Mit einem Rückgang von mehr als 20 Prozent im Jahr 2022 erzielte der MSCI All-Country World Index seine schlechteste Performance seit der Krise von 2008. Gleichzeitig hatten die Jumbo-Straffungen der Federal Reserve für eine Verdoppelung der Renditen 10-jähriger US-Treasuries gesorgt — die Basis für die globalen Kapitalkosten.

Bullen, die auf das Jahr 2023 blicken, können Trost in der Tatsache finden, dass zwei aufeinanderfolgende rückläufige Jahre für grosse Aktienmärkte selten sind - der S&P 500 Index ist seit 1928 nur viermal in zwei aufeinanderfolgenden Jahren gefallen. Das Beängstigende ist jedoch, dass die Rückgänge im zweiten Jahr in der Regel stärker ausfallen als im ersten.

Die folgenden Faktoren könnten bestimmen, wie sich das Jahr 2023 für die globalen Aktienmärkte entwickelt:

1) Zentralbanken

Optimisten mögen darauf verweisen, dass der Höhepunkt der Zinserhöhung kurz bevorsteht, möglicherweise im März - d die Geldmärkte erwarten, dass die Fed bis Ende 2023 in den Zinssenkungsmodus übergeht. Eine Umfrage von Bloomberg News ergab, dass 71 Prozent der weltweit führenden Anleger für 2023 steigende Aktienkurse erwarten.

Vincent Mortier, Chief Investment Officer bei Amundi, Europas grösstem Vermögensverwalter, empfiehlt Anlegern für das neue Jahr eine defensive Positionierung. Er rechnet mit einem holprigen Jahr 2023, meint aber, dass “ein Schwenk der Fed in der ersten Jahreshälfte interessante Einstiegspunkte auslösen könnte.” Doch nach einem Jahr, das die besten und klügsten Anleger auf dem falschen Fuss erwischt hat, machen sich viele auf weitere Rückschläge gefasst.

Ein Risiko besteht darin, dass die Inflation höher bleibt, als es den Währungshütern lieb ist, und dass die Zinssenkungen nicht kommen werden. Ein Modell von Bloomberg Economics zeigt eine 100-prozentige Wahrscheinlichkeit für den Beginn einer Rezession im August, doch es ist unwahrscheinlich, dass die Zentralbanken im Falle von Wirtschaftseinbrüchen mit einer Lockerung der Geldpolitik vorpreschen werden. Eine Strategie, die sie in den letzten zehn Jahren wiederholt angewandt haben.

"Die Zentralbanker, zumindest in den USA und in Europa, scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass das Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 schwächer ausfallen wird”, so Christian Nolting, Globaler Chief Investment Officer, Deutsche Bank Privatkundenbank, in einer Mitteilung an die Kunden. Rezessionen könnten zwar kurz sein, “aber sie werden nicht schmerzlos sein”, warnte er.

2) Probleme bei Big Tech

Eine grosse Unbekannte ist, wie es den Tech-Mega-Caps ergeht, nachdem der Nasdaq 100 im Jahr 2022 um 35 Prozent eingebrochen ist. Unternehmen wie Meta Platforms  und Tesla haben etwa zwei Drittel ihres Wertes verloren, während die Verluste bei Amazon.com und Netflix bei fast oder mehr als 50 Prozent lagen.

Teure Technologiewerte leiden stärker, wenn die Zinssätze steigen. Aber auch andere Trends, die den Tech-Aufstieg in den letzten Jahren begünstigt haben, könnten sich umkehren: Die wirtschaftliche Rezession könnte die iPhone-Nachfrage beeinträchtigen, während ein Einbruch der Online-Werbung Meta und Alphabet in Mitleidenschaft ziehen könnte. In der jährlichen Umfrage von Bloomberg gab nur etwa die Hälfte der Befragten an, dass sie den Sektor kaufen würden - und zwar selektiv.

“Einige der Tech-Namen werden zurückkommen, da sie grossartige Arbeit geleistet haben, um die Kunden zu überzeugen, sie zu nutzen, wie Amazon, aber andere werden wahrscheinlich nie wieder diesen Gipfel erreichen, da die Leute weitergezogen sind”, sagte Kim Forrest, Chief Investment Officer bei Bokeh Capital Partners, gegenüber Bloomberg Television.

3) Gewinnrezession

Es wird allgemein erwartet, dass die bisher stabilen Unternehmensgewinne im Jahr 2023 einbrechen werden, da der Druck auf die Gewinnmargen zunimmt und die Verbrauchernachfrage schwächer wird.

“Im letzten Kapitel dieses Bärenmarktes geht es um die Entwicklung der Gewinnschätzungen, die viel zu hoch sind”, so Mike Wilson von Morgan Stanley, ein Wall-Street-Bär, der für den S&P 500 im Jahr 2023 einen Gewinn von 180 Dollar je Aktie vorhersagt, während Analysten mit 231 Dollar rechnen. Die bevorstehende Gewinnrezession könnte mit der von 2008 konkurrieren, und die Märkte müssten dies erst noch einpreisen, so Wilson.

4) Covid in China

Pekings Entscheidung von Anfang Dezember, die strengen Covid-Beschränkungen aufzuheben, schien ein Wendepunkt für den MSCI China Index zu sein, dessen Rückgang um 24 Prozent massgeblich zu den weltweiten Aktienmarktverlusten im Jahr 2022 beitrug.

Doch die einmonatige Erholung der Aktien in China und Hongkong hat sich in Luft aufgelöst, da nun ein Anstieg der Covid-19-Infektionen die wirtschaftliche Erholung bedroht. Viele Länder verlangen jetzt Covid-Tests für Reisende aus China, was sich negativ auf die weltweiten Reise-, Freizeit- und Luxusaktien auswirkt.

5) Boom der Optionen

Technische Faktoren treiben zunehmend die täglichen Aktienbewegungen an, wobei der S&P 500 im Jahr 2022 einen unterdurchschnittlichen Aktienumsatz verzeichnete, aber ein explosionsartiges Wachstum beim Handel mit sehr kurzfristigen Optionen.

Professionelle Händler und von Algorithmen unterstützte Institutionen haben sich auf solche Optionen gestürzt, die bis vor kurzem noch von Kleinanlegern dominiert wurden. Dies kann zu unruhigeren Märkten führen und plötzliche Volatilitätsausbrüche verursachen, wie z. B. den grossen Intraday-Ausschlag nach den heftigen US-Inflationsdaten im Oktober.

Da es dem S&P 500 nicht gelungen ist, aus seinem Abwärtstrend von 2022 auszubrechen, sind die kurzfristigen Spekulationen nach wie vor abwärts gerichtet. Sollte der Markt jedoch eine Wende vollziehen, wird dies einen Aufschwung noch verstärken.

(Bloombrg)