Während sich die meisten europäischen Länderindizes im Jahr 2023 in einen Bullenmarkt getreten sind, liegt der wichtigste Schweizer Aktienindikator SMI immer noch etwa 7 Prozent unter dieser Schwelle. Die Bevorzugung von Wachstumsaktien wie Technologiewerten (die im Swiss Market Index überwiegend fehlen) sowie zyklischen Werten hat dafür gesorgt, dass der bekanntermassen defensive SMI weiterhin ein Nachzügler bleibt.
Es sieht nun aber so aus, als könnte sich das bald ändern. Der Schweizer Markt dürfte auf relativer Basis eine Outperformance erzielen, da die Renditen sinken und sich der Konjunkturzyklus verlangsamt, sagt Wolf von Rotberg, Aktienstratege bei der Bank J. Safra Sarasin. Er mag Schweizer Aktien auf dem aktuellen Niveau, da er erwartet, dass im vierten Quartal dieses Jahres eine Rezession einsetzt und die Zinsen gegen Ende 2023 sinken.
Während sich die harten Wirtschaftsdaten gut behaupten, deuten Umfragen und Prognosen auf schwächeres Wachstum hin, wenn nicht sogar auf eine Rezession. Eine abnehmende Zahl positiver Konjunkturüberraschungen, monatelang rückläufige PMI-Aktivitätswerte in Europa und eine umgekehrte Zinsstrukturkurve in den USA drängen Anleger dazu, sicherere Optionen in Betracht zu ziehen.
Mit einer Gewichtung in verlässlichere Sektoren wie Gesundheitswesen und Nahrungsmittel von über 50 Prozent gehört der SMI zu den defensivsten Indizes überhaupt. JPMorgan-Strategen unter der Leitung von Mislav Matejka vertreten die Ansicht, dass die Bedingungen dahin gehend verändern, dass Investoren den Schweizer Markt begünstigen sollten. Das JPMorgan-Team ist zwar weiterhin übergewichtet im Wachstum gegenüber billigeren sogenannten Value-Aktien, glaubt jedoch, dass defensive Sektoren für den Rest dieses Jahres ein attraktiveres Risiko-Rendite-Verhältnis bieten.
Laut den HSBC-Strategen Amit Shrivastava und Edward Stanford hat sich die Konsensgewinndynamik für Schweizer Aktien, die auf den niedrigsten Stand seit mehr als zehn Jahren gefallen war, deutlich gewendet und nähert sich derzeit dem breiteren Markt an. Tatsächlich sei die 12-Monats-Prognose für das Wachstum des Gewinns pro Aktie (EPS) für den Markt mit 15 Prozent stark und damit deutlich höher als die EPS-Wachstumsprognose für den breiteren europäischen Index, heisst es. Infolgedessen haben sie letzte Woche Schweizer Aktien gleich doppelt von Untergewichtung auf Übergewichtung hochgestuft und dabei "klare Anzeichen einer Belebung" in ihrer Kursentwicklung gesehen.
Mit Blick auf die Positionierung der Anleger gehen sie derweil davon aus, dass die aktuellen Bestände nahe am langfristigen Durchschnittsniveau liegen, was auf "erhebliches Kaufpotenzial" hindeute.
Die Zürcher Kantonalbank hat ihre Gewinnschätzungen für die Schweiz erhöht, vor allem für die defensiveren Unternehmen des Marktes, darunter Novartis, Swisscom, Galenica und Alcon. Aber auch die Aussichten für Namen, die von einer weiteren Erholung der Reiseströme profitieren dürften, wie Richemont, Flughafen Zürich und Dufry, sowie für Halbleiteraktien wie Inficon und VAT Group, die sich in letzter Zeit gut entwickelt haben, sind positiver. „Aufgrund seiner defensiven Eigenschaften bevorzugen wir den Schweizer Aktienmarkt innerhalb eines globalen Aktienportfolios“, sagt Omar Brem, Leiter Research der ZKB.
Brem gewichtet Aktien in seiner taktischen Vermögensallokation angesichts der bevorstehenden Konjunkturabschwächung weltweit unter und geht davon aus, dass die Anleger Sicherheit suchen.
(Bloomberg)