Die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 führte zu einem politischen Umdenken: Die Gefahr durch Atomenergie wurde plötzlich wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung gerufen, Forderungen nach einem Ausstieg aus der Atomenergie wurden lauter. Noch im selben Jahr sprach sich der Gesamtbundesrat für einen längerfristigen Atomausstieg aus: Existierende Atomkraftwerke (AKW) sollen am Ende ihrer sicherheitstechnischen Betriebsdauer stillgelegt und nicht mehr ersetzt werden.

Ebenfalls zu dieser Zeit wurde von den Grünen eine Initiative für den Atomausstieg lanciert, welche nun am 27. November an die Urne kommt. Bei einem Ja gäbe es eine Laufzeitbeschränkung bei AKW von 45 Jahren. Konkret müssten dadurch die Schweizer Atomkraftwerke Beznau I und II sowie Mühleberg je bereits 2017, Gösgen 2024 und Leibstadt 2029 abgeschaltet werden.

Schweizer Stromversorger sind darüber alles andere als erfreut: Alpiq rechnet bei einer Annahme mit einem wirtschaftlichen Schaden von ungefähr 2,5 Milliarden Franken. Andrew Walo, Chef von Axpo (Aktie nicht börsenkotiert) sprach in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag" gar davon, dass ein Schadersatz von 4,1 Milliarden Franken eingefordert werde.

Schadenersatzforderungen wären sehr wahrscheinlich

Wäre bei einer Annahme ein Kurssturz der Energietitel die Folge? "Ein Ja zum Atomausstieg wäre tendenziell schlecht für die Versorgertitel, da es zu Wertberichtigungen respektive Rückstellungserhöhungen kommen würde", sagt Sven Bucher, Analyst der Zürcher Kantonalbank (ZKB), auf cash-Anfrage. Das könne die Zahlen der Firmen in diesem Jahr belasten.

Bucher schliesst in der Folge Forderungen nach Schadenersatzzahlungen nicht aus, wie etwa durch den Axpo-Chef bereits angedeutet. Diese könnten die Kosten etwas abfedern. Aber hier wäre Geduld gefragt: "Die juristischen Verfahren würden sich wohl über mehrere Jahre hinausziehen", sagt Bucher.

Dass sich ein solcher Prozess in der Praxis tatsächlich in die Länge ziehen kann, zeigt das Beispiel Deutschland: 2011 hatte die Bundesregierung den Atomausstieg beschlossen. Es folgten prompt Schadenersatzforderungen von grossen Playern wie etwa E.ON oder RWE, die definitiven Entscheide sind noch immer ausstehend.

Börsenreaktion nur schwer abschätzbar

Die einzelnen Schweizer Versorger-Titel wären unterschiedlich stark von einem schnelleren Atomausstieg tangiert und würden daher wohl auch unterschiedlich stark reagieren. Wie gross der Abschlag schlussendlich ausfallen würde, ist jedoch nur schwer abschätzbar.

Das sieht auch Versorger-Experte Bucher so, fügt aber noch an: "Für eine Alpiq wäre ein schneller Atomausstieg kurzfristig sicherlich belastender als für die BKW, da letztere das Kernkraftwerk Mühleberg sowieso bereits 2019 stilllegen wird." Mühleberg würde mit der Annahme anstatt im Jahr 2019 nur zwei Jahre früher aus dem Verkehr gezogen, was für BKW verkraftbar wäre. Zumal der Versorger danach keine Kernenergie mehr produziert.

Alpiq hingegen hält eine 40-prozentige-Beteiligung am Kernkraftwerk Gösgen und 32 Prozent am Kernkraftwerk Leibstadt. Laut "Sonntagszeitung" soll Alpiq gar versucht haben, die beiden Atomkraftwerke dem französischen Energiekonzern Electricité de France (EDF) zu verschenken. Das Geschenk wurde aber abgelehnt, weil EDF bei AKW "viele eigene Probleme habe". Laut Alpiq-Präsident Jens Alder wird das Unternehmen mit den Kernkraftwerken in den nächsten zehn Jahren nur noch Geld verlieren.

Keine Profiteure in Sicht

Gemäss einer aktuellen Tamedia-Umfrage hat die Initiative gute Chancen, angenommen zu werden: 56 Prozent der Teilnehmenden sagen Ja oder eher Ja zum frühzeitigen Atomausstieg. 43 Prozent wollen bestimmt oder eher ablehnen. Nur 1 Prozent der Befragten ist sich noch unschlüssig. Für ein Ja zur Atomausstiegsinitiative machen sich übrigens auch Vertreter der Wirtschaft und bürgerlicher Parteien stark, die sich damit gegen die grossen Wirtschaftsverbände stellen.

Anleger, die sich auf die Suche nach Profiteuren eines möglichen Atomausstieges machen, werden wohl enttäuscht: "Ich denke nicht, dass eine kotierte Schweizer Gesellschaft von einem Ja an der Urne deutlich profitieren könnte", meint Bucher.

Zunächst liegt es zwar auf der Hand, dass am ehesten Zulieferer respektive Betreiber von Solaranlagen, etwa Meyer Burger oder Edisun Power Europe, Nutzniesser sein könnten. Doch beide bedienen zu einem grossen Teil den ausländischen Markt. Ausserdem herrscht in der Solarbranche derzeit ein existenzbedrohender Preiskampf, so dass solche Titel derzeit sowieso kaum zum Einstieg locken. Meyer Burger verlor in diesem Jahr an der Börse bereits 55 Prozent.

BKW und Romande Energie im Hoch

Einen guten Lauf hingegen hat BKW. Die Performance seit Jahresbeginn von plus 20 Prozent schlägt den Swiss Performance Index (-7 Prozent) deutlich. Die Berner überzeugen die Anleger mit einer guten operativen Performance und einer attraktiven Dividendenrendite von 3,5 Prozent. Dank des Ausbaus des Dienstleistungsgeschäfts scheint man auch für das schwierige Umfeld in der Branche gerüstet zu sein. Die ZKB wie auch Research Partner empfehlen beide zum Kauf der Aktie.

Gewinner unter den Stromversorgern in diesem Jahr ist aber die Romande Energie mit plus 27 Prozent seit dem 1. Januar. Im ersten Halbjahr 2016 fand der Westschweizer Energiekonzern zurück zu schwarzen Zahlen. Ausserdem ist Romande Energie ein grosser Profiteur der tiefen Strompreise: Der Grossteil der Energie wird billig in Europa eingekauft und nicht selbst produziert.

Kursentwicklung 2016 von Versorgeraktien

Titel Performance 2016, in %
Romande Energie +27
BKW +20
Edisun Power Europe +6
Energiedienst +3
Alpiq -14
Meyer Burger -55

Quelle: cash.ch, Stand 07.11.2016