, doch inzwischen ist ein sanfter Brexit absehbar.

Ein grosses Problem bleibt aber: Italien. Die drittgrösste Volkswirtschaft in der Eurozone seucht schon seit Jahren vor sich hin, bald könnte es auch zu einem politischen Umsturz kommen. Das sind derzeit die grössten Baustellen des Landes:

Politische Instabilität

In Italien wird es bis spätestens im Frühling 2018 Wahlen geben. Für die Finanzmärkte ein sehr wichtiges Ereignis. Möglich ist ein Sieg der europakritischen Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo, was grosse Unsicherheiten bezüglich Italiens Verbleib in der EU auslösen dürfte. Allerdings erlitt die Partei jüngst bei den Kommunalwahlen, die als wichtiger Stimmungstest für die Parteien gelten, einen Rückschlag (cash berichtete).

Doch noch immer zeichnet sich gemäss nationalen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der regierenden Demokratischen Partei (PD) von Matteo Renzi ab – dieser war Ende 2016 nach dem verlorenen Verfassungsreferendum als Ministerpräsident zurückgetreten.  Beide kommen auf ungefähr 30 Prozent der Stimmen. Auch die rechtspopulistische Lega Nord und Silvio Berlusconis Forza Italia haben noch Chancen auf einen Einzug ins Parlament. 

Faule Bankkredite

Italiens Banken sitzen auf rund einem Drittel aller notleidenden Kredite der Eurozone – per Ende 2016 waren dies 356 Milliarden Euro. Viele Banken in Italien geraten dadurch ins Strudeln. Sie sind unterkapitalisiert und haben massive Probleme, an neues Kapital zu gelangen. Gestern Sonntag beschloss Italien, bis zu 17 Milliarden Euro für die Institute Veneto Banca und Banca Popolare di Vicenza bereitzustellen.

Bereits letzten Dezember musste die italienische Regierung das Institut Monte dei Paschi di Siena mit Steuergeldern vor dem definitiven Aus retten. Es war schon das dritte Mal seit 2009, dass der Staat der Traditionsbank unter die Arme greifen musste. Ohne Hilfe von aussen - vor allem in Form von weiteren Geldern der italienischen Regierung - dürfte die Situation in der italienischen Bankenbranche nicht zu retten sein. Abgesehen davon, dass die EU nur im äussersten Notfall eine staatliche Unterstützung zulässt, verschuldet sich der italienische Staat durch solche Rettungstaten immer weiter.

Massive Staatsverschuldung

Denn jetzt schon hat Italien ein massives Schuldenproblem. Die Staatsschulden betragen aktuell 133 Prozent des Bruttoinlandprodukts. In absoluten Zahlen sind dies 2,26 Billionen Euro. In der Eurozone steht nur Griechenland noch schlechter da. Der Durchschnitt der Euroländer liegt bei 89,2 Prozent. Gemäss Maastricht-Kriterien ist für Euroländer eine Verschuldung von über 60 Prozent grundsätzlich nicht zulässig. Aber selbst Deutschland erfüllt derzeit mit einer Schuldenquote von 68 Prozent diese Kriterien nicht. 

Für Italien dürfte sich die Situation bald noch zusätzlich verschärfen: Nach Frankreich und Deutschland profitiert das Land derzeit von der quantitativen Lockerung der Europäischen Zentralbank (EZB) am stärksten. Gemäss Bloomberg kauft EZB-Präsident (der Italiener) Mario Draghi mehr italienische Anleihen, als er gemäss dem Verteilschlüssel eigentlich müsste. Das verzerrt die Renditen italienischer Staatsanleihen und macht Schulden für die italienische Regierung günstiger.

Doch ein Ende der expansiven Geldpolitik in Europa zeichnet sich ab, was sich inzwischen auch in einer höheren Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen bemerkbar macht: Derzeit liegt diese bei knapp 2 Prozent, im August 2016 war es noch 1 Prozent. Italien kann dadurch nicht mehr so günstig Kredite aufnehmen, der Schuldenberg wird weiter anwachsen.

Schwaches Wirtschaftswachstum 

Vom Wirtschaftswachstum in Europa bekommt Italien derzeit nichts zu spüren: Gemäss OECD-Statistik wird Italien 2017 nur knapp 1 Prozent wachsen - das ist der letzte Platz in Europa. 2018 soll das Wachstum sogar nur noch 0,8 Prozent betragen - was den Italienern in der OECD-Statistik gar den global letzten Platz beschert. Im Vergleich dazu die Schweiz, die vom starken Franken geplagt ist: 2017 liegt das geschätze Wachstum bei 1,4 Prozent, im Jahr danach bei 1,9 Prozent.

Wenig erstaunlich bei diesen Vorhersagen kam Italien im Länderbericht 2016 der OECD schlecht weg: Das Land werde im Vergleich zu den anderen Eurozonen-Mitgliedern immer weiter zurückfallen, wenn sich die Wachstumsaussichten nicht bald deutlich verbessern würden. Bis Italien überhaupt das Bruttoinlandsprodukt auf dem Niveau von vor der Finanzkrise 2007/08 erreiche, könne es noch Jahre dauern.

Hohe Arbeitslosigkeit

Die schwache Wirtschaftsleistung spiegelt sich auch in der Arbeitslosigkeit wider:

Obwohl sich hier eine langsame Erholung abzeichnet, ist der Wert von 11,1 Prozent im Vergleich mit Frankreich (9,6 Prozent) und Deutschland (3,9 Prozent) immer noch sehr hoch. Weiterhin akut ist das Problem der Jugendarbeitslosigkeit: Jede dritte italienische Erwerbsperson im Alter von 15 bis 24 ist joblos. Noch schlimmer stehen nur Spanien und Griechenland da.

Fazit: Über Italien hängen zu viele dunkle Wolken. Ein Ausweg aus dieser Lage wird nur sehr schwer zu bewerkstelligen sein. Ein wichtiger erster Schritt wäre die Wahl einer gemässigten und stabilen Regierung, die eine Zeit lang ohne Skandale am Hebel sein kann. Dadurch könnte sie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen und innerhalb der EU wieder zu einer starken Stimme werden. Auf diesem Fundament könnten dann notwendige Wirtschaftsreformen angepackt werden. Nur: Angesichts der Dutzenden Regierungswechsel in den letzten Dekaden ist dies ein frommer Wunsch. Daher gilt für Italien wohl die Devise, die für die ganze Eurozone und ihre Mitgliedstaaten in all den letzten Jahren galt: Durchwursteln - und sich notfalls retten lassen.