Die Frankenstärke erstaunt Marktteilnehmer, Strategen und Ökonomen Jahr für Jahr aufs Neue. So offensichtlich die Aufwertung des Frankens ist und die Schweizer Währung möglicherweise überbewertet erscheint: Eine wirkliche Frankenschwäche war und ist nicht absehbar. Diese Stärke allein den Devisenverkäufen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) über die letzten zwei Jahre oder der hohen Glaubwürdigkeit der Schweizer Währungshüter zuzuschreiben, greift bei einer Analyse zu kurz. 

Die hiesige Geldpolitik und wirtschaftliche Stabilität vermag zur Frankenstärke beitragen, aber langfristig betrachtet sind andere Faktoren ebenso entscheidend. Ausgehend vom realen effektiven Wechselkurs liefern erstens die überdurchschnittliche Produktivität, zweitens die hohe Kaufkraft und drittens die tiefe Kerninflation in der Schweiz ein makroökonomisch solides Fundament für einen harten Schweizer Franken. 

Die Analyse der realen effektiven Wechselkurse - sogenannter REER - zeigt gemäss Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg keine Überbewertung des Frankens, wenn dieser Wert um die Produktivität bereinigt wird. Aktuell entspricht der Franken dem fairen Wert, so die Analysten. Der reale effektive Wechselkurs ist der gewichtete Durchschnitt der Währung eines Landes im Verhältnis zu einem Index oder Korb anderer wichtiger Währungen. Die Gewichtungen werden dabei durch den Vergleich der relativen Handelsbilanz eines Landes mit der jedes Landes im Index ermittelt.

Kaufkraft in Franken steigt und steigt

Ein Blick auf die Kaufkraft - auf englisch Purchasing Power Parity oder PPP - zeigt, dass diese für den Franken seit Jahrzehnten laufend zunimmt und somit zur Frankenstärke beiträgt. Kaufkraftparitäten stellen die Kaufkraft der nationalen Währung der verschiedenen Länder dar. In ihrer einfachsten Form sind Kaufkraftparitäten Preisverhältnisse für ein identisches Produkt in zwei oder mehr Ländern in den jeweiligen Landeswährungen.

Diese Kaufkraftparität wird auch mit dem sogenannten Big-Mac-Index abgebildet. Der Big-Mac-Index ist ein Indikator, der die Kaufkraft verschiedener Währungen anhand der Preise für einen Big Mac in verschiedenen Ländern vergleicht. Er wurde 1986 von der britischen Wochenzeitung The Economist erfunden, um einen leicht verständlichen Vergleich auf Basis von Kaufkraftparitäten zu ermöglichen und Über- und Unterbewertungen einzelner Währungen zu zeigen. Aufgrund der hohen Kaufkraft ist denn auch ein Big Mac in der Schweiz deutlich teurer als im Ausland. 

Auf sich allein gestellt ist der Big-Mac-Index beim Franken aber kein guter Taktgeber, weil der Big Mac in der Schweiz zu teuer ist, weil das Preisniveau in der Schweiz grundsätzlich hoch ist. Dieser Index zeigt meist eine Überbewertung des Frankens, welche wenig mit der Realität zu tun hat. Aufschlussreich ist vielmehr die Kaufkraftparität bei der Betrachtung der Devisenkursentwicklung, weil diese einem langfristigen Trend folgt. Und diese zeigte und zeigt gemäss nachfolgender Grafik für den Euro zum Franken weiter nach unten - sprich schwächerer Euro und stärkerer Franken. 

Gemäss Berechnungen der UBS dürfte sich der Euro zum Franken auch in den nächsten zehn Jahren weiter an Wert verlieren - Ziel ist ein Kurs im Jahr 2033 von 0,80 Franken. John Bilton, Research Analyst bei JPMorgan Asset Management für langfristige Anlageszenarien teilt diese Meinung und sieht den Euro zum Franken auf ein ähnliches Niveau absinken. Sowohl UBS wie JPMorgan basieren die Prognose darauf, dass beim bestehenden Aufwärtstrend der hiesigen Währung auf absehbare Zeit keine Wende in Sicht ist. 

Schweizer Kerninflation ist im Vergleich zu den G10-Ländern deutlich geringer

Der Frage, welche Rolle die Kerninflation bei der Währungsentwicklung spielt, ist die Commerzbank nachgegangen. Deren Devisenstratege Ulrich Leuchtmann wollte wissen, warum der japanische Yen in den letzten Jahren so spektakulär gefallen ist und sich auf der anderen Seite der Schweizer Franken sehr gut entwickelt hat. Der japanische Yen hatte in den letzten drei Jahren etwa ein Drittel seines Wertes gegenüber dem Schweizer Franken verloren. «Ein spektakuläre Entwicklung im G10-Universum mit relativ geringer Volatilität», so Leuchtmann.

Natürlich mag man monieren, die Schweizerische Nationalbank (SNB) habe ihren Leitzins deutlich weniger erhöht als die anderen G10-Zentralbanken. Dieses Argument ist gemäss Leuchtmann aber falsch. Vielmehr entscheidend für die Entwicklung des Frankens gegenüber dem japanischen Yen ist, dass die Inflation in der Schweiz deutlich weniger gestiegen ist. Die Kerninflation nahm in der Schweiz nach 2020 nie um mehr als 2,5 Prozentpunkte zu, in Japan jedoch um satte 4,7 Prozentpunkte. Noch höher stieg die Kerninflation in den USA, der Eurozone oder im Vereinigten Königreich, wo diese zwischenzeitlich zwischen 5 und 6 Prozent lag. 

Wird nun noch berücksichtigt, wie stark die jeweiligen Zentralbanken die Leitzinsen (y-Achse auf dem Diagramm) im Vergleich zur Kerninflation (x-Achse auf dem Diagramm) angehoben haben, dann ergibt diese Frankenstärke gegenüber dem japanischen Yen durchaus Sinn. Die SNB hat die Leitzinsen in den letzten zwei Jahren um 2,5 Prozent angehoben. Dem stehen unveränderte Leitzinsen von 0 Prozent der BoJ gegenüber. 

In Anbetracht der geringeren Kerninflation in der Schweiz war eine kleine Reaktion der SNB viel gerechtfertigter als die Unterlassung der BoJ, erläutert Leuchtmann. «Die bessere Entwicklung des Frankens basiert auf einem schwächeren Rückgang der inländischen Kaufkraft. Noch wichtiger ist aber eine Zentralbank, die mit einiger Entschlossenheit gegen die Inflation vorgeht und das Risiko von Inflationsschocks minimiert.»

Bei Betrachtung der Grafik des Commerzbank-Devisenstrategen fällt auch Schweden mit einer extrem hohen Kerninflation und verhältnismässig geringen Leitzinserhöhungen auf. Leuchtmann bezeichnet Schweden denn auch als krasse Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. «Obwohl der Anstieg des Leitzinses der schwedischen Zentralbank Riksbank fast so gross war wie der der Europäischen Zentralbank (EZB) oder der Royal Bank of Australia (RBA), ist die Geldpolitik der Riksbank immer noch weitaus weniger angemessen. Die Riksbank hätte viel mehr Gründe gehabt, ihren Leitzins weiter anzuheben.» Deshalb hatte die schwedische Krone nach dem Yen die G10-Währung mit der zweitschlechtesten Performance in den letzten Jahren. 

Norwegische Zentralbank bleibt der Erfolg verwehrt

Wie schmal der Grad zwischen Erfolg und Misserfolg sein kann, zeigt ein Blick nach Norwegen. Die dortige Zentralbank Norges Bank hat die Zinsen deutlicher erhöht als die SNB und einen sehr restriktiven Kurs gefahren. Der norwegischen Krone hat dies nicht geholfen. Inflation und Zinssätze sind zwar wichtige und in den letzten Jahren dominierende Treiber der Wechselkurse gewesen. Es gibt aber kein einheitliches Modell zur Bestimmung eines fairen Werts einzelner Währungen, ergänzt Leuchtmann. Ohne detaillierte Einzelanalyse der Faktoren kann man schnell daneben liegen. 

Nach der starken Aufwertung im letzten Jahr hat der Franken seit Jahresbeginn gegenüber den G10-Währungen leicht nachgegeben. Bis Ende Jahr ist gemäss den von cash.ch hier befragten Devisenstrategen mit einem leicht schwächeren Franken zu rechnen. 

Solange die Schweizer Währungshüter eine konsequente, glaubwürdige Politik verfolgen, kann langfristig von einem starken Franken ausgegangen werden. Dazu tragen neben der tiefen Staatsverschuldung die drei Punkte hohe Produktivität der Wirtschaft, hohe Kaufkraft und tiefe Kerninflation bei. Erfolgt die Aufwertung in kleinen Schritten, so ist auch gewährleistet, dass der Schweizer Franken gemessen an den realen effektiven Wechselkurse nahe seines fairen Wertes gehandelt wird. Die Schweizerische Nationalbank verfolgt dieses Ziel konsequent: Sie hat jüngst immer wieder signalisiert, dass sie einer gemässigten Frankenaufwertung nicht im Wege steht. 

Thomas Daniel Marti
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