Die Aktienmärkte befinden sich weiterhin in einem Korrekturmodus. Der Swiss Market Index (SMI) hat seit Jahresbeginn knapp 15 Prozent eingebüsst, was die Bewertung gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf einen Wert von 15 gedrückt hat. Dies ist ein Niveau, das letztmals im Jahr 2011 vorherrschte. Doch sind die SMI-Titel deswegen ein Schnäppchen?
Analysten erachten vielfach das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) für die Bewertung als aussagekräftiger als das KGV. Das KBV für den SMI liegt bei 2,9, was dem Niveau von Ende 2020 entspricht und über dem langjährigen Durchschnitt liegt. Die Aktien des Schweizer Leitindex sind daher nicht so stark günstiger geworden, wie dies aus der alleinigen Betrachtung des KGV hervorgeht.
Die Kennzahl errechnet sich, indem der Aktienkurs durch den Buchwert je Aktie dividiert wird. Der Buchwert entspricht dem Eigenkapital, das allen immateriellen Vermögensgegenstände, Sach- und Finanzanlagen eines Unternehmens entspricht. Dividiert man den Wert durch die Anzahl der am Markt erhältlichen Titel, ergibt sich der Buchwert je Aktie.
Markt erwartet Rückgang des Eigenkapitals bei der Credit Suisse
Errechnet sich für eine Aktie ein KBV von unter eins, bedeutet dies faktisch: Man könnte das Unternehmen für weniger Geld kaufen, als es laut Bilanz wert ist. Dies ist grundsätzlich ein klares Zeichen für einen günstigen Kauf. In der untenstehenden Tabelle, in der die SMI-Aktien nach steigendem KBV geordnet sind, wäre die Credit Suisse mit einem Wert von 0,3 mit Abstand die interessanteste Aktie - quasi ein Schnäppchen.
Mit einer Eigenkapitalrendite von knapp minus 4 Prozent ist der Bewertungsabschlag bei der kriselnden Grossbank aber gerechtfertigt. Tendenziell sinkende Erträge bei steigenden Kosten sowie Risiken bei hängigen Rechtsfällen werden die Aktie weiterhin tiefhalten. Die starke Fokussierung auf das Investmentbanking ist in einem rezessiven Umfeld ein Nachteil. Die Credit Suisse ist ein gutes Beispiel für den Fall, wenn der Markt davon ausgeht, dass sich das Eigenkapital in der Zukunft durch Verluste weiter verringert.
Eine andere Ausgangslage bieten die Aktien der UBS, die am Markt mit KBV von 0,9 ebenfalls mit einem Bewertungsabschlag gehandelt werden. So befindet sich die Eigenkapitalrendite bei gut 13 Prozent. Obwohl sich die Aktie mit einem Kursverlust von 7 Prozent im 2022 besser schlägt als der Gesamtmarkt, sehen die von Bloomberg befragten Analysten ein weiteres Aufwärtspotenzial von 36 Prozent. Wegen geringerer Erträge aus den Handelsaktivitäten und dem konjunkturellen Gegenwind für das Investmentbanking dürfte jedoch ein langer Atem notwendig sein, bis dieser Kursgewinn Tatsache wird.
Holcim mit Bewertungsabschlag
Für Anlegerinnen und Anleger könnte auch das gute Abschneiden des Zementkonzerns Holcim für einen Kaufentscheid interessant sein. Mit einem KBV-Wert von 0,9 ist die Aktie gegenüber dem bilanzierten Eigenkapital ebenfalls unterbewertet. Auch das tiefe KGV von 11 stützt diese Sichtweise.
Der Konzern hat zudem in der Vergangenheit bewiesen, dass er auch in einem schwierigen Wirtschaftsumfeld zu Kostensenkungen und Margenverbesserungen in der Lage ist. Dem steht entgegen, dass die Energiekosten für die Zementproduktion deutlich in die Höhe geschnellt sind, was den Gewinn belasten dürfte.
Titel | Kursentwicklung seit Jahresbeginn | Kurs-Buchwert-Verhätnis (KBV) | Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) |
Credit Suisse | -42 Prozent | 0,3 | - |
Holcim | -12 Prozent | 0,9 | 11 |
Swiss Re | -20 Prozent | 0,9 | 15 |
UBS | -7 Prozent | 0,9 | 7 |
Swiss Life | -15 Prozent | 0,9 | 12 |
Zurich Insurance | +3 Prozent | 1,7 | 12 |
Alcon | -14 Prozent | 1,8 | 76 |
Swisscom | +2 Prozent | 2,4 | 17 |
Richemont | -28 Prozent | 2,8 | 27 |
Novartis | +3 Prozent | 3,0 | 8 |
Logitech | -33 Prozent | 3,7 | 14 |
ABB | -25 Prozent | 3,9 | 11 |
Lonza | -25 Prozent | 4,3 | 63 |
Nestlé | -10 Prozent | 6,0 | 19 |
Sika | -42 Prozent | 7,2 | 30 |
Givaudan | -32 Prozent | 7,6 | 37 |
Partners Group | -43 Prozent | 7,8 | 15 |
Geberit | -36 Prozent | 9,1 | 23 |
Roche | -12 Prozent | 10,8 | 20 |
SGS | -27 Prozent | 14,9 | 27 |
Quelle: Bloomberg.
Während von den dividendenstarken Versicherungstiteln Swiss Re und Swiss Life ein KBV unter 1 vorweisen, gilt Zurich Insurance im Vergleich als "teuer". Doch der Wert von 1,7 für Zurich Insurance heisst nicht automatisch, dass die Aktie überbewertet ist und eine Kurskorrektur droht. Denn ein KBV über 1 kann auch bedeuten, dass der Markt die wirtschaftliche Zukunft des Unternehmens positiv einschätzt. So dürfte sich die Wachstumsdynamik in der Schaden- und Unfallversicherung unterstützt durch Preiserhöhungen im zweiten Quartal fortgesetzt haben.
Es gibt weitere Fallstricke für die Verwendung der Kennzahl: So bestehen viele verschiedene Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, und das KBV sagt für Unternehmen mit hohen immateriellen Werten wie starker Marke oder grosser Innovationskraft meist wenig aus. Aus diesem Grund liegt das KBV bei Technologie-Unternehmen in der Regel weit höher als bei klassischen Industrieunternehmen. Das KBV ist daher wie das KGV branchenabhängig.
So ist Logitech als Technologietitel mit einem KBV von 3,7 nicht per se überbewertet. Die Aktien befinden sich mit dem diesjährigen Kursminus von 33 Prozent wieder auf dem Bewertungsniveau von 2016. Während eine Rezession den Umsatz eine Zeit lang beeinträchtigen könnte, spricht die starke Rentabilität und die schuldenfreie Bilanz für Logitech. Dem gegenüber ist bei den zyklischen Industrietiteln Geberit und Sika mit einem KBV von 9,1 und 7,2 Vorsicht angebracht.
Novartis deutlich günstiger als Roche
Auch Immobilien können auf unterschiedliche Art und Weise in den Buchwert einfliessen. Ausserdem werden bei dem Kurs-Buchwert-Verhältnis die stillen Reserven oder Lasten nicht berücksichtigt. Daher verliert das KBV insbesondere bei Beteiligungsgesellschaften an Aussagekraft. Bei den Aktien von Partners Group hat das KGV daher für die Bewertung mehr Relevanz.
Abgeschlagen die teuerste Aktie im SMI ist mit einem KBV von 14,9 SGS. Trotz der starken Ertragskraft, der sicheren Dividendenrendite und der historisch bewiesenen Widerstandsfähigkeit in konjunkturell schwierigen Zeiten ist der Warenprüf- und Inspektionskonzern für weitere Korrekturen anfällig. Das SGS Mitte September aus dem Schweizer Leitindex absteigen wird, dürfte den Abwertungsdruck noch verstärken.
Trotz aller Einschränkungen eignet sich das KBV als Alternative zum KGV, um günstige Aktien oder überteuerte Werte zu identifizieren. So wird Roche mit mehr als dem zehnfachen des Eigenkapitals an der Börse gehandelt und ist damit mehr als dreimal so teuer wie Novartis. Dieser Bewertungsvorteil widerspiegelt sich dabei auch im Vergleich der KGV, wo Roche mit einem Wert von 20 deutlich schlechter wegkommt.
Bei Roche wird 2022 zu einem Übergangsjahr und derzeit lasten zahlreiche Misserfolge bei der Pipeline auf den Titeln. Novartis profitiert hingegen von den strategischen Schritten der letzten sechs Monaten. Dazu gehören die Überprüfung von Sandoz, der Verkauf der Roche-Beteiligung und das aufgelegte Milliarden-Dollar-Sparprogramm. Diese unterschiedliche Ausgangslage widerspiegelt sich auch in der unterschiedlichen Kursentwicklung: Die Genussscheine verlieren in diesem Jahr bisher 12 Prozent, während die Aktien von Novartis ein kleines Kursplus vorweisen.