Die Energiekrise in Europa spitzt sich weiter zu: Nach Deutschland haben auch die Schweiz und Finnland strauchelnde Energieversorger mit Kreditlinien gestützt. Mit um sich greifenden Margin Calls, die sich laut einigen Schätzungen auf bizarre 1,5 Billionen Dollar hochschrauben könnten, wird Liquidität immer stärker zum Problem.

Die Schweiz gewährte dem Energieversorger Axpo eine nachrangige Kreditlinie von bis zu 4 Milliarden Franken.

Fortum erhielt vom finnischen Staat eine Brückenfinanzierung von 2,35 Milliarden Euro, um angemessene Liquidität zu wahren. Einher mit den Massnahmen gehen düstere Warnungen. Finnland warnte vor einem "Lehman-Brothers-Moment" in der Energiewirtschaft.

7 Milliarden Euro Verluste?

Der Chef von Fortums deutscher Tochter Uniper, Klaus-Dieter Maubach, erwartet, dass die Verluste aus der Ersatzbeschaffung für ausbleibende russische Gaslieferungen noch in diesem Monat die Marke von 7 Milliarden Euro erreichen können, sodass der Konzern neue Staatshilfen benötigen würde. Zur Deckung des Bedarfs kann die Fortum-Fazilität allerdings nicht genutzt werden.

"Die Unternehmen haben wegen der Nachschussforderungen und der Sicherheitenanforderungen lange Zeit Geld verloren", erklärt Kristian Ruby, Generalsekretär des Branchenverbandes Eurelectric. "Das wirft die Frage auf: ‘Was ist, wenn es noch schlimmer wird?’ Die Regierungen müssen bereit sein, mit einer solchen Situation umzugehen und die Unternehmen mit direkten Krediten zu unterstützen. Sonst besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen abstürzt und andere in Mitleidenschaft zieht."

Als Grossabnehmer von Strom und Energie neigen Versorgungsunternehmen dazu, mehrheitlich Short-Positionen zur Absicherung ihrer physischen Verträge zu halten. Das macht sie anfällig, wenn die Preise stark steigen und diese Positionen in die Verlustzone geraten. In diesem Fall kann der Broker, die Bank oder die Börse eines Unternehmens Barmittel als Sicherheit für diese Positionen verlangen.

«Regierungen brauchen jemanden, der das Preisrisiko übernimmt»

"Die europäischen Regierungen brauchen jetzt jemanden, der das Preis- und Rohstoffrisiko übernimmt", sagte Steven Kelly, Senior Research Associate beim Yale Program on Financial Stability. "Und wenn die Banken nicht in der Lage sind, die Vermittlerrolle zu spielen, muss man an der Quelle ansetzen und sehen, dass die Staaten das Risiko übernehmen, wenn sie nicht wollen, dass sich eine Liquiditätskrise in eine Bilanzkrise verwandelt."

Am Freitag werden die europäischen Energieminister zur Stabilisierung der Lage Notinstrumente erörtern. 

Die Unterstützung für die Axpo soll verhindern, dass das Unternehmen in Liquiditätsprobleme gerät, die die Stromversorgung der Eidgenossenschaft gefährden könnten.

"Wir können es uns nicht leisten, dass in diesen unsicheren Zeiten wegen temporärer Liquiditätsengpässe ein grosses Stromunternehmen, das unzählige Gemeindewerke beliefert, Wasserkraftwerke und AKWs betreibt, und in der Zentral- und Nordostschweiz für die Stromnetze zuständig ist, dass dieses Unternehmen plötzliche illiquid wird und andere Unternehmen allenfalls auch noch mitzreisst", erklärte Energieministerin Simonetta Sommaruga. 

Auch Centrica verhandelt

Die britische Centrica verhandelt laut der Financial Times mit Banken über zusätzliche Kredite im Milliardenvolumen. Dies sei eine Vorsichtmassnahme in Bezug auf wachsenden Bedarf an Sicherheiten, so die Zeitung.

Unter Druck stehen indessen auch die Grosskunden von Energie. Der deutsche Toilettenpapier-Riese Hakle hat Insolvenz angemeldet, da er massiv gestiegenen Kosten für Material- und Energiebeschaffung sowie für Transporte nicht in hinreichenden Umfang an die Kunden im Lebensmitteleinzelhandel und dem Drogeriesektor weitergeben konnte. Der Geschäftsbetrieb des mittelständischen Unternehmens soll im Insolvenzverfahren vollständig fortgeführt werden.

In Deutschlands verarbeitendem Gewerbe ist nach vorläufigen Zahlen im Juli der Auftragseingang um 1,1 Prozent gesunken, belastet besonders von einen Einbruch im Konsumgütersektor und bei Pharmazieprodukten. Goldman Sachs rechnet in Europa mit einem Anstieg der Energierechnungen um 2 Billionen Euro. Dabei gehen die Analysten davon aus, dass der Markt die Tiefe und die strukturellen Folgen der europäischen Energiekrise weiterhin unterschätzt. 

(Bloomberg/cash)