Noch nie dagewesene Mengen an öffentlichen Geldern fliessen derzeit in private Unternehmen. Gleichzeitig bringt der Vorstoss Amerikas Verbündete unter Druck und deren Staatshaushalte aus dem Lot.

Vor etwa einem Jahr hatte etwa Kanadas Premierminister Justin Trudeau lautstark den Bau eines Batteriewerks für Elektrofahrzeuge in Windsor angekündigt: Ein 4,1-Milliarden-Dollar-Joint-Venture des Fiat-Peugeot-Citroen-Konzerns Stellantis und des koreanischen Batteriebauers LG Energy Solution Ltd. Doch plötzlich drohte Stellantis, die Fabrik in den USA zu bauen, wenn Kanada nicht die bis dahin zugesicherte 1 Milliarde kanadische Dollar (683 Millionen Euro) aufstocke.

Der Grund: Bidens umfassende neue Industriepolitik, die Subventionen für die einheimische Industrie vorsieht. Massnahmen wie der Inflation Reduction Act sollen die amerikanische Führungsrolle in Zukunftsbranchen wie saubere Energie und Halbleiter festigen. Das IRA hätte Stellantis potenziell berechtigt, Steuergutschriften in Anspruch zu nehmen, die fast 20 Mal so hoch waren wie die von Kanada angebotenen.

«Schwarzes Loch»

Für Trudeaus Regierung wäre die Absage katastrophal gewesen. Das Projekt hätte den kanadischen Anteil an der nordamerikanischen Autoindustrie sichern. Daher lenkte Ottawa nach einem längeren Streit ein und beschloss ein zusätzliches Paket im Wert von bis zu 15 Milliarden kanadischen Dollar — das grösste in der Geschichte des Landes für eine einzige Fabrik.

Kanada ist nur eines von vielen Ländern weltweit, das mit der amerikanischen Sogkraft zu kämpfen hat. Ein Regierungsvertreter in Ottawa, der lieber anonym bleiben möchte, bezeichnete den IRA als “schwarzes Loch, das Investitionen in die Vereinigten Staaten abzieht”.

Reaktionen aus Europa

Die Europäische Union hat mit dem 43 Milliarden Euro schweren Chips Act — der diese Woche verabschiedet wurde — und dem grünen Industrieplan eine direkte Antwort auf Bidens Industriepolitik formuliert. Doch schon beginnt der Streit zwischen Unternehmen über die Gelder, die Konkurrenten angeboten werden, während sich die einzelnen Länder in ihrer Wettbewerbsfähigkeit drastisch unterscheiden.

Das jüngste Beispiel für das Subventionsrennen kam am Montag mit der Nachricht, dass die Bundesregierung Subventionen für High-End-Chipfabriken in Höhe von rund 20 Milliarden Euro bereitstellt. Alleine die US-Chipschmiede Intel erhält 10 Milliarden Euro — rund 1 Million Euro für jeden der 10.000 Arbeitsplätze, die dort entstehen sollen. Berlin überzeugte auch den schwedischen Batteriehersteller Northvolt, ein Werk in Deutschland und nicht in den USA anzusiedeln.

“Wenn der Gegner rempelt und der Schiedsrichter nicht abpfeift, dann muss man zurückrempeln, um das Spiel zu gewinnen”, beschreibt Wirtschaftsminister Robert Habeck den Subventionskampf.

Die britische Regierung — die bislang beteuert hatte, sich nicht auf einen Subventionswettlauf einzulassen — hatte kürzlich gefeiert, dass der Tata-Konzern Grossbritannien als Standort für ein neues Batteriewerk ausgewählt hat. Dem ging eine finanzielle Unterstützung von schätzungsweise mehr als 500 Millionen Pfund (583 Millionen Euro) voraus.

«Grenzt an Heuchelei»

Washingtons Rechtfertigungslinie ist eindeutig: Wenn man überhaupt von einem Subventionskrieg reden könne, dann habe China ihn begonnen, und alle Verbündeten sollten gemeinsam gegen Peking auftreten. Tatsächlich beliefen sich die chinesischen Ausgaben für die Industriepolitik laut einer Studie des Center for Strategic and International Studies bereits im Jahr 2019 auf rund 250 Milliarden Dollar. Gemessen an der Grösste der Wirtschaft war das etwa viermal so viel wie in den USA.

Dennoch stellen viele Ökonomen den Kurs Bidens infrage. Es sei “ironisch und grenzt an Heuchelei”, sagt Stephen Roach, ein Senior Fellow der Yale University. Erst sei die USA “so kritisch gegenüber China, und jetzt waten wir in denselben Gewässern”.

Letztendlich würde ein globaler Subventionskrieg wahrscheinlich “reichlich Verschwendung, mehr wirtschaftliche Verzerrungen und lauter ungewisse Endresultate” mit sich bringen, sagt Stephen Olson, ein ehemaliger US-Handelsunterhändler. Aber genau in diese Richtung geht die Reise.

Vor nicht allzu langer Zeit war Industriepolitik ein abwertender Begriff, “der an sowjetische Apparatschiks erinnerte, die versuchten, einer Fabrik vorzuschreiben, wie viele Schuhe sie produzieren sollte”, so Olson. “Heute befinden wir uns in einer völlig anderen Welt. Dieser intellektuelle und philosophische Wandel ist umwerfend.”

(Bloomberg)