Holcim will sein nordamerikanisches Geschäft am Montag,  23. Juni, abspalten. Aktionäre erhalten pro gehaltene Holcim‑Aktie eine Amrize‑Aktie als Teil des Spin-offs, ohne zusätzliche Kapitalerhöhung. Es werden also keine Aktien «verkauft», sondern einfach verteilt. Mark Diethelm, Analyst bei Vontobel, bezeichnet die Abspaltung als «Foifer und s'Weggli» für Anleger: «Durch die Abspaltung können Aktionäre weiterhin an dem Infrastrukturwachstum in den USA partizipieren und gleichzeitig von weiterhin attraktiven und steigenden Dividenden bei Holcim profitieren.»

Obwohl sich das Spin-off auf die USA und Kanada fokussieren wird, ist die Thematik auch für Schweizer Anleger relevant. Denn Amrize wird am 23. Juni 2025 unter dem Tickersymbol «AMRZ» in sämtliche Indizes aufgenommen werden, in denen auch Holcim vertreten ist. Heisst konkret, der Swiss Leader Index und Swiss Market Index werden um Amrize ergänzt werden, wodurch sich die Anzahl der Titel im SMI vorübergehend von 20 auf 21 und im Swiss Leader Index von 30 auf 31 erhöht.

Damit will SIX sicherstellen, dass die Struktur der Indizes auch während der Spin-off-Phase stabil bleibe. Änderungen an den Blue-Chip-Indizes SMI und SLI seien in dieser Zeit ausgeschlossen, hiess es von der SIX. Erst bei der regulären Indexüberprüfung Anfang September 2025 entscheidet sich dann das weitere Vorgehen. Relevant sind dann die zu diesem Zeitpunkt geltenden Eckdaten der Unternehmen, welche die Indexfähigkeit bewerten. Hauptsächlich liegt der Fokus auf der durchschnittlichen Börsenkapitalisierung der frei handelbaren Aktien sowie dem kumulierten Handelsvolumen an der SIX.

Wertermittlung und Dual-Trading

Der Preis der neuen Amrize-Aktie ergibt sich aus dem Wert des abgespaltenen Geschäfts und dem derzeitigen Kurs von Holcim. Analyst Diethelm erklärt: «Die beiden Aktienpreise im Depot am Montagmorgen vor Börsenöffnung bilden zusammengezählt den Schlusskurs von Holcim vom Freitagabend.» In anderen Worten: Eine Holcim-Aktie kostet derzeit rund 96 Franken. Wenn also eine Amrize-Aktie 26 Franken kostet, dann reduziert sich der Preis auf 70 Franken. Am Markt dürfte laut Diethelm von einer Aufteilung um die 50:50 ausgegangen werden. Anfangs war noch die Rede, dass Amrize deutlich mehr Wert sei als Holcim, aber davon sei man abgekommen.

Laut Berechnungen der Deutschen Bank könnte Amrize bei einem angenommenen EBITDA von 3,36 Milliarden Dollar und einem Bewertungsmultiplikator von 10 an der Börse rund 30 Milliarden Dollar wert sein. Zieht man diesen Betrag vom aktuellen Marktwert Holcims ab, ergibt sich für den verbleibenden Konzernteil ein Bewertungsfaktor von etwa 7,9. Das deutet laut den Experten auf eine mögliche Unterbewertung hin, wodurch nach der Abspaltung Aufholbedarf vorhanden sein dürfte.

Wichtig ist ausserdem, dass der Handel in New York später am selben Tag beginnt. Dabei wird es keine Abgrenzung zwischen Primär- und Sekundärnotierung geben, also läuft Amrize unter einem sogenannten «Dual Trading». Man kann Aktien also an der Schweizer Börse kaufen und in New York verkaufen – der einzige Unterschied ist die Währung. Eine solche Doppelkotierung gab es zuvor schon beim Novartis-Spin-Off Alcon an der Schweizer Börse und New York Stock Exchange im April 2019.

Dieser Schritt wird üblicherweise verfolgt, um eine breitere Investorengruppe zu erreichen. In diesem Fall macht das durchaus Sinn: Das Geschäft fokussiert sich auf Nordamerika, stammt aber von einem Schweizer Unternehmen ab. «Der Börsengang von Amrize in New York könnte für Transparenz und Liquidität sorgen und Wert schaffen, da an der NYSE notierte Baustoffunternehmen Zugang zu einem grösseren Anlegerkreis haben und im Durchschnitt mit einem zweifach höheren Bewertungsmultiplikator als globale Wettbewerber bewertet werden», schreiben Analysten von Bloomberg.

Für den Vontobel-Experten Mark Diethelm dürfte der Kurs von Amrize anfangs volatiler sein wird, da einige Holcim-Investoren bei Amrize aussteigen dürften. «Es gibt viele Schweizer Aktionäre, die vielleicht keine US-Firma im Depot wollen», begründet er. Dies sei insbesondere auf die Steuerthematik zurückzuführen. Viele Schweizer hätten Angst, dass ihre Steuerfreiheit wegfalle. Entscheidend sei aber, dass Amrize trotz operativem Hauptsitz in Chicago rechtlich nach wie vor eine Schweizer Firma sei und somit keine US-Steuern anfallen.

Ob Amrize für immer in der Schweiz gelistet bleibt, steht noch in den Sternen. Was die Börsenkotierung anbelangt, ist für Diethelm entscheidend, wie sich die Liquidität von Amrize entwickelt. «Wenn in der Schweiz die Liquidität deutlich fällt und der Handel vornehmlich an der NYSE stattfindet, dann besteht die Gefahr, dass man aus SMI fällt.» Bei einem tiefen Handelsvolumen müsse sich Amrize die Frage stellen, ob ein Listing in der Schweiz dann noch gerechtfertigt sei, aber in den ersten zwölf bis 18 Monate passiere vermutlich nichts.

Anbahnung einer Erfolgsgeschichte

Der Fokus von Amrize liege auf organischen und akquisitorischen Wachstum und Margensteigerung, betont Diethelm. Die Aussichten diesbezüglich sind laut Deutscher Bank gut. «Amrize scheint eine unanfechtbare Position im nordamerikanischen Zementmarkt zu haben.» Laut ihren Schätzungen hat Amrize rund 19 Prozent Marktanteil am US-Markt und 30 Prozent in Kanada. Der Output stelle andere Werke in den Schatten und mit über 140 Terminals, 18 Werken und 1000 Silos sei die Marktposition kaum kurzfristig angreifbar – neue Werke wären extrem teuer und der Bau dauert Jahre. 

Die Deutsche Bank schreibt weiter: «Amrize wird mit einer Börsennotierung in den USA in einer sehr starken Position starten, mit interessanten Möglichkeiten für Fusionen und Übernahmen am Horizont, unterstützt durch seine Bilanz.»

Bei der verbleibenden Holcim konzentriere man sich laut Vontobel-Experte Diethelm eher auf Wachstum mit nachhaltigen Produkten und eine Margenexpansion durch eine Veränderung des Produktmix und steigende Cashflows sowie Dividenden. «Als Erbe der früheren Lafarge-Transaktion zahlt Holcim Dividenden ohne Abzug der Schweizer Verrechnungssteuer», so die Deutsche Bank. Das sei möglich, weil noch rund 10,6 Milliarden Franken im Kapitalkonto vorhanden seine, wovon ein Grossteil bei Holcim bleibe. Das Unternehmen wolle also weiterhin hohe Dividenden zahlen. Aufgrund des tiefen Zinsniveaus in der Schweiz ist die Holcim-Dividende für Anleger besonders attraktiv.

Analysten blicken der Abspaltung positiv entgegen. So stufte beispielsweise Barclays das Rating für Holcim auf «Overweight» von «Underweight» hoch und erhöht das Kursziel auf 109 von 84 Franken. Der Analyst betont, dass insbesondere der verbleibende Teil des Zementkonzerns nach der Abspaltung des nordamerikanischen Geschäfts attraktiv erscheine. Als Gründe werden die guten Aussichten in Europa und Lateinamerika sowie eine attraktive Dividende genannt. Bernstein ging gar noch höher und veranschlagt das Kursziel für Holcim auf 120 von zuvor 115 Franken. Im Schnitt aller Analysten resultiert ein Preisziel von 104,54 Franken - ein Aufwärtspotenzial von 13 Prozent.

Aisha Gutknecht arbeitet seit Juli 2024 als Redaktorin für cash.ch.
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