Der Markt preiste Ende des vergangenen Jahres, vor allem ab Mitte Oktober, viel Positives ein. Die Folge waren deutliche Kursgewinne bei Aktien. Doch nun sind viele Marktteilnehmer wieder skeptischer geworden. Vier Gründe, weswegen die nächsten Wochen eher schwierig werden könnten:

1) Die Risikoprämie bei Aktien tendiert gegen Null

Beobachter der Märkte haben in den vergangenen Tagen festgestellt, dass die sogenannte Gewinnrendite von US-Aktien gegenüber Anleihen kaum noch gegeben ist. Die Gewinnrendite ist der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses und visualisiert anhand einer "Verzinsung" von Aktienanlagen, wie sehr Risiko belohnt wird.

Beim S&P 500 liegt die Gewinnrendite bei gut 5 Prozent. Dabei liegt die Rendite von US-Staatsanleihen mit sechs Monaten Laufzeit ebenfalls bei etwa 5 Prozent. 

Der Abstand von Gewinnrendite bei Aktien und den Zinsen von Sechs-Monats-Staatsanleihen bewegt sich gegen Null.

Der Abstand von Gewinnrendite bei Aktien (schwarz) und den Zinsen von Sechs-Monats-Staatsanleihen (rot) bewegt sich gegen Null (separate blaue Linie).

Quelle: Bloomberg

Die Konkurrenz von Anleihen zu Aktien ist vor allem in den USA sehr ausgeprägt und sie hat sich zuletzt verschärft. "Mit einer ausgeglichenen Multi-Asset-Strategie erzielt man langfristig eine Rendite von rund 4,5 Prozent. Mit Cash-Beständen beziehungsweise kurzlaufenden T-Bills erzielt man dies im Moment dank der stark gestiegenen Zinsen ebenfalls – und erst noch de facto risikolos", sagt Matthias Geissbühler, Anlagechef der Raiffeisenbanken, auf cash.ch-Anfrage. Damit nehme der Bedarf nach Risikoanlagen wie Aktien ab. 

Geissbühler widerspricht auch einer vor allem Anfang Jahr verbreiteten Ansicht, dass hohe Cash-Bestände die Kurse bald wieder antreiben würden: "Ich glaube, dass aufgrund der stark gestiegenen Zinsen die Cash-Bestände bewusst hoch gehalten werden und nicht so schnell in Aktien fliessen."

2) Die Attraktivität von Dividenden könnte sinken

Die hohen Renditen von Anleihen schmälern potenziell auch die Attraktivität von Dividendenaktien. Geht man von durchschnittlich etwa 3 Prozent Dividendenrendite aus, dann erreichen die Zinsen zumindest in den USA jetzt ein vergleichbares Niveau. In Europa ist die Annäherung zwischen Dividendenrenditen und Zinsen noch etwas weniger ausgeprägt, aber auch schon klar zu beobachten. Die Rendite von zehnjährigen deutschen Bundesanleihen liegt bei 2,53 Prozent. Französische OAT geben 3,01 Prozent Rendite her, britische Gilts 3,60 Prozent. 

Etwas entspannter ist die Lage in der Schweiz, wo die Rendite von 1,29 Prozent bei der Bundesobligation deutlich tiefer liegt als in europäischen Ländern und den USA. Unter den kotierten Gesellschaften in der Schweiz gibt es sehr gute und attraktive Dividendenzahlerinnen, die sich auch weiterhin lohnen (cash berichtete hier).

Zudem empfiehlt es sich bei Dividenden sowieso, längerfristig investiert zu sein und nicht nur auf kurzfristige Zinsentwicklungen zu schauen. Allerdings steigt das Zinsniveau auch in der Schweiz weiter an. Aller Voraussicht nach wird die Schweizerische Nationalbank im März den Leitzins von 1 auf 1,5 Prozent erhöhen. Ob danach eine Zinspause folgen wird, wird sich zeigen.     

3) Spekulation und Volatilität bleiben ein grosses Risiko

Die Volatilität gemessen am Index VIX liegt deutlich tiefer als Mitte des vergangenen Jahres, ist in den vergangenen Wochen aber wieder angestiegen. Besonders in den vergangenen Tagen ist wieder ein Anstieg verzeichnet worden. Der VIX will die Schwankungsbreiten an den Märkten abbilden und basiert auf Daten aus dem Optionenhandel an der Terminbörse Chicago Board of Options Exchange (Cboe).

Im Volatilitätsindex VIX ist der Punktestand im Februar wieder angestiegen.

Im Volatilitätsindex VIX ist der Punktestand im Februar auf über 23 Punkte wieder angestiegen (Ansicht: Vergangene sechs Monate).

Quelle: Bloomberg

Was der Volatilitätsindex nicht in ausreichender Form zeigt, sind die Signale, die der Handel mit sehr kurzfristig laufenden Optionen aussendet. Der Handel mit sogenannten 0DTE-Optionen mit null Tagen Laufzeit ist in letzter Zeit deutlich angestiegen. JPMorgan schätzt bei jenen Instrumenten das tägliche nominale Volumen auf eine Billion Dollar. Daytrader-Wetten mit Optionen haben das Potential, Bewegungen am Markt zu verstärken. Im schlimmsten Fall können sie einen kurzfristig starken Rückgang der Aktienkurse bewirken. 

Dies könnte wie folgt ablaufen: Die Market Maker, die dem Optionshandel Liquidität zur Verfügung stellen, wollen ihre Position marktneutral halten. Je nach Kursbewegungen beim S&P 500 könnten sie deshalb gezwungen sein, grosse Aktienpositionen zu verkaufen.

JPMorgan-Stratege Marko Kolanovic warnte deswegen kürzlich vor einem "Volmageddon", einem volatilitätsbedingten Schock, der die Kurse nach unten reisst. Anlegerinnen und Anleger, die selber keine Optionen handeln, würden damit Leidtragende einer zu intensiv gewordenen Spekulation. 

4) Der Aufstand gegen die Fed scheitert

Letztendlich münden die Überlegungen, die um den Aktienmarkt angestellt werden, schnell einmal bei der Geldpolitik. Oder genauer, der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed). Anfang Jahr preiste der Markt einen baldigen Peak bei den Leitzinsen oder sogar noch 2023 wieder sinkende Zinsen ein. Der S&P 500 legte im Januar rund 9,3 Prozent zu, der deutsche Dax sogar 10,2 Prozent. Auch der pharma- und nahrungsmitteldominierte SMI schaffte 3,6 Prozent.

Der Markt vor allem in den USA probte gewissermassen einen Aufstand gegen die Fed. Nicht der Markt solle auf die Fed achten, sondern die Fed auf der Markt, lautete implizit die Forderung. Zur erhofften Änderung der ungeschriebenen Spielregeln sagte die Fed selber nein, als nach dem Zinsschritt auf 4,5 Prozent am 1. Februar kommuniziert wurde, dass die Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation konsequent weitergehen würden. Die US-Inflation fiel im Januar weniger stark als erwartet. Die bisher zu optimistischen Aktienmärkte preisen rasche Zinssenkungen wieder aus. 

Am 31. Januar, kurz vor dem letzten Zinsschritt, lag der implizierte Fed-Zinspeak bei 4,916 Prozent anlässlich der Juni-Sitzung des Offenmarktausschusses. Am 22. Februar lag die Schätzung bei 5,345 Prozent für die Juli-Sitzung des Führungsgremiums der Notenbank. 

Nicht nur in den USA ändert sich die Stimmung. Auch Isabel Schnabel aus dem Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) versetzte den Märkten vergangene Woche einen fröstelnden Schauder, als sie sagte, die Märkte erhofften sich von den Notenbanken zu viel. Das Umfeld bleibt schwierig. Zumal - jetzt, wo sich der russische Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal jährt - sich die Finanzmärkte geopolitisch wie konjunkturell selbst bei sinkenden Energiepreisen und geringerer Rezessionserwartung in einem Umfeld mit mehr Unsicherheit als normal bewegen.