cash.ch: Die Preise für Strom sind das eine, die Frage, ob wir im Winter überhaupt genug Strom haben werden, das andere. Wie ordnen Sie die Marktlage derzeit ein? 

Robert Itschner: Die aktuelle Marktlage im Energiebereich ist anspruchsvoll, gekennzeichnet durch starke Preisschwankungen und zeitweise hohe Spitzen. Dies ist auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen: Die herausfordernde geopolitische Lage, der zunehmende Anteil an erneuerbaren, wetterabhängigen Energien sowie die allgemeine Dynamik des Marktes. 

Könnte es wie im letzten Winter zu einer Stromkrise kommen?

Die aktuelle Versorgungslage ist zwar angespannt, aber es sieht so aus, als ob wir für den kommenden Winter gut aufgestellt sind. Was uns zuversichtlich macht: Aktuell ist die Stromnachfrage noch immer reduziert. Gleichzeitig sind die Wasser- und Gasspeicher gut gefüllt und die Kraftwerke gut verfügbar. Allerdings ist uns bewusst, dass sich die Situation schnell ändern kann. Das Risiko einer Stromknappheit im Winter hängt stark von den Wetterbedingungen und der Verfügbarkeit von Kraftwerken in ganz Europa ab.

Inwiefern ist die Energiesicherheit ein Thema, das uns zukünftig wiederholt beschäftigen wird?

Strom ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Ein Mangel an Strom wäre ein nationales Risiko. Mit der Energiewende und dem steigenden Stromverbrauch für die zunehmende Elektrifizierung in den Bereichen Verkehr und Wärme stehen wir vor Herausforderungen. Zudem wird die Stromerzeugung zunehmend dezentraler und unterliegt Schwankungen. Bei der BKW investieren wir in erneuerbare Energien und machen das Stromnetz fit für die Energiewende. Jeder Einzelne sollte zudem effizient mit dem wertvollen Gut Strom umgehen. Energiesicherheit erfordert eine Zusammenarbeit aller - Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Was ist Ihr Ausblick bei den Strompreisen?

Die Strompreise sind von vielen Faktoren abhängig und daher schwer vorherzusagen. Seit der Preisspitze im letzten Jahr ist das Preisniveau deutlich gesunken. Die internationalen Energiemärkte sind jedoch weiterhin sehr angespannt, was sich in einer erhöhten Volatilität niederschlägt. Unvorhersehbare Ereignisse wie im Nahen Osten unterstützen diese Dynamik zusätzlich.

Braucht es in der Schweiz neue Atomkraftwerke oder reichen die Erneuerbaren für die angestrebte Energiewende?

In der Schweiz besteht ein Technologieverbot für Kernkraftwerke. Ausserdem bezweifle ich, dass wir den notwendigen breiten Konsens für den Bau neuer Kernkraftwerke in der Schweiz haben. Dies wird übrigens auch durch aktuelle Umfragen bestätigt. Deshalb liegt unser Fokus auf der Umsetzung bereits geplanter Projekte zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, also Photo, Wind und Wasserkraft. Gleichzeitig beobachten wir die Entwicklung aller relevanter Technologien intensiv, also Batteriespeicher, Erdwärme, Wasserstoffproduktion und Speicherung, sowie Kernkraft.

Photovoltaikanlagen sind ein wichtiges Element in der Energie- und Klimawende. Wo sind beim Ausbau die grössten Herausforderungen?

Mir scheint klar, dass der Ausbau erneuerbarer Energien hauptsächlich durch Photovoltaik erfolgen wird. Denn es ist die am besten akzeptierte Technologie. Zudem hat das Schweizer Parlament eine Solarpflicht auf grossen Neubauten beschlossen. Doch der Ausbau von Photovoltaik bringt Herausforderungen bei der Integration der Energie ins Stromnetz, das dafür stark ausgebaut werden muss. Während vereinfachte Genehmigungsverfahren für Produktionsanlagen existieren, wurden die Verteilnetze leider übersehen. Deshalb brauchen wir dringend politische Unterstützung für schnellere Genehmigungsverfahren auch bei den Netzen. Zudem setzen wir bei der BKW unter anderem auf alpine Solaranlagen, die überdurchschnittlich viel wertvollen Winterstrom liefern. Und wir planen die derzeit grösste Freiflächen-Solaranlage der Schweiz beim Flughafen Bern.

Wie sehr wird die Energiewende durch Einsprachen und daraus folgende jahrelange Verfahren gefährdet?

In der Schweiz sind die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energieprojekte in der Tat langwierig und können oft mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen. Beispielsweise beim Windkraftprojekt 'Parc éolien de la Montagne de Tramelan' der BKW: Erst Mitte November 2023 hat das Bundesgericht alle relevanten Beschwerden gegen das Projekt abgewiesen. Nach fast acht Jahren Blockade und nach über zehn Jahren seit der Projektierung kann die BKW den Windpark, der wertvollen Winterstrom liefern wird, nun bauen. Diese Verfahren sind einerseits wichtig, um sicherzustellen, dass alle Interessen berücksichtigt und die Projekte nachhaltig umgesetzt werden. Aber wir müssen schneller vorankommen, um unsere Energiewende-Ziele zu erreichen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen Lösungen finden, die diese Prozesse beschleunigen.

Die BKW hat ein starkes Halbjahresergebnis mit einem Gewinnsprung präsentiert. Inwiefern sollte dieses Ergebnis nicht überinterpretiert werden?

Das starke Halbjahresergebnis 2023 basiert auf dem erfolgreichen Energiegeschäft der BKW. Dank unserer soliden Liquidität und unserem effektiven Risikomanagement konnten wir die Chancen auf den Grosshandelsmärkten optimal nutzen. Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass die Energiemärkte volatil sind und das Handelsergebnis von Halbjahr zu Halbjahr schwanken kann. Mit Blick auf unsere Wachstumsambitionen sehen wir weiterhin grosse Chancen im Energiebereich.

Das Energiegeschäft florierte zuletzt dank eines starken Handelsergebnisses. Wie wichtig ist dieses für die BKW?

Der Stromhandel ist für die BKW von zentraler Bedeutung, er ist die Drehscheibe unseres Energiegeschäfts. Er ermöglicht uns, unsere Kraftwerke optimal zu bewirtschaften und auf Marktveränderungen zu reagieren. Unsere Händlerinnen und Händler agieren entlang klarer Regeln und halten sich an ein robustes Risikomanagement. Dank ihres grossen Knowhows gelingt es uns, die eigenen Energiepositionen sowie diejenigen von Dritten gewinnbringend zu steuern. 

Kommt in dieser Gesamtschau der Endkunde nicht zu kurz?

Wichtig ist, dass unser erfolgreiches Handelsergebnis nicht auf Kosten unserer Kundinnen und Kunden geht. Die rund eine Million endversorgten Kundinnen und Kunden erhalten ihren Strom zu Gestehungskosten aus unserem eigenen Kraftwerkspark. Unser Ziel ist es, nachhaltige, zuverlässige und bezahlbare Energie anzubieten.

Die Auftragsbücher sind im Dienstleistungsgeschäft gut gefüllt, aber die Profitabilität blieb hinter Ihren Erwartungen zurück. Wo liegen die Gründe und welche Massnahmen treffen Sie?

Tatsächlich haben wir im Dienstleistungsbereich einige Herausforderungen zu meistern, darunter die anspruchsvolle Wirtschaftslage, steigende Materialkosten und schwierige Bedingungen bei den Lieferketten. Hinzu kommen Neubewertungen langfristiger Projekte. Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt und wir haben spannende Projekte in der Pipeline, wie beispielsweise den Ausbau der elektrischen Infrastruktur in Deutschland. Um unsere Profitabilität zu steigern, haben wir Massnahmen ergriffen, die über die nächsten zwei Jahre greifen werden. Dabei schliessen wir Verkäufe nicht aus, sind aber auch offen für gezielte Akquisitionen. Wir sehen den Dienstleistungsmarkt weiterhin als attraktiven Wachstumsmarkt.

Sie erwarten in der zweiten Jahreshälfte aufgrund der Entspannung an den europäischen Energiemärkten ein deutlich tieferes Handels- und Bewirtschaftungsergebnis. Trotzdem haben Sie aufgrund des starken Halbjahresergebnisses die EBIT-Prognose für das Gesamtjahr um 50 Millionen auf neu 600 bis 650 Millionen erhöht. Hat sich an dieser Ausgangslage etwas verändert?

Wir erwarten ein Ergebnis im Rahmen der Guidance. Unsere Jahreszahlen 2023 präsentieren wir im Detail im März 2024.

Analysten sagen aber auch: 'Die Strommärkte in Westeuropa dürften auf absehbare Zeit angespannt bleiben und BKW sei gut positioniert, um von dieser Entwicklung zu profitieren.' Sind Sie betreffend des Handelsergebnisses nicht zu pessimistisch?

Ich stimme zu, dass die BKW gut positioniert ist, um von den aktuellen Marktbedingungen zu profitieren. Deshalb bleiben wir vorsichtig optimistisch. Dennoch bleiben die Energiemärkte volatil und es gibt viele Faktoren, die die Preise beeinflussen können.

In welchen Bereichen wollen Sie zukünftig das Wachstum vorantreiben?

Unsere Wachstumsstrategie ist ambitioniert und fokussiert die ganze Wertschöpfungskette entlang der neuen Energiewelt: Von der Produktion, über die Vermarktung und Verteilung bis zum energieeffizienten Verbrauch in Gebäuden, in der Industrie, Mobilität und in Infrastrukturen. Wir investieren in Photovoltaik und Windkraft, insbesondere in der Schweiz und Europa. Zudem erweitern wir unsere Angebote in den Bereichen Smart Energy und E-Mobilität.

Und wie wollen Sie BKW als Dienstleister positionieren?

Wachstumschancen sehen wir auch im Dienstleistungsgeschäft, wo wir dank unseres Netzwerks in der Lage sind, anspruchsvollere Projekte zu realisieren und den Bedarf unserer Kundinnen und Kunden für nachhaltige Lösungen zu erfüllen. Besonders attraktive Marktsegmente für uns sind die Planung und Realisierung von Gebäudetechnik und Gebäudeautomation, aber auch Infrastrukturprojekte insbesondere im Energiebereich. Seit Anfang Jahr hat die BKW zudem ihre Aktivitäten im Bereich langfristiger Stromabnahmeverträge (Power Purchase Agreements, PPA) deutlich ausgebaut. Um unsere Wachstumsstrategie zu unterstützen, planen wir in den kommenden Jahren Investitionen von über einer halben Milliarde Franken in das Energie- und Dienstleistungsgeschäft. Dank unserer starken finanziellen Position, die durch gute Jahresabschlüsse und eine hohe Cash-Generierung gestützt wird, können wir diese Investitionen aus eigener Kraft finanzieren.

Wie wichtig ist für die BKW ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU?

Ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU ist von zentraler Bedeutung. Ohne ein solches Abkommen stehen wir vor Herausforderungen wie potenziell reduzierten Importkapazitäten und ungeplanten Stromflüssen, welche die Netzstabilität und Versorgungssicherheit in der Schweiz beeinträchtigen könnten. Darüber hinaus ist der Zugang zu Kurzfrist- und Kapazitätsmärkten verwehrt oder erschwert. Diese Situation beeinträchtigt die Versorgungssicherheit der Schweiz.

Die Aktien von BKW haben zuletzt seitwärts tendiert. Inwiefern sehen Sie die Aktie als fair bewertet an?

Als CEO der BKW ist es nicht meine Aufgabe, den Wert unserer Aktie zu kommentieren, sondern dafür zu sorgen, dass wir mit der BKW auf Erfolgskurs bleiben. Unsere Strategie zielt auf nachhaltiges Wachstum in den Bereichen Energie und Dienstleistungen ab. Die BKW ist gut positioniert und schafft in diesen Märkten Wert.

BKW gilt auch als Dividendentitel. Was zeichnet für Sie eine nachhaltige Dividendenpolitik aus?

Eine effektive und nachhaltige Dividendenpolitik basiert auf einer robusten finanziellen Basis und bewährt sich auch in Krisenzeiten. Sie sollte für die Aktionärinnen und Aktionäre nachvollziehbar sein. Bei der BKW haben wir eine Ausschüttungsquote von 40 bis 50 Prozent. So geben wir einerseits einen erheblichen Anteil unseres Gewinns an unsere Aktionärinnen und Aktionäre zurück. Andererseits haben wir Mittel für zukünftige Investitionen. In den vergangenen Jahren hat die BKW eine kontinuierlich steigende Dividende bezahlt. Das wollen wir fortsetzen.

Robert Itschner (geb. 1966, Schweizer Staatsbürger) war vor seinem Eintritt in die BKW 2022 seit 2018 CEO von ABB Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen internationalen Führungsfunktionen für den Industriekonzern tätig. So war er Leiter der globalen Business Unit Power Conversion und Leiter Marketing & Verkauf der Division Robotics & Motion. Itschner ist Diplomierter Elektroingenieur, MSc Electrical Engineering and Computer Sciences. 

Das Interview mit Robert Itschner wurde schriftlich geführt.

ManuelBoeck
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