Von der Statistik her sieht alles gut aus. Die Altersklasse zwischen 55 und 64 Jahren hat mit knapp 4 Prozent die tiefste Erwerbslosenquote. Die Gruppe der 40 bis 54-jährigen weist laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) die zweittiefste Arbeitslosenrate auf. Richtig gravierend ist das Problem laut den Erhebungen nur bei den 18- bis 24-jährigen. Zwar schwanken dort die Werte erheblich, aber im ersten Quartal dieses Jahres lag die Quote bei fast 8 Prozent, wie die Grafik weiter unten zeigt.
Was aber auch zu beachten gilt: Da die 50-Jährigen heute schon die grösste Gruppe auf dem Arbeitsmarkt darstellen und diese Gruppe auch zunimmt, erhöht sich auch die absolute Zahl von Leuten, die ihre Stelle verlieren und auf Jobsuche gehen müssen - zum Teil zum ersten Mal im Leben. Über 40 Prozent der Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, gehören der Altersgruppe 50plus an.
In der Fachsprache wird bei den älteren Arbeitnehmern von einer "stabilen Erwerbsbiographie" gesprochen, also einem Berufsweg, der sich relativ konstant und ohne Brüche entwickelt hat. Daher wird von vielen eine Arbeitslosigkeit über 50 als besonders einschneidende Erfahrung empfunden.
Grafik: Bundesamt für Statistik (BFS) vom 23. Mai 2017
In der Realität jener über 50-Jährigen, die sich eine Stelle suchen müssen, nützt die BFS-Statistik wenig. Im Juni empfingen Parlamentarier verschiedener Parteien Betroffene im Bundeshaus. Die Aussagen der Teilnehmer nach der Konferenz glichen sich: Dutzende Bewerbungen wurden geschrieben, auch von Leuten mit hoher Qualifikation und früherer Führungserfahrung in ihren Berufen. Eingeladen wurden sie nur zu wenigen Terminen. Diese verliefen dann deprimierend.
Die Reaktionen auf den runden Tisch mit den Parlamentariern zeigten, dass man der Politik im Moment noch nicht zutraut, das Arbeitslosenproblem der über 50-Jährigen effektiv anzupacken. Der Gewerkschaftsbund seinerseits hat mit der Forderung nach einem besseren Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer immerhin einen Vorschlag gemacht: Ab einem gewissen Alter soll statt der üblichen drei Monate ein halbes Jahr Kündigungsfrist gelten. Diese Ideen tragen den Gewerkschaften wiederum den Vorwurf ein, den Arbeitsmarkt starrer gestalten zu wollen. In der Folge hätten, so die Kritiker, ältere Arbeitskräfte bei der Jobsuche noch mehr Schwierigkeiten.
Ball liegt bei Unternehmen
Bleibt die Frage, welche Verantwortung die Unternehmen zu übernehmen bereit sind. Daniel Kalt, Chefökonom Schweiz bei der UBS, sieht einen gewissen Wandel. Grosskonzerne wie auch KMU bemühen sich stärker um die Anliegen älterer Arbeitnehmer. Von Novartis oder der Baubranche etwa ist bekannt, dass sie Kündigungsfristen auf Eigeninitiative hin verlängert haben. Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) haben begonnen, Tramfahrerinnen und Tramfahrer gesundheitlich zu schulen und so dafür zu sorgen, dass beispielsweise das lange Sitzen in diesem Beruf auch im fortgeschrittenen Erwerbsalter noch zu bewältigen ist.
Für Kalt spielt grundsätzlich aber auch der demograpische Wandel in die Hände der älteren Arbeitnehmer. "Über die nächsten Jahren werden 1,1 Millionen Leute in der Schweiz 65 Jahre alt und aus dem Erwerbsleben ausscheiden", wie er im Video-Interview mit cash.ch sagt. Es würden aber weniger jüngere Arbeitskräfte nachrücken. Die UBS geht davon aus, dass dadurch auf derm Arbeitsmarkt eine halbe Million Stellen weniger besetzt sein werden.
Im cash-Video-Interview äussert sich Daniel Kalt auch zur Arbeitslosenstatistik, zu branchenspezifischen Unterschieden sowie zur Auswirkung des Fachkräftemangels auf ältere Arbeitnehmer.
Diese offenen Stellen werden entweder von Einwanderern besetzt, oder es ergeben sich neue Jobmöglichkeiten für die Generation 50plus. Je nach Branche ist die Ausgangslage aber eine andere. In handwerklichen und technischen Branchen sowie bei sozialen Aufgaben und im Gesundheitswesen haben ältere Arbeitnehmer es heute schon leichter als beispielsweise in der Informatik, der Finanzbranche, in der Gastronomie oder in kaufmännischen Berufen.
Allerdings ist die Situation der über 50-Jährigen nicht nur eine Frage der Qualifikation, sondern auch des Geldes. Höhere Löhne mit steigendem Alter diskriminieren diese Gruppe. Abhilfe schaffen könnten Teilzeitarbeit oder eine bewusste Zurückstufung bei Aufgaben und Lohn. Für Diskussionen sorgt die Idee der "Regenbogenkarriere", wonach das Höchstmass an Einkommen und Verantwortung nicht am Ende, sondern in der Mitte der Berufslaufbahn steht.
"Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken", sagt UBS-Ökonom Kalt. Inwiefern diese Arbeitsmodelle akzeptiert werden, die für die Arbeitnehmer in jedem Falle auf einen Einkommensverlust hinauslaufen, ist eine andere, auch individuelle Frage. Sinkende Umwandlungssätze in der Rente, durch die Negativzinsen erhöhte Sparanforderungen in der Vorsorge und finanzielle Verpflichtungen etwa bei Hypotheken oder bei der Unterstützung von Kindern erlauben es vielen älteren Arbeitnehmern nicht, ohne weiteres auf Einkommen zu verzichten.