Investoren, die jetzt die Rally am Aktienmarkt kaufen, werden enttäuscht werden. Dies schreibt Morgan-Stanley-Stratege Mike Wilson, der sich 2022 als einer der meistzitierten Bären der Wall Street einen Namen machte. "The Fear of Missing Out" - kurz FOMO - sei ein gefährliches Gefühl, schreiben Strategen der amerikanischen Grossbank. "Durch bessere Preisbewegungen bei Aktien sind viele Anleger zur Überzeugung gekommen, sie würden etwas verpassen - das verleitet sie dazu, aktiver zu werden."

Die Märkte verletzen laut Wilson eine elementare Grundregel: "Don’t Fight the Fed". Gegen den Kurs der Federal Reserve zu wetten hat in den letzten Wochen als weniger verwegen gegolten als auch schon. Bei den Prognosen über den weiteren Verlauf geldpolitischer Entscheidungen herrscht derzeit ein hohes Mass an Einigkeit. Die Notenbank der USA wird diese Woche einen weiteren Zinsschritt unternehmen. Es wird erwartet, dass der Leitzins um 25 Basispunkte angehoben wird. Wie sich die Zinsen im weiteren Verlauf des Jahres entwickeln, ist aber Gegenstand divergierender Einschätzungen. 

Tiefere Gewinne und schwächere Margen

Die Berichtssaison in den USA hat die Rally noch angeheizt. Investoren aber haben in den vergangenen Wochen Unternehmen, welche die Erwartungen übertreffen, mit Käufen belohnt. Bei einem Verfehlen der Prognosen zeigen sich die Märkte vergleichsweise gnädig. Wendy Soong von Bloomberg Intelligence führt dies auf Restrukturierungen und Kostensparmassnahmen der Unternehmen zurück. Dies löse am Markt mehr Zuversicht aus. 

Nach Beobachtungen von Morgan Stanley ist die Gewinnsituation der Unternehmen in den USA schlechter als erwartet. Speziell die Margen seien schwach. Auf die jüngsten Anlegerhoffnungen giessen Wilson und sein Team kaltes Wasser: "Wir glauben, dass die letzten Preisbewegungen vor allem die Folge eines saisonalen Januar-Effekts sowie von Rückkäufen leerverkaufter Titel nach einem harten Dezember-Ende und einem brutalen Jahr sind."

«Schlimmste Gewinnrezession seit 2008»

Beim Blick auf die nächsten Schritte der Fed ist Wilson skeptisch. Daten scheinen zwar derzeit stärker zu untermauern, dass der Kampf gegen die Inflation über Zinserhöhungen erste Erfolge zeigt. Wilson fürchtet eine Fed, die sich trotz allem nicht klar zu einer wieder lockereren Geldpolitik bekennen wird. Aktuell herrsche "die schlimmste Gewinnrezession" seit 2008, was aber vom Markt falsch eingepreist sei. Aus diesen Faktoren schliesst Wilson, dass sich die Vorzeichen am Markt bald drehen werden. 

Auch in anderen Teilen der Welt melden sich Stimmen, die der Rally nicht trauen. Nach der Handelspause um das chinesische Neujahrsfest ist die Stimmung an den Märkten des Landes gedämpft. Das Konsumverhalten in China zeigt sich zwar robust, doch gibt es Skepsis um den Immobilienmarkt. Die Wohnungsverkäufe sind im Jahresvergleich um 14 Prozent gefallen. 

Aus Sicht von Morgan Stanley lässt der chinesische Aktienmarkt seine "Risko-Rally-Phase"hinter sich. Als mögliche Belastung für den Markt gelten auch die Importbeschränkungen für gewisse Halbleiterprodukte durch die USA und andere westliche Länder. 

Europa-Grosskonzerne mit schwachem Ausblick

In Europa, wo die Aktienkurse seit September steigen, mehren sich ebenfalls die Downside-Risiken und die Unwägbarkeiten, die von der Geldpolitik ausgehen. Aus Sicht von grossen Anlagegesellschaften wie Blackrock und Amundi ist der 10-Prozent-Kursgewinn seit Jahresanfang der europäischen Märkte die Folge eines verfrühten Optimismus’. Die Strategen fürchten, dass kein Upside mehr übrig bleibt. 

Auch in Europa sagen kritische Stimmen, die Gewinnschrumpfungen der Unternehmen seien noch nicht richtig eingepreist. Analysten, welche ihre Schätzungen auf Basis der Unternehmensanalysen vornehmen, erwarten bei den Gewinnen für 2023 eine Seitwärtsbewegung. In übergeordneten Marktanalysen - darunter solche der UBS, von Goldman Sachs und von der Bank of America - rechnen Spezialisten mit Gewinnrückgängen von 5 bis 10 Prozent. 

Die nachlassende Inflation macht es für Firmen schwieriger, Preise zu erhöhen oder Preiserhöhungen zu halten. Dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Nachfrage wieder sinkt. Negativ zum Ausblick haben sich stark beachtete Unternehmen wie der Modekonzern H&M, der Windturbinenhersteller Vestas und das Softwareunternehmen SAP geäussert. 

EZB «hat wenig Handlungsspielraum» wegen hoher Inflation

Mit dem nahenden Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine in der zweiten Februarhälfte wird klarer, dass dieser geopolitische Konflikt nicht vorbei ist. Vor allem aber bezüglich der Geldpolitik ist der Markt zu optimistisch, wenn man auf die kritischen Strategen hört. Die Währungshüter der Eurozone signalisieren immer wieder, dass sie die Zinsen erhöhen werden, bis ein nachhaltiger Rückgang der Teuerung sichtbar werde. Der Markt glaubt indessen an Zinssenkungen im Lauf des Jahres. 

Eine hohe Inflation durch das ganze Jahr durch werde dazu führen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) "wenig bis keinen Handlungsspielraum"für Zinssenkungen hätten, sagt Stratege Joachim Klement von Liberum. "Wenn die Zentralbanken die Fehler der 1970er Jahre nicht wiederholen wollen, müssen sie abwarten, bis die Inflation nahe an 3 Prozent liegt. Dies erwarten wir nicht vor 2024."

(Bloomberg/cash)