cash.ch: Herr Jakob, die chinesische Regierung sorgt mal wieder für Unruhe an den China-Börsen. Peking verbietet unter anderem Bildungsanbietern, Gewinne zu machen. Warum geht China immer wieder gegen seine eigene Firmen vor?

Michael C. Jakob: Die chinesische Regierung versucht, die eigene Machtposition immer zu schützen. Das ist in westlichen Ländern zwar auch nicht anders, in Diktaturen wie China aber natürlich viel elementarer. Alles, was der Regierung zu stark entgleiten könnte, wird eingeschränkt oder verboten. Damit zeigt die Regierung, wer der Herr im Haus ist. Gerade bei den Tech-Unternehmen Alibaba und Tencent sieht man das. 

Aber diesmal geht es ja auch gegen eher kleinere Firmen aus dem Bildungsbereich wie etwa New Oriental Education. 

Bei kleinen Firmen wie etwa aus dem Bildungs- oder auch Gaming-Bereich ist die Idee dahinter, die Bevölkerung zu schützen. Es handelt sich um eine Art Konsumentenschutz. 

Konsumentenschutz? 

Bei Gaming ist der Gedanke, dass die Leute nicht ihre Zeit verschwenden sollen. Daher geht die Regierung dagegen vor. In China sind aus dem selben Grund übrigens pornografische Inhalte verboten. Die Bevölkerung soll in den Augen von Peking sinnvollere Dinge machen. 

Wieso geht man dann gegen Anbieter von Bildung vor?

In China hat Bildung einen noch viel höheren Stellenwerte als in Europa. Die Schulnote entscheidet komplett darüber, wie das weitere Leben verläuft. Die Eltern investieren Leib und Gut, um die Bildung der Kinder zu sichern. Kinder werden nicht einfach nur auf die staatlichen Schulen geschickt, sondern erhalten private, teure Bildungskurse. Das führt dazu, dass sich viele Chinesen viel zu stark verschulden. Dagegen geht die Regierung jetzt vor. 

Wenn Chinas Regierung den Unternehmen praktisch über Nacht die Geschäftsgrundlage entziehen kann: Warum sollte man überhaupt noch in China investieren?

Weil man als Investorin oder Investor immer in Wahrscheinlichkeiten denken muss. Ich muss mir überlegen, welche Risiken es gibt und wie gross deren Eintrittswahrscheinlichkeiten sind. 

Zu welchem Ergebnis kommen Sie bei China-Aktien? 

Es gibt fünf Risiken in China. Erstens taucht beim Thema China immer die Frage der Marktwirtschaft auf. Heisst, stimmen die Konjunkturdaten überhaupt, die Peking publiziert? Zweitens besteht das sogenannte ADR-Risiko. Als ausländischer Investor kann man in China keine physischen Aktien kaufen sondern nur verbriefte ADRs (American Depositary Receipts), oft auch Hinterlegungsscheine genannt (mehr dazu hier, Anm. d. Red.). Wenige Firmen haben auch Aktien in Hong Kong, dann hat man dieses Risiko nicht. Drittens ist da die ganze Diskussion über Antimonopol-Gesetze, Stichwort Alibaba und Tencent. Diese Risiken sind im Vergleich aber sehr klein. 

Und Risiko vier und fünf? 

Hier geht es um lokale und globale Enteignung, wie ich sie einteile. Lokale Enteignung gibt es auch bei uns, wenn der Staat etwa eine neue Strasse bauen will und beschliesst, das Land zu Marktpreisen abzukaufen. Wirklich ernst wird es aber bei der globalen Enteignung. Hier muss ich mir als Investorin oder Investor die Frage stellen: Wie wahrscheinlich ist es, dass China beschliesst, dass internationale Investoren überhaupt nicht mehr in China investieren dürfen, auch nicht über Umwege? 

Was denken Sie?

Es ist zumindest das einzige Risiko, das im Vergleich mit den anderen Risiken hoch relevant ist. Es würde bedeuten, dass internationale Investoren auf einen Schlag ihr Geld verlieren, weil die Aktien ihren Wert verlören. Allerdings hätte es auch zur Folge, dass der chinesische Kapitalmarkt komplett einfriert. China hätte so gesehen die ganze Welt 'veräppelt'. Es sind ja nicht nur Privatanleger in China investiert, sondern auch Pensionsfonds, Versicherungen oder Hedgefonds. Niemand würde China in den nächsten zehn Jahren noch Geld leihen. 

Also halten Sie auch dieses Risiko für eher unwahrscheinlich. 

Die Auswirkungen wären katastrophal. Im Gegensatz zu den anderen vier genannten Risiken, würden Investoren alles verlieren. Doch die Eintrittswahrscheinlich sehe ich als sehr gering. Ich bin mir sicher, die chinesische Regierung ist intelligent genug, sich nicht ins eigene Knie zu schiessen und die eigene Wirtschaft an die Wand zu fahren. Das wäre nämlich eine wahrscheinliche Folge daraus.  

Was passiert mit den grossen Tech-Firmen wie Alibaba und Tencent? Können Anlegerinnen und Anleger hier ruhigen Gewissens investieren? 

Wer in China investieren will, sollte vor allem in Alibaba und Tencent investieren und weniger auf kleinere spezialisierte Firmen wie eben New Oriental schauen. Bei den zwei Grossen hat man den Vorteil, dass sie in sich schon top diversifiziert sind. Wenn China etwa gegen Gaming vorgeht, kann das Tencent verkraften, weil der Konzern noch viele andere Geschäftszweige hat, darunter 700 Startup-Beteiligungen. Auch Alibaba hat zahlreiche Geschäftsfelder mittlerweile...

….Payment, Cloud-Lösungen, E-Commerce.

Genau, diese Firmen sind also absolut elementar. Wenn Alibaba und Tencent geschlossen würden, wäre gleichzeitig ein Grossteil des chinesischen Internets – und damit der Wirtschaft - ausgeschaltet. Man muss sich vor Augen führen, diese Firmen sind viel mächtiger als die Big-Techfirmen in den USA. Alibaba und Tencent kontrollieren praktisch das gesamte Internet in China. In den USA gibt es mittlerweile schon bis zu zehn Firmen, die für die Digitalwirtschaft wichtig sind. 

Sind Sie persönlich in Alibaba und Tencent investiert? 

Ja, und ich bleibe es auch. 

Glauben Sie, der Ausverkauf an den China-Börsen hat so langsam seinen Boden gefunden? 

Sicher kann es niemand sagen, doch ich glaube schon. Es geht bei der Frage der Bodenbildung ja immer um das Sentiment und um die Frage, ist die krasseste Sau schon durch Dorf gejagt worden. Ich glaube, die meisten schlechten News sind jetzt raus.

Michael C. Jakob gründete 2017 im Alter von 24 Jahren AlleAktien.de. Davor studierte er Informatik und Management am Karlsruher Institut für Technologie, an der ETH Zürich sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Während des Studiums absolvierte Jakob ein siebenmonatiges Praktikum bei der UBS und war nach Studienabschluss ein Jahr Management Consultant bei McKinsey. Zudem hat er zwei Jahre lang in China gelebt und gearbeitet. Heute ist Singapur seine Wahlheimat .