cash.ch: Nach einer wochenlangen Hausse ist Bitcoin am Donnerstag deutlich abgesackt. Droht nun ein ähnlicher Absturz wie Anfang 2018, als der letzte Bitcoin-Hype abrupt endete? 

Timo Emden: Die Gefahr ist durchaus gegeben. Trotzdem halte ich ein ähnliches Szenario wie damals, als Bitcoin innert weniger Wochen fast zwei Drittel seines Werts verlor, für eher unwahrscheinlich.

Warum?

Die Kursdynamik der letzten Wochen ist grundlegend anders. Man muss sich vor Augen halten, wer momentan im Markt drin ist. Derzeit sind es grösstenteils noch keine gierigen Spekulanten, die auf kurzfristige Gewinne aus sind, sondern eher grössere Adressen. Dass diese nach der Rally der letzten Wochen jetzt auch mal Kasse gemacht haben, ist nicht überraschend und war zu erwarten.

Wie geht es kurzfristig weiter?

Ein jähes Ende der Rally war dieser starke Rücksetzer vom Donnerstag nicht. Derzeit werden tiefere Kurse noch als Einstiegsgelegenheit genutzt. Ich denke, wir können das Allzeithoch von knapp 20'000 Dollar in diesem Jahr durchaus noch sehen. Dafür sprechen die fundamentalen Gründe, die weiterhin für den Bitcoin sprechen.

Die da wären?

Der Bitcoin ist erwachsener geworden, er wird immer breiter akzeptiert. Mit Paypal bietet bald ein grosser wichtiger Player den Handel mit Kryptowährungen an, was für mich ein riesen Ausrufezeichen ist. Auch weitere, weniger bekannte Unternehmen schmieden ähnliche Pläne. Zudem wird Bitcoin wieder vermehrt als Hedge- und Diversifikations-Instrument angesehen.

Der derzeitige Bitcoin-Hype scheint ja in Wahrheit noch gar keiner zu sein. In den breiten Medien ist das Thema noch immer vergleichsweise wenig präsent. Steht uns der richtige Hype also erst noch bevor?

Definitiv. Ich glaube, dass der grosse Hype in den Medien kommt, wenn Bitcoin die 20'000-Dollar-Marke nachhaltig knacken kann. Dann wird bei vielen Privatanlegern auch schlagartig wieder die Angst zurückkehren, gerade etwas Grosses zu verpassen. Das ist natürlich ganz gefährlich und wird zu Überhitzungserscheinungen führen. Schon beim jüngsten Rücksetzer merkte man, dass einige Anleger von einer Art "Gipfelkrankheit" erfasst wurden. Je mehr sich der Bitcoin-Kurs dem Allzeithoch nähert, desto dünner wird plötzlich die Luft für viele. 

Dass Bitcoin scheinbar aus dem Nichts stark korrigiert, ist nicht ungewöhnlich. Ab welchem Kurs würden Sie nervös werden?

Sollte der Kurs unter 16'000 Dollar fallen, sollte man auf jeden Fall schon mal auf der Hut sein. Ich sehe aber die entscheidende Unterstützungslinie bei 14'000 Dollar. Sollte diese Marke unterschritten werden, war es das wahrscheinlich erstmal für die nächsten Monate. Dann hätten wir einen grossen Scherbenhaufen. Solange wir aber die 16'000-Dollar-Marke nicht unterschreiten, bleibt der übergeordnete Aufwärtstrend weiter intakt.

Die Citibank ist einer der grössten Finanzdienstleister der Welt und gilt als konventionelles, ja langweiliges Finanzinstitut. Jetzt überrascht einer ihrer Analysten mit einem Bitcoin-Kursziel von 318'000 Dollar bis Ende 2021. Was halten Sie davon?

Ich finde solche Prognosen völlig fehl am Platz. Klar hören Anleger, die auf schnelle Gewinne aus sind, solche Kursziele gerne.

Sind sie denn realistisch?

In der Theorie sind auch 500'000 Dollar möglich, wenn man sich Kursbewegungen aus der Vergangenheit anschaut und diese charttechnisch auf die Zukunft projiziert. Doch Theorie und Praxis klaffen hier oft weit auseinander. Solche Prognosen von grossen, seriösen Häusern wie der Citybank richten eher Schaden an. Das finde ich schade.

Inwiefern?

Nun, man will ja, dass Bitcoin und Krypowährungen allgemein erwachsener und seriöser werden und nicht mehr als Zocker-Produkt angesehen werden. Bei Kursprognosen von über 300'000 Dollar frage ich mich aber: Wen animiert das jetzt, in diesen Markt einsteigen zu wollen? Am Ende schaden solche Kursziele den Kryptowährungen mehr, als dass es ihnen nützt.

Ist ein sechsstelliges Bitcoin-Kursziel also Humbug?

Wir alle wissen nicht, was in 50 Jahren sein wird. Aber in der nächsten Dekade halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Wenn es doch passiert, liege ich daneben, das ist in Ordnung. Aber ich finde, wir beschäftigen und viel zu wenig mit den Abwärtsrisiken. Die ganze Diskussion dreht sich um Rekordhochs und wann wir die 50'000-Dollar- oder gar 100'000-Dollar-Marke knacken. Doch mit den Risiken will sich derzeit kaum einer beschäftigen. Wir können auch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden und vor Kursen von 5'000 Dollar stehen. In meinen Augen ist das wahrscheinlicher als das Erreichen der 25'000- oder 50'000-Dollar-Marke.

Das klingt schlecht für alle, die jetzt noch einsteigen wollen.

Ich sage keinen Crash voraus. Sollte Bitcoin die 20'000-Dollar knacken, kann es noch auf 25'000 Dollar gehen. Spätestens dann wird aber die Gier, die derzeit noch nicht da ist, zurückkommen und dafür sorgen, dass man sich mit den Abwärtsrisiken beschäftigen muss.

Apple ist derzeit knapp zwei Billionen Dollar wert. Der Goldmarkt ist etwa neun Billionen Dollar gross, der globale Aktienmarkt sogar über 90 Billionen Dollar. Vom Anleihemarkt wollen wir gar nicht sprechen. Bitcoin hat derzeit eine Marktkapitalisierung von gerade mal 320 Milliarden Dollar. Schlummert hier langfristig nicht ein grosses Potenzial?

Auf jeden Fall. Der Bitcoin-Markt ist unfassbar klein im Vergleich zu gestandenen Asset-Klassen. Darin liegt definitiv eine sehr grosse Chance. Die Frage ist, wie wahrscheinlich es ist, dass sich Kryptowährungen etablieren. Vor etwas mehr als zehn Jahren stand Bitcoin mal unter einem Dollar. Niemand konnte sich vorstellen, dass der Kurs mal auf 100 Dollar steigt. Auf lange Sicht sehe ich bei Bitcoin riesen Chancen. Zumal wenn sich die dahinterstehende Blockchain-Technologie weiter etablieren wird. Hier spreche ich aber von mindestens fünf Jahren, eher zehn, die man hier mitbringen muss. Wer schnell Millionär werden will, ist am Kryptomarkt falsch.

Krypowährungen wie der Bitcoin sehen sich regelmässig denselben Vorwürfen ausgesetzt. Einer davon lautet, dass Bitcoin keinen inneren Wert besitze.

Die Frage ist, welchen Wert der Anleger einem Asset persönlich gibt. Wenn ich glaube, dass Bitcoin keinen Wert hat, würde ich persönlich auch nicht investieren. Klar, wenn man eine Aktie besitzt, gehört einem ein gewisser Anteil an dem Unternehmen. Der Wert ist bei Bitcoin in diesem Sinne nicht physisch messbar. Er wird aber als Wertspeicher genutzt und dient auch als Zufluchtsort in Form einer alternativen Anlage. Auch das kann ein Wert sein, auch wenn es sich nicht um ein fassbares Asset handelt.

Oft hört man auch, Bitcoin sei zu volatil und für die seriöse Geldanlage schlicht und einfach nicht geeignet.

Bitcoin ist höchst volatil, dass muss jeder wissen, der in dieses Asset investiert. Deswegen rate ich auch den meisten Privatanlegern davon ab, in Kryptowährungen zu investieren. Die hohe Volatilität ist nicht für jedermann gemacht. Ich will nicht wissen, wie viele allein beim jüngsten Bitcoin-Kursrücksetzer wieder hohe Verluste hinnehmen mussten und damit nur schwer umgehen konnten. Gerade Laien, die kurzfristig an steigenden Kursen partizipieren wollen und neu in den Markt treten, sollen das mit dem Bewusstsein tun, jederzeit einen Totalverlust erleiden zu können.

Eignet sich Bitcoin als Teil eines breit gestreuten Portfolios?

Im Sinne der Diversifikation macht ein Anteil von 5 bis 10 Prozent im Portfolio absolut Sinn, aber auf gar keinen Fall mehr.

Manche führen das Risiko eines Bitcoin-Verbots ins Feld. Ist diese Angst berechtigt?

Nein. Bitcoin lässt sich praktisch gar nicht mehr verbieten. Wir haben es mit einer dezentralen Währung zu tun, die in dem Sinne niemanden gehört. Man kann zwar Bitcoin-Börsen wie Bitstamp, Binance und Co. verbieten. Kryptowährungen sind aber bereits so weit verbreitet, dass sie auch untereinander getauscht werden. Zudem haben die Regulierungsbehörden auch gar kein Interesse an einem Verbot, weil man dann überhaupt keine Kontrolle mehr hätte.

Neben Bitcoin gibt es unzählige – laut Schätzungen rund 7300 - andere Kryptowährungen, auch Altcoins genannt. Warum so viele?

Über die Blockchain-Technologie, auf die das Gros der Kryptowährungen basiert, wird versucht, sämtliche Bedürfnisse zu befriedigen. Der Bitcoin beispielsweise wurde ins Leben gerufen, um Zahlungen zu tätigen. Ether möchte hinsichtlich der Smart Contracts, also der intelligenten Verträge, das Rechtswesen umkrempeln und ist etwa für interne Zahlungsdienstleistungen innerhalb von Banken gedacht. Das heisst: Jeder Coin hat seinen eigenen Sinn und Zweck. Es existieren aber auch einige Coins, die als Scherz gedacht waren. Bitcoin hat sich als dominierende Krptowährung durchgesetzt und wird es auch bleiben.

In der jüngsten Rally der Kryptowährungen fiel auf, dass Bitcoin fast bis an sein Allzeit hoch gelang, andere Cyber-Devisen wie Ether, Ripple oder Litecoin zwar auch deutlich anzogen, aber nicht ansatzweise an ihre alten Hochs herankamen. Wieso?

Wenn sich das fundamentale Umfeld für Kryptowährungen positiv entwickelt, spielt das insbesondere Bitcoin in die Karten. Das sah man bereits 2019, als das Libra-Projekt vor allem den Bitcoin-Kurs nach oben trieb. Bitcoin ist die Nummer Eins bei Anlegern. Währungen wie Ether, Ripple oder Litecoin können nur durch eigene Themen einen zusätzlichen Schub erhalten. Ether zum Beispiel könnte jetzt von dem Upgrade Ethereum 2.0. profitieren.

Soll man als Anleger also vor allem auf Bitcoin setzen oder lohnt es ich auch, den einen oder anderen Altcoin im Auge zu haben?

Absolut. Zum Beispiel kann man sich anschauen, welche Währungen Paypal jetzt ins Portfolio genommen hat, neben Bitcoin nämlich auch Ripple, Litecoin, Ether sowie Bitcoin Cash. An sich lohnt es sich, die Top-Ten der Kryptowährungen in Bezug auf die Marktkapitalisierung im Blick zu haben.  

Timo Emden ist Finanzmarktanalyst und Gründer von Emden Research. Das Analysehaus mit Sitz in Düsseldorf (DE) untersucht Indizes, Devisen und Aktien und hat einen speziellen Fokus auf Crypto Assets (Kryptowährungen).