Was vor etwas mehr als drei Wochen als einsamer Vorstoss des Niederländers Klaas Knot begann - eine Zinserhöhung um einen halben Punkt in Erwägung zu ziehen - hat sich zu einer veritablen geldpolitischen Straffungskampagne für die Eurozone entwickelt, die von Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag vorgestellt wurde.

Die Kombination aus dem bevorstehenden Ende der Anleihekäufe und dem Versprechen von zwei Zinserhöhungen, einschliesslich einer wahrscheinlichen Anhebung um 50 Basispunkte im September, stellt einen bedeutsamen Sieg für die überwiegend nordeuropäischen Notenbanker im Falkenlager dar.

Der Kurswechsel markiert nicht nur eine veränderte Einschätzung der Preisrisiken in der Region, sondern auch eine Neugewichtung der Machtverhältnisse im EZB-Rat. Eine ganze Reihe von Mitgliedern, deren Meinung zu einer restriktiveren Geldpolitik unter Mario Draghi häufig missachtet wurde, scheinen nun das Sagen zu haben. Lagardes Vorgänger hatte sich in seiner Zeit fast immer durchgesetzt. 

“Die Falken haben alle wichtigen Stellungen eingenommen, genau wie vorher jahrelang die Tauben”, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J Safra Sarasin. “Die Falken haben sich eindeutig durchgesetzt und Lagarde unter Druck gesetzt. Die Zusage von 50 Basispunkten ist etwas, das wir noch nie gesehen haben.” Falken werden Geldpolitiker genannt, die tendenziell für eine straffere Gangart einstehen mit höheren Zinsen. Tauben sind Verfechter einer expansiveren Geldpolitik mit tieferen Zinsen.

Acht Jahre auf taube Ohren gestossen

Eine solche Zinserhöhung, die an den Schritt der US-Notenbank im Mai erinnert, ist nun praktisch in den Kurs der EZB eingeschrieben. Gemäss der aktuellen Kommunikation braucht es dazu nur einen Inflationsausblick, der genauso oder noch schlechter ausfällt, als die Währungshüter derzeit annehmen.

Die Zusage von Zinsschritten auf den nächsten beiden Sitzungen entspricht der Art von “Vorab-Festlegung” (“Pre-Commitment”), die der frühere Präsident Jean-Claude Trichet, der die EZB über weite Strecken der 2010er Jahre führte, zu vermeiden suchte.

In den acht Jahren, in denen sein Nachfolger Draghi am Ruder war - bis 2019 - stiessen Falken wie Knot und der damalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann mit ihren Ansichten meist auf taube Ohren. Im Gegensatz dazu sind der Niederländer und seine Kollegen aus Deutschland, Österreich und anderen Ländern nun treibende Kraft.

Der erhebliche italienische Einfluss auf die EZB - personifiziert unter anderem in dem von Draghi ernannten ranghöchsten für die Gestaltung der Geldpolitik zuständigen Beamten, Massimo Rostagno - erscheint plötzlich als weniger mächtig. Die Forderung des italienischen Notenbankchefs Ignazio Visco nach Mässigung mit “geordneten” Schritten verhallte ungehört. Draghi - nun Premierminister Italiens - konnte am Donnerstag nur aus der Ferne für Zurückhaltung plädieren.

Der schwierige Teil kommt im vierten Quartal für die EZB

Lagardes plötzlicher Kurswechsel wurde von Peter Praet kritisiert, der sich als EZB-Chefvolkswirt unter Draghi oft noch stärker im Taubenlager positioniert hatte als der Präsident. Der Schwenk hätte aus seiner Sicht mit einer besseren Kommunikation darüber einhergehen müssen, was zu tun ist, wenn eine Zinserhöhung die Integrität des Euroraums mit rapide steigenden Anleiherenditen verschuldeter Euro-Mitglieder verletzt. “Je mehr man sich bei den Zinsen ins Falkenlager begibt, desto mehr sollte man auch die Transmission über die Länderspreads klären”, sagte Praet im Gespräch mit Bloomberg TV. 

Unabhängig davon, was sie für die kommenden Entscheidungen skizziert haben, stehen die EZB-Räte nun vor der Herausforderung, ihre Politik vor dem Hintergrund eines äußerst volatilen Konjunkturumfelds und einer Inflation, die sich noch deutlich verschlechtern könnte, durchzuziehen.

“Es ist einfach, die Nettokäufe von Vermögenswerten zu beenden und Leitzinserhöhungen für Juli und September anzukündigen”, sagte Piet Christiansen, Chefstratege der Danske Bank in Kopenhagen. “Der schwierige Teil kommt im vierten Quartal und darüber hinaus, denn wie sich die Dinge entwickeln werden, ist sehr ungewiss.”

(Bloomberg)