cash.ch: Frau Denis, in Ihrer jüngsten Analyse des Anlegerverhaltens institutioneller und privater Investoren in Europa haben Sie festgestellt, dass Anleger trotz enormer Schwankungen in diesem Jahr keine grossen Portfolioanpassungen vorgenommen haben. Können Sie das ausführen?
Sabrina Denis: Wir schauen zweimal im Jahr die Portfolios all unserer Kunden durch und analysieren deren Anlageverhalten. Dabei haben wir festgestellt, dass das Risikoverhalten zumindest bei den europäischen Investorinnen und Investoren relativ gleich geblieben ist. Das heisst, die Aktienquoten sind in Europa mit rund 62 Prozent relativ stabil geblieben. Natürlich ist das der Durchschnitt, doch für Anleger mit einem hohen Engagement in Mischfonds ist diese Information sehr hilfreich.
Wieso?
Gerade hier in Europa ist diese Art Fonds sehr beliebt. Mischfonds sind jedoch eine Art Blackbox. Vielfach werden sie den Kunden mit sehr ausgefallenen Namen angepriesen, aber im Endeffekt weiss der Kunde oft nicht, wie viel Aktien, Anleihen oder auch andere Anlageklassen wie Gold enthalten sind.
Trotz geringer Portfolioanpassungen haben Investoren in diesem Jahr US-Anlagen ausgebaut. Dennoch sind sie in den USA unterinvestiert. Was sind die Gründe dafür?
Genau. Weltweit geniessen US-Aktien eine Gewichtung von 65 Prozent. In den Portfolios unserer Kunden sind sie mit einer Portfoliogewichtung von 50 Prozent vertreten. Der enorme Unterschied kommt erstens vom sogenannten «Home Bias». Das heisst, europäische Anleger investieren vielfach in Werte, die sie kennen. Deutsche vielleicht eher in eine Siemens, Franzosen eher in eine Louis Vuitton. Und zweitens beinhalten Anlagen auf dem Heimmarkt keine Währungsrisiken – und viele Investoren möchten dieses Risiko heutzutage nicht tragen.
Ebenso haben Investoren die Gewichtungen des Technologiesektors und von Large Caps ausgebaut. Ist diese Verschiebung passiv passiert, oder kaufen europäische Anleger aktiv dazu?
In der Tat war es beides. Erstens: Seit Donald Trump wieder im Amt ist, ist das Umfeld von mehr Unsicherheit geprägt. In einem solchen Umfeld tun sich Anlegerinnen und Anleger natürlich leichter, in Large Caps oder Mega Caps zu investieren. Und zweitens: Das Feedback vieler Kunden war vielfach zulasten von Small- und Mid-Caps - im Sinne von: «Ich fühle mich noch nicht ganz wohl mit Small und Mid Caps und warte noch etwas, bis sich der Markt wieder einpendelt.» Es waren somit aktive Entscheide, aber auch die Kursgewinne zugunsten der Large und Mega Caps. Das hat die Schere vergrössert.
Steigen mit dieser Konzentration nicht auch die Portfoliorisiken beträchtlich? Wie reagieren die Kunden, wenn Sie sie darauf ansprechen?
Die Kunden sind über die letzten fünf Jahre sehr gut mit den Large und Mega Caps gefahren. Sie von einer Alternative zu überzeugen, ist derzeit schwierig. Aber ich finde, es gibt zwei Typen von Anlegern: Die einen jagen der Rendite der Vergangenheit hinterher – das ist ja ein bisschen so beim Tech-Thema. Aber die anderen, jene mit dem Blick nach vorne, verstehen diese Problematik. Wenn wir ihnen aufzeigen, dass die Konzentrationsrisiken gestiegen sind, schauen sie sich diese Konstellation an und nehmen teilweise Anpassungen vor - auch wenn eine Portfoliomodellierung aufgrund der jüngsten Kurshistorie zulasten von Small und Mid Caps ausfällt.
Eine weitere Erkenntnis Ihrer Studie ist die vermehrte Beliebtheit aktiver Anlagestrategien. Könnte es nun nach 15 Jahren endlich zu einem Trendwechsel hinaus aus den passiven Anlagevehikeln kommen?
Natürlich sind wir (Anm. der Red.: Janus Henderson) ein Haus mit aktiven Anlagestrategien. Ein gewisser «Bias» unserer Analysen und Kunden dürfte zu erwarten sein. Im Grunde geht es aber nicht darum, ein Portfolio zu 100 Prozent aktiv oder passiv zu gestalten. Vielmehr geht es darum, wie wir immer sagen: «active where active matters». Denn manchmal macht es Sinn, ein bestimmtes Segment passiv abzudecken. Aber in anderen Bereichen, wo ich beispielsweise eine grosse Streuung habe, macht es eben mehr Sinn, dass ich das Alpha respektive die Überrendite durch einen aktiven Manager herausziehen kann. Dort geht es dann wirklich um Effizienz.
Was wäre ein solcher Bereich?
Der Biotechnologie-Bereich ist ein bekanntes Beispiel. Wenn ich diesen über einen passiven Ansatz abdecke, bin ich sehr breit gestreut. Ich habe also viele Gewinner, aber auch sehr viele Verlierer in meinem Portfolio. Da dieser Sektor einerseits eine Nische ist und andererseits sehr viel Fachwissen voraussetzt, brauche ich eine fachkundige Person, um mich in dieser Landschaft zurechtzufinden. Diese Portfoliomanager sind vor Ort bei den verschiedenen Unternehmen, sprechen mit Entscheidungsträgern und können die Erfolgswahrscheinlichkeiten bestimmter Medikamente einschätzen. Ein passiver ETF kann nie evaluieren, wer ein profitables Geschäftsmodell fährt oder nicht. Wenn man in einem solchen Bereich einen aktiven Ansatz verfolgt, kann das wirklich einen Unterschied machen.
Kann die Rotation hinaus aus den passiven Anlagevehikeln auch ein Hinweis auf die Erwartungen der Investoren zu zukünftigen Risiken sein?
Ich glaube schon, dass die Investoren davon ausgehen, dass die Risiken auf jeden Fall nicht weniger werden. Wirtschaftspolitik, Krieg und Klima - das sind viele Themen, die den Anlegern natürlich bewusst sind. Und ja, wir sind auf Höchstständen, was wiederum Anleger verunsichert. Die Rekordjagd beim Gold spiegelt ja auch diese Unsicherheit der Anleger in gewisser Weise wider. Deswegen denken wir schon, dass der Trend hin zu aktivem Management auch ein Zeichen dafür ist, dass Kunden erwarten, dass unsichere Zeiten bevorstehen. Schliesslich zahle ich dem aktiven Manager eine höhere Gebühr als der passiven Fondsvariante und vertraue darauf, dass er mein Portfolio durch diese unsicheren Zeiten manövriert – mit mehr Dynamik und mehr Flexibilität.
Sabrina Denis ist Senior Portfolio Strategist bei Janus Henderson Investors. Sie ist zudem Mitglied des Portfoliokonstruktions- und Strategieteams, das sich auf die Bereitstellung umsetzbarer Anlagestrategien und Vordenkerpositionen konzentriert, um Kunden bei Anlagepositionierung zu unterstützen.
Frau Denis hat einen Bachelor-Abschluss in Sozioökonomie von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und einen Master-Abschluss in Statistik von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie hat 10 Jahre Erfahrung in der Finanzbranche, unter anderem bei Goldman Sachs.

