Die Aktien der Online-Apotheke Zur Rose sind am Donnerstagmorgen einmal mehr massiv unter Druck geraten. Die Einführung des E-Rezepts in Deutschland hat erneut einen Rückschlag erhalten. In Westfalen-Lippe, der einzigen Testregion in Deutschland für Arztpraxen, wurde die Einführung der elektronischen Verschreibung ausgesetzt.

Als Folge fällt die Aktie von Zur Rose am Donnerstag im Handelsverlauf am Donnerstag bis 19 Prozent auf ein neues Rekordtief von 23,12 Franken. Seit Jahresanfang hat der Kurs damit rund 90 Prozent des Werts verloren. Den Rekordstand erreichte die Aktie Anfang Januar 2021 bei 514 Franken. Auch die Zur-Rose-Konkurrentin Shop Apotheke aus Deutschland fällt am Donnerstag deutlich. Die Aktie steht 14 Prozent tiefer.

Es ist zu erwarten, dass nun weitere Analysten das Kursziel für Zur Rose kürzen. Die Hoffnung auf eine flächendeckende Einführung des elektronischen Rezepts in Deutschland ab 2022 hatte den Kurs in schwindelerregende Höhen getrieben. Nachdem die Einführung aber immer wieder ins Stocken kam, befinden sich die Aktien auf Talfahrt. Gerade mal rund 525'000 Rezepte wurden im laufenden Jahr digital verschrieben. Zum Vergleich: Pro Jahr werden in Deutschland rund 500 Millionen Verschreibungen als rosa Zettelchen ausgestellt - der Anteil der Digitalverschreibung ist also verschwindend gering.

Dabei wollte Zur Rose bis vor einigen Monaten dank E-Rezept den eigenen Umsatz innert drei bis fünf Jahren auf 4 Milliarden Franken verdoppeln. Nach den vielen Rückschlägen ist Zur Rose im laufenden Jahr nun aber vor allem darum bemüht, statt weiter zu wachsen die Verluste in Grenzen zu halten.

Das durchschnittliche Kursziel für die Aktie beträgt von den 13 Analysten von Zur Rose, die bei Bloomberg erfasst werden, noch immer 56 Franken. Das tiefste Kursziel hat die Credit Suisse mit 19 Franken. Zuletzt hatte Citigroup das Kursziel auf 30 von 35 Franken gesenkt. Ein Trendwende für die massiv gebeutelte Zur-Rose-Aktie scheint nach der heutigen erneuten Hiobsbotschaft in noch weitere Ferne gerückt.

Westfalen-Lippe ist die einzige Pilotregion in Deutschland, in der das E-Rezept im grossen Stil eingeführt werden sollte. Anfang September stiegen 250 Praxen ein, diese Zahl sollte schrittweise erhöht werden - dies geschieht nun aber nicht mehr. Bisher kann man das E-Rezept nur über sein Handy beziehungsweise über einen Ausdruck abrufen. Für eine App braucht man eine PIN von seiner Krankenkasse - die bekommt man nur nach einer persönlichen Verifizierung vor Ort bei seiner Kasse oder in der Post. Offenbar ist vielen das Prozedere zu mühsam, Anträge für die PIN gab es nur wenige.

Grosse Skepsis bei Ärzten

Bei der schleppenden Einführung kommt erschwerend hinzu, dass die Skepsis in der Ärzteschaft gross ist. In diesem Jahr wurden bisher nur rund 525'000 Digitalverschreibungen eingelöst. Zum Vergleich: Pro Jahr werden in Deutschland circa 500 Millionen Verschreibungen als rosa Zettelchen ausgestellt - der Anteil der Digitalverschreibung ist also verschwindend gering.

Auf freiwilliger Basis können in Deutschland zwar alle Praxen das E-Rezept anbieten, von einer flächendeckenden Anwendung ist das Produkt aber weit entfernt. Mit der Pilotregion Westfalen-Lippe sollte die Digitalverschreibung neuen Schwung bekommen - die dortige Kassenärztliche Vereinigung hatte sich bereiterklärt, die Einführung aktiv zu begleiten und Schritt für Schritt mehr Praxen einzubinden. Schleswig-Holstein sollte ebenfalls voranschreiten, brach dies bei Arztpraxen wegen Datenschutzbedenken zur geplanten Nutzung von SMS und E-Mails aber ab.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hatte im Falle von Westfalen-Lippe befürchtet, dass es in der geplanten Form Datenmissbrauch in Apotheken geben könnte. Notwendige technische Nachrüstungen mit Updates für Konnektoren - also Routern - und die Apotheken-Software dauern wohl bis Mitte 2023. So lange wollte die KVWL nicht warten und zog nun die Reissleine.

"Bankrotterklärung für Digitalisierung im Gesundheitswesen"

"Die Entscheidung des Datenschützers ist eine Bankrotterklärung für die Digitalisierung im Gesundheitswesen generell und speziell in der ambulanten Versorgung", sagte KVWL-Vorstand Thomas Müller. Das angestrebte Ziel, dass 25 Prozent aller Verschreibungen von gesetzlich Versicherten elektronisch erfolgen, könne nicht erreicht werden.

Durch die Entscheidung des Bundesdatenschutzbeauftragten sei der angestrebte Fortschritt für Patienten, Ärzte und alle weiteren Beteiligten in Frage gestellt. "Wir fordern erneut eine rein digitale Lösung - nur dann kann eine Fortsetzung des Rollouts durch die KVWL erfolgen", sagte Müller.

Die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständige Berliner Firma Gematik äusserte sich ebenfalls enttäuscht. Man bedauere die Entscheidung der KVWL, die Einführung des E-Rezepts vorläufig nicht weiter zu forcieren. Das E-Rezept werde aber bundesweit weiterhin genutzt, stellte sie heraus. Seit Anfang Oktober hätten mehr als 3700 Arztpraxen E-Rezepte ausgestellt, die in mehr als 9200 Apotheken eingelöst worden seien. Die Anzahl der für die App "Das E-Rezept" ausgegebenen PIN sei zwar noch niedrig, aber Berichte von Patienten bestätigten die Vorteile des komplett papierlosen Wegs.

E-Rezept weiterhin flächendeckend ab 2023

Die nächsten Schritte für die bundesweite Einführung des E-Rezepts werden die Gesellschafter der Gematik - neben dem Mehrheitseigner Bundesgesundheitsministerium auch Interessenorganisationen aus der Gesundheitsbranche - bei einer ihrer nächsten Versammlungen abstimmen. Das Ziel einer flächendeckenden Einführung des E-Rezepts im Jahr 2023 bleibe bestehen, so die Gematik.

Die Umstellung von Papierrezept auf Digitalverschreibung ist ein Grossvorhaben im deutschen Gesundheitswesen, das bereits Startprobleme hatte. Ein Pilotprojekt in Berlin-Brandenburg verlief im vergangenen Jahr weitgehend im Sande, eine bundesweite Testphase begann später als geplant. Die eigentlich für Januar 2022 vorgesehene Pflichteinführung wurde abgebrochen. Die freiwillige Einführung mit Pilotregionen, wo die Motivation in der Ärzteschaft relativ hoch ist, entwickelt sich nun ebenfalls zum Rohrkrepierer.

Der Zugriff auf die Digitalverschreibung über die App kann praktisch sein, etwa wenn man eine Videosprechstunde wahrgenommen hat und der Arzt danach kein Papierrezept per Post schicken muss. Für Privatversicherte gilt das Digitalrezept nicht.

(AWP/cash)