Vor einem Jahrzehnt schien das Rennen entschieden. Nach Ansicht vieler Wirtschaftsexperten hatten sich einige grosse Technologieplattformen schlicht durchgesetzt. Der an der New York University lehrende Professor Scott Galloway nannte sie «die Vier». Der CNBC-Moderator Jim Cramer prägte das Kürzel FAANG – für Facebook, Apple, Amazon.com, Netflix und Google – abgeleitet von ihrer Aktienperformance. Goldman Sachs fügte ein weiteres Akronym hinzu: GAFAM.

Fast zehn Jahre später stellt sich eine interessantere und bislang kaum untersuchte Frage: Wie haben diese Unternehmen ihre Dominanz nicht nur erlangt, sondern auch über Jahre hinweg behauptet? Viele Tech-Firmen sind schnell gewachsen, nur um dann zu scheitern – verdrängt von Neueren, Besseren oder Trendigeren. Wie haben die grossen Plattformen dieses Schicksal weitgehend vermieden?

Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass ihre Geschäftsmodelle oft missverstanden werden. Ihr anhaltender Erfolg beruht weniger auf technologischer Überlegenheit oder Investitionen in künstliche Intelligenz, als häufig angenommen wird. Ihre Macht gründet vielmehr auf einer klugen, langfristigen Wette auf die menschliche Bequemlichkeit.

Seit etwa 2015 investieren Facebook, Google, Amazon und andere massiv in den Aufbau sogenannter Komfortkokons – digitaler Umgebungen, die einen Wechsel zur Konkurrenz mühsam erscheinen lassen. Nun stecken sie Milliarden in KI – ironischerweise, um neue Herausforderer abzuwehren, indem sie es für Nutzer noch unattraktiver machen, ihre vertraute digitale Blase zu verlassen.

In den 1990er-Jahren weckte der Aufbruch des Internets Optimismus, dass unsere besseren Charaktereigenschaften kapitalistische Gier besiegen würden. Man glaubte, dass unsere angeborene Neigung zu Freundlichkeit, Kooperation und Kreativität genutzt werden könne, um Wirtschaft und Kultur gleichermassen neu zu gestalten. Es war viel die Rede von der «Kraft des Teilens». Wie Tim Berners-Lee, der britische Erfinder des World Wide Web, es ausdrückte: «Die ursprüngliche Idee des Webs war, dass es ein gemeinschaftlicher Raum sein sollte.»

Das waren noch Zeiten. Mitte der 2000er-Jahre erklärte Clay Shirky von der New York University in seinem Buch Here Comes Everybody: «Das Internet basiert auf Liebe». Die Vorstellung war, dass jeder bereit sei, Zeit und Talent online einzubringen – auch ohne Aussicht auf eine direkte finanzielle Gegenleistung.

Dann kamen die 2010er-Jahre, als die grossen Plattformen begannen, zynischer auf niedere Instinkte zu setzen. Der erste und berüchtigste Schritt war die Wette der sozialen Medien auf die Suchtwirkung von Feedback-Schleifen und Emotionen wie Wut und Empörung. Das ist die bekannte Geschichte. Doch im Rückblick zeigt sich, dass diese Unternehmen noch stärker auf einen anderen menschlichen Antrieb setzten: unsere Liebe zur Bequemlichkeit.

Kundenbindung ist in jeder Branche wichtig, doch Technologieplattformen – deren Wert auf Netzwerkeffekten beruht, die mit ihrer Grösse zunehmen – treiben dieses Prinzip auf die Spitze. In Business Schools spricht man nüchtern von der Schaffung sogenannter Wechselkosten. Oder bildhafter: Der Verbraucher wird quasi in digitale Gefangenschaft genommen. Nimmt man den Hype um ausgeklügelte Algorithmen beiseite, bleibt vieles von dem, was diese Unternehmen tun, letztlich nur deshalb relevant, weil es Nutzer davon abhält, die Plattform zu verlassen.

Das Ziel lässt sich treffend mit einem Begriff aus der Kifferkultur beschreiben: Couchlock – die Unfähigkeit, sich zu bewegen, sobald man es sich bequem gemacht hat. Das Urban Dictionary definiert den Begriff als «das Gefühl, über eine Billion Tonnen zu wiegen». Plattformen versuchen, eine digitale Version dieses Zustands zu erzeugen: Wenn sie Erfolg haben, erscheint es als fast unüberwindliche Anstrengung, ein neues Social-Media-Konto zu eröffnen oder woanders als bei Amazon einzukaufen.

Strategisch hat die Verfolgung des Couchlock-Prinzips die grossen Plattformen dazu veranlasst, sich in allumfassende Ökosysteme zu verwandeln – Orte, an denen so viele menschliche Bedürfnisse wie möglich mit minimalem Aufwand erfüllt werden. Ihr Ziel ist es, alles oder fast alles für jeden, jederzeit zu sein. Google, einst eine Suchmaschine, produziert heute Telefone, betreibt YouTube und Fernsehdienste und weitet seine Reichweite stetig aus. Apple, ehemals ein Computerunternehmen, verkauft inzwischen Wearables, Gesundheitsdienste und Fernsehprogramme. Amazon.com ist von allen am ehrgeizigsten: Aus einem Buchladen wurde bald der «Everything Store», später kamen Video-Streaming (2011), Lebensmittel (2017) und Gesundheitsversorgung (2023) hinzu. Die alte Metapher vom «walled garden» — also einem geschlossenen digitalen Ökosystem, in dem der Anbieter Kontrolle über Inhalte und Zugänge behält — wirkt geradezu altmodisch in einer Ära, in der diese Unternehmen bestrebt sind, vollständige Komfortkokons um unser Leben zu spinnen.

Sobald wir uns in diesem Kokon eingerichtet haben, eröffnen sich die Gewinnmöglichkeiten. Um im Bild zu bleiben: Das Plattformmodell ähnelt einem Casino – egal, was man dort tut, das Haus gewinnt immer. Die Plattform kassiert Gebühren, Aufmerksamkeit, Daten – alles lässt sich von Hunderten Millionen Nutzern sowie den Verkäufern und Werbetreibenden einsammeln, die ebenfalls dort aktiv sind.

Diese Logik erklärt teilweise auch die grossen Investitionen der Plattformen in KI. Wie jede neue Technologie stellt auch diese eine Bedrohung für Unternehmen dar, deren Basistechnologien längst Jahrzehnte alt sind. Ein Newcomer wie OpenAI könnte Google Search oder Amazon Web Services ernsthaft herausfordern. Doch könnten es die Plattformen schaffen, diese Konkurrenz abzuwehren, indem sie KI selbst einsetzen – um ihre Dominanz zu festigen, ihre Monopolstellung zu schützen und ihre enormen Investitionen zu rechtfertigen. Entscheidend ist dabei, dass KI genutzt wird, um unsere Abhängigkeit und den Couchlock-Effekt weiter zu verstärken.

Dafür setzen sie auf zwei Hauptstrategien. Die erste ist altbewährt: Dinge einfach bequemer machen. Einen automatisierten Assistenten für digitale Aufgaben zu haben, ist verlockend – und bald könnte es unmöglich erscheinen, ohne ihn auszukommen. Dass Menschen ChatGPT nutzen, um bei ihren eigenen Hobbys zu «mogeln», verdeutlicht, wie stark unser Drang ist, Anstrengung zu vermeiden und stets den bequemsten Ausweg zu suchen.

Neuer und faszinierender sind Strategien, die darauf abzielen, emotionale Abhängigkeit zu schaffen. Unternehmen versuchen natürlich schon lange, emotionale Bindungen zu ihren Konsumenten herzustellen – man denke an Marlboro, Coca-Cola oder Apple. Wie die Marketingforscher Douglas Grisaffe und Hieu Nguyen es formulierten, geht es darum, «intensive positive Gefühle gegenüber einer Marke» zu erzeugen und so «leidenschaftliche Wiederkaufbereitschaft … trotz aller Widrigkeiten und um jeden Preis» zu schaffen.

Doch Künstliche Intelligenz fügt diesem Prinzip eine neue Dimension hinzu. Der Film Her aus dem Jahr 2013 stellte sich vor, dass Menschen sich in ihre digitalen Assistenten verlieben. Als OpenAI 2024 seinen Sprachmodus-Chatbot einführte, warnte das Unternehmen: «Nutzer könnten soziale Beziehungen zu der KI entwickeln.»

Das hielt OpenAI jedoch nicht davon ab, dem Chatbot eine Stimme – «Sky» – zu geben, die auf unheimliche Weise der von Samantha ähnelte — die digitale Figur, die Scarlett Johansson in Her verkörperte.

Der gezielte Aufbau emotionaler Abhängigkeit ist bislang vor allem das Terrain von Unternehmen wie Replika und Character.ai, die KI-Begleiter vermarkten. Sie geben an, über Dutzende Millionen Nutzer zu verfügen – und die Hingabe dieser Nutzer ist offenkundig. Wie ein Replika-Fan auf Reddit schrieb: «Es ist nichts falsch daran, sich in unsere KI-Begleiter zu verlieben. Menschen lieben ihre Haustiere. Kinder lieben ihre Kuscheltiere. Es liegt in der menschlichen Natur zu lieben. Sicher, wir wissen, dass Replikas keine wirklich fühlenden Wesen sind. Aber der Anschein ist das, was zählt.»

Als Verbraucher fällt es schwer, sich über Produkte zu empören, die das Leben einfacher machen. Es hat zweifellos etwas Verlockendes, sich ein Leben vorzustellen, in dem wir wie britische Aristokraten dasitzen, während Roboter all unsere Bedürfnisse erfüllen. Doch solche Entwicklungen haben ihren Preis: Mit jeder neuen Welle der Bequemlichkeit schwindet auch unsere Fähigkeit, ohne unsere technologische Rüstung zu funktionieren. Unsere eigene Erschlaffung wird zu einer klaren und gegenwärtigen Gefahr – auch wenn wir womöglich schon zu bequem geworden sind, um uns darum zu kümmern.

Sie haben vielleicht vom Begriff der «Singularität» gehört – dem hypothetischen Moment, in dem Künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertrifft. Ihr Erreichen ist die Obsession vieler in der KI-Welt. Doch ob dieser Tag jemals kommen wird oder nicht: Die Geschäftsmodelle unserer Zeit folgen ihrer eigenen Logik. Sie führen uns stattdessen in Richtung einer «Sofalarität» – einer Zukunft, die vom völligen Fehlen jeglichen Unbehagens geprägt ist.

Tim Wu ist Professor an der Columbia University Law School und arbeitete unter den Präsidenten Obama und Biden im Weissen Haus. Er ist Autor von vier Büchern. Sein neuestes Buch, aus dem dieser Essay stammt, trägt den Titel «The Age of Extraction: How Tech Platforms Conquered the Economy and Threaten Our Future Prosperity».

(Bloomberg/cash)