Der durch die milliardenteuren Debakel um Archegos und Greensill geschwächte Konzernchef Thomas Gottstein muss noch Wochen warten, bis sein neuer Verwaltungsratspräsident bei der Schweizer Großbank angekommen ist - Ende April übernimmt Antonio Horta-Osorio, derzeit noch Chef der britischen Bank Lloyds, den Posten vom glücklosen Urs Rohner.

Eigentlich wäre schnelles Handeln nötig, um das für gute Geschäfte in der Branche so wichtige Vertrauen wiederherzustellen. Doch das Führungsvakuum verunsichert: "Ich weiß nicht richtig, an wen ich mich wenden soll", sagt ein Berater, der mit der Credit Suisse ins Geschäft kommen will. "Gottstein ist angeschossen, Rohner ist bald weg und Horta-Osorio noch nicht da. Alles ist im Fluss, doch jetzt wäre Leadership gefragt."

Strategie, Führungskräfte, Kultur - Analysten zufolge steht bei dem 165-jährigen Institut vieles zur Disposition. Bis sich der bei seinem gegenwärtigen Arbeitgeber auch als AHO bekannte Portugiese Horta-Osorio eingearbeitet hat und grössere Weichenstellungen vornimmt, dürften aber Monate verstreichen. "Dieser Übergang ist kurzfristig eine Job-Garantie für Thomas Gottstein", sagt ein Insider. Ob der 57-jährige frühere Investmentbanker auch der richtige ist, das Institut langfristig zu lenken, darüber gehen die Meinungen auseinander. "Eines ist klar", sagt ein Investmentbanker. "Gottstein wird einen weiteren Skandal nicht überleben."

Anleger haben bereits erste Schlüsse gezogen

Alleine der Zusammenbruch des US-Hedgefonds Archegos kostete Credit Suisse 4,4 Milliarden Franken, wie das Institut am Dienstag mitteilte. Credit Suisse reagierte mit der Auswechslung der Risiko-Chefin und des Investmentbanking-Chefs, strich Boni und kündigte an, dass Ausschüsse die Fälle Archegos und Greensill unter die Lupe nehmen. Die Notabwicklung von vier zusammen mit Greensill betriebenen Lieferketten-Finanzierungs-Fonds könnte weitere Kosten für die Bank nach sich ziehen. Mit schnellen Untersuchungs-Ergebnissen ist nicht zu rechnen. "Das liegt in den Händen des Verwaltungsrats, aber ich denke, Gründlichkeit geht hier vor Schnelligkeit", erklärte Gottstein in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung".

Die Anleger haben bereits erste Schlüsse gezogen: innerhalb eines Monats verlor die Aktie ein Viertel an Wert. "Es ist sehr enttäuschend, was in den letzten Monaten passiert ist - und es ist weit unter dem Standard, den wir erwartet haben", sagt ein Anleihen-Investor. Die Kadenz an Fehlschlägen habe zugenommen, erklärt ein Fondsmanager, der anonym bleiben wollte. "Viele fragen sich: Kommt in den nächsten Wochen nochmal etwas? Das Vertrauen ist weg."

Das tiefergehende Problem sei, dass die Macht in der Bank zu sehr auf der Seite des Geschäfts und zu wenig auf der Seite der Kontroll-Organe wie der Risiko- und der Compliance-Abteilung liege. Ein Kulturwechsel und neues Lohn-Modell seien notwendig. Ähnlich sieht das der Aktionärsberater Ethos: Man hoffe, "dass der für die nächste Generalversammlung geplante Wechsel des Verwaltungsratspräsidenten die Etablierung einer neuen Unternehmenskultur mit einem stärker auf das Risikomanagement ausgerichteten Ansatz ermöglichen wird."

Kunden und Schlüssel-Mitarbeiter könnten das Weite suchen

Doch für die Bank tut sich auch eine weitere Front auf. Denn angesichts der jüngsten Skandale könnten Kunden und Schlüssel-Mitarbeiter das Weite suchen. Ein Headhunter in Hongkong sagte, er habe mehrere Anfragen von Mitarbeitern der CS-Handelssparte erhalten, die im Zuge des Archegos-Skandals einen Absprung anpeilten. Der Leiter einer Wealth-Management-Boutique in Monaco wittert derweil eine Gelegenheit, Private-Banker der Credit Suisse abzuwerben. "Für eine Boutique wie uns und andere Konkurrenten der Credit Suisse ist es eine große Chance, mehr Marktanteile im Superreichen-Segment zu gewinnen." Credit Suisse wollte sich zum möglichen Abgang von Mitarbeitern nicht äußern.

Auch Markets.com-Chefanalyst Neil Wilson erklärte, als Kunde würde er sich fragen, ob er mit Credit Suisse noch Geschäfte machen wolle. "Außerdem werden sie jetzt wahrscheinlich den Kopf einziehen und viel weniger Risiken eingehen, was schlecht für das Geschäft sein könnte." UBS-Analyst Daniele Brupbacher weist auf eine weitere Gefahr hin: Die Regulatoren könnten Anpassungen in den Bereichen Risiko und Geschäftsmodell veranlassen.

Gottstein deutete in dem Interview an, dass das Geschäft mit Hedgefonds zurückgefahren werden könnte. Viele Experten gehen davon aus, dass die Bank längerfristig einschneidendere Maßnahmen ergreift und sich etwa vom Asset Management, das das Greensill-Debakel zu verantworten hat, trennt. Eine der Bank nahestehende Person führt an, würde nicht der Wechsel im Präsidium bevorstehen, hätte die Bank vielleicht schon bedeutende strukturelle Änderungen eingeleitet.

Nicht ausgeschlossen ist auch, dass der Credit Suisse das Heft aus der Hand genommen wird. "Die schlechten Nachrichten machen sie zu einem möglichen Übernahmeziel", sagt ein weiterer Fondsmanager. Er halte eine kleine Position in Credit Suisse - nicht weil er die Aktie für attraktiv bewertet halte, sondern weil ihm bei einer möglichen Offerte sonst ein großer Kursgewinn entgehen könnte. 

(Reuters)