Eine deprimierende wirtschaftliche Lage bei steigenden Aktienmärkten, das ist eine ungewöhnliche Kombination. Und eine, die das Geschäft von Bankern im Deal-Bereich florieren lässt. Unternehmen in Geldnot brauchen liquide Mittel und das Geschäft mit Börsennotierungen läuft rege. Das Volumen von Aktienemissionen hat in diesem Jahr den Wert von satten 127 Milliarden Dollar erreicht.

An den europäischen Börsen gab es im Jahr 2020 1300 Kapitalerhöhungen und Börsengänge. Die Einnahmen stiegen auf das höchste Niveau seit 2017, wie von Bloomberg zusammengestellte Daten zeigen. Der Grossteil der Erlöse stammt aus Emissionen neuer Aktien, die mit 58,1 Milliarden Dollar den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt erreichten.

Im ersten Halbjahr mussten viele Unternehmen eilig Kapital beschaffen, da die Corona-Pandemie und die Massnahmen zu ihrer Eindämmung die Konjunktur hart trafen. Die Stabilisierung der europäischen Börsen in den Sommermonaten schuf dann Potenzial für IPOs in den letzten vier Monaten des Jahres.

Nur kurze Pause bei Börsendebüts

In der jüngsten Vergangenheit gab es wenige Jahre, in denen eine derartige Welle von Notfall-Kapitalbeschaffung mit einer Flut von Börsengängen einherging. In der zweiten Jahreshälfte 2008, als die letzte Finanzkrise begann, brachen die Notierungen rasch ein, die Zahl der Liquiditätsaufnahmen stieg. Dieses Mal wurden die Börsendebüts nach nur einer kurzen Pause wieder aufgenommen.

"Wir hatten ein überraschend konstruktives Jahr an den Aktienmärkten", sagte Gareth McCartney, Leiter Aktienmärkte für Europa, den Nahen Osten und Afrika bei der UBS.

Der Kaffeeriese JDE Peets BV, der italienische Maskenhersteller GVS und die Videokonferenzfirma Pexip Holding gingen alle im Mai beziehungsweise Juni an die Börse. Und die IPOs nahmen ab September wirklich Fahrt auf. Die E-Commerce-Unternehmen Allegro.eu und THG Holdings beschafften Milliarden von Dollar und eine Rekordzahl von norwegischen Unternehmen gab ihr Debüt an der Börse.

Im Laufe des Jahres sahen die Unternehmen zunehmend Wachstumschancen, wobei einige der grössten Aktienemissionen zur Finanzierung von Akquisitionen bestimmt waren. Siemens Healthineers sammelte im September 3,2 Milliarden Dollar ein, um den Kauf von Varian Medical Systems zu finanzieren. Im August erhöhte Cellnex Telecom ihre Kriegskasse durch eine Bezugsrechtsemission in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar.

Günstiger Ausblick

Börsennotierte Unternehmen werden wahrscheinlich weiterhin Geld aufnehmen, um Finanzierungslücken als Reaktion auf die Coronavirus-Krise zu schliessen sowie um Wachstum und M&A zu finanzieren, sagte McCartney. "Alles in allem erwarten wir jedoch, dass solche nachfolgenden Kapitalbeschaffungen abnehmen und durch ein grösseres Volumen an Börsengängen ausgeglichen werden."

Eine Rekord-Rally für europäische Aktien im November brachte die Stoxx 600-Benchmark auf das zuletzt Ende Februar erreichte Niveau. Da sich die Notierungsbedingungen erheblich verbessert haben, werden sich die Transaktionen bis weit in den Dezember hinein fortsetzen und bereits für 2021 in Stellung gebracht.

Einige europäische Konglomerate wollen sich verschlanken und möglicherweise Bereiche an die Börse bringen, so wie der erwartete Börsengang der Funkturmspare Vodafone. Die grösste Antriebskraft für Börsengänge könnten jedoch Private-Equity-Unternehmen sein, da die Rally an den Aktienmärkten jetzt überzeugende Bewertungen für einen Ausstieg aus einigen ihrer Vermögenswerte bietet.

Die schwedische Private-Equity-Gesellschaft EQT plant unterrichteten Kreisen zufolge im nächsten Jahr mindestens drei grosse Veräusserungen, einschliesslich eines möglichen Verkaufs oder einer Notierung des Cybersicherheitsunternehmens Utimaco und mögliche Börsengänge für den deutschen Unternehmenssoftwareentwickler SUSE und das Schädlingsbekämpfungsunternehmen Anticimex.

(Bloomberg)