Christian Angermayer (42), der zu den 1000 reichsten Personen Deutschlands gehört und spätestens seit der am Mittwoch bekanntgegebenen Finanzierungsrunde seiner Biotechfirma ATAI in den Club der Milliardäre aufgestiegen ist, ist Seriengründer und Investor mit Wohnsitz London. Seine Apeiron Investment Group ist Angermayers Family Office mit Fokus auf Fintech- und Kryptotechnologien, neuen Technologien wie Raumfahrt und Künstliche Intelligenz sowie Biowissenschaften. Angermayer ist auch einer der grössten Investoren weltweit in der Erforschung medizinischer Psychedelika mit dem Ziel, diese kommerziell unter ärztlicher Aufsicht nutzbar zu machen. Er ist in der internationalen Startup und Investoren-Szene bestens vernetzt und ist ein Freund von Silicon-Valley-Ikone Peter Thiel, einem der ersten Facebook-Investoren. Angermayer und Thiel haben in mehr als 15 Unternehmen gemeinsam investiert.

cash.ch: Als wir Anfang Mai 2020 zusammen gesprochen haben, sahen Sie keinen schnellen Erfolg für einen Corona-Impfstoff. Sind sie heute erstaunt, wie rasant die Privatwirtschaft einen Corona-Impfstoff entwickelt und bereitgestellt hat?

Christian Angermayer: Das Finden und Zulassen eines Impfstoffes ging in der Tat extrem schnell. Ein riesiges Kompliment an Biontech und Moderna. Fairerweise muss man sagen, dass Amerika unter Donald Trump sehr gepusht hat was die Zulassung angeht. Wenn Europa auf sich allein gestellt gewesen wäre, hätten wir nicht so schnell einen Impfstoff gehabt. Vermutlich würden die Bürokraten in Brüssel immer noch prüfen. Dass es schlussendlich so schnell ging, auf Basis bestehender Impfstoffplattformen Einzelimpfstoffe zu entwickeln, beweist, wie schlagkräftig die Biotechindustrie geworden ist. Das ist ein Beispiel dafür, warum ich glaube, dass wir uns am Anfang eines goldenen Zeitalters von Biotech befinden.

Sie sagten Anfang Mai, dass wir ab 2021 den Börsenboom 2013-1019 reloaded bekommen. Die Impfstoffzulassung hat die Börsen bereits im November stark befeuert. Hat dies Ihre Prognose verändert?

Im Prinzip nicht. Es kam nur noch schneller und noch extremer als ich dachte. Meine Grundthese über die nächsten zehn Jahre ist immer noch dieselbe: Weltweit haben Politiker jeglichen Spektrums das Gelddrucken als Lösung für alle Probleme entdeckt. Das gab es noch nie in der Geschichte. Dies führt zu einer anhaltenden Vermögenspreisinflation. Das Geld verliert weltweit an Wert, weil so viel davon gedruckt wird. Deswegen werden qualitative Vermögenswerte zwangsweise nach oben gehen.

Wie soll sich ein Anleger in einem solchen Umfeld verhalten?

Die erste Entscheidung für einen Investor aus meiner Sicht lautet: Will ich in der permanent an Wert verlierenden Anlageklasse Cash oder besser irgendwo anders investiert sein? Zu Cash zähle ich übrigens auch alle Fremdkapitalinstrumente wie Bonds. Jeder hat dann natürlich seine Meinung, welche die besseren Anlageklassen sind. Aber wenn ich jedem Leser genau einen Satz aus diesem Interview mitgeben kann, dann diesen: 'Entscheidet Euch, aus dieser miserablen Anlageklasse Cash rauszugehen und etwas sinnvolleres mit dem Geld zu machen.'

Zum Beispiel Bitcoin kaufen?

Ich war schon immer bullish auf Bitcoin und bin es immer noch. Dies bezieht sich aber auf einen längeren Zeitraum. Aktuell ist Bitcoin sehr stark angestiegen, da kann eine Konsolidierung folgen. Aber ich bin kein Trader. Langfristig gilt: Die Welt braucht immer einen Wertspeicher. Für kurze Zeit war dies der Dollar, für eine ganz lange Zeit Gold. Bitcoin löst gerade Gold und den Dollar als Wertspeicher ab. Bitcoin ist das Gold des digitalen Zeitalters. Wenn ich mich heute festlegen müsste, würde ich sagen, Bitcoin und Biotech sind die beiden spannendsten Assetklassen der nächsten zehn Jahre.

Jeder Anleger sollte Bitcoin trotz der starken Volatilität im Portfolio haben? Und wie viel besitzen Sie selbst?

Zumindest jeder Anleger, der bisher Gold im Portfolio hatte. Oder Bargeld. Denn nochmals: Die gefährlichste Anlageklasse der nächsten zehn Jahre ist Cash. Dort wird man komplett enteignet. Ich selbst habe über meine börsennotierte Cryptology Asset Group indirekt ungefähr 5000 Bitcoin. 

Braucht ein Anleger nicht ein bisschen Feuerkraft in der Hinterhand?

Natürlich. Wir müssen zwischen kurzfristiger und langfristiger Strategie unterscheiden. Die Volatilität wird wegen der Liquiditätsschwemme in den nächsten zehn Jahren immer grösser. Anleger müssen sich auf regelmäßige Mini-Crashs einstellen, die sehr schmerzhaft, aber auch schnell wieder vorbei sein können. Eine taktische Cashposition, um dann zukaufen zu können, wenn die Aktien mal stark runtergehen, ist sehr wichtig. 

Auf kurze Sicht richtet sich der Anlegerblick auf die 'Normalisierung' der Wirtschaft. Was ist Ihre Marktprognose für 2021?

Was im Mittelalter die wortwörtlichen Orgien waren, werden heute Konsumorgien sein. Diese werden die Märkte nochmals positiv anheizen. 

Ein Nebeneffekt ist jedoch, dass die Inflation anziehen wird. Sehen Sie dies nicht so?

Es wird Inflation kommen. Aber zum einen glaube ich, dass diese geringer ausfallen wird als viele annehmen. Denn technologischer Fortschritt ist extrem deflationär- und die nächsten 10 Jahre werden geprägt sein von mehr technologischem Fortschritt als die letzten 100 Jahre zusammen. Das wirkt den inflationären Tendenzen entgegen. Und dann ist da noch die offene Frage: Werden die Notenbanken als Reaktion auf steigende Inflation überhaupt die Zinsen anheben? Fed-Chef Jerome Powell hat zuletzt letzte Woche gesagt und bekräftigt, dass das Hauptziel der Geldpolitik die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sei. Auch wenn die Inflation ein bisschen kommt: Ich glaube nicht, dass die Notenbanken grossen Zinserhöhungen vornehmen werden. Wenn meine Prognose eintrifft, dann werden wir eine Orgie an den Aktienmärkten haben.

Das billige Geld wird bleiben?

Da bin ich mir sehr sicher. Die Politiker brauchen das billige Geld, weil sie Vollbeschäftigung erkaufen wollen. Die Rechnung bezahlen die Sparer. Dies nehmen die Politiker wissentlich in Kauf. Solange die Sparer sich politisch nicht wehren, wird das Vorgehen ja belohnt: Man hat höhere Beschäftigung und Wirtschaftswachstum – mit dem Nebeneffekt, dass diejenigen, die Assets besitzen, noch reicher werden. Solange mehr Leute diese Politik gutheissen als bestrafen, werden sich die Politiker auch nicht neu ausrichten. Und noch etwas darf man nicht unterschätzen: Wir befinden uns in einem globalen Wettbewerb der Systeme. USA, Europa und China gegeneinander. Zu Zeiten linearen technologischen Fortschritts war es nicht so schlimm, wenn ein Land einmal einige Jahre stagnierte. Man konnte wieder aufholen. In Zeiten von exponentiellem Wachstum können einige Jahre wirtschaftliche Stagnation, die oft auch die Innovationskraft beschneidet, zu einem unaufholbarem Nachteil werden. Oder kurz gesagt: Wenn Europa und USA nicht dauerhaft und uneinholbar hinter China zurückfallen wollen, ist Wachstum um jeden Preis die einzige Alternative. 

Das grosse Problem ist doch, dass der Sparer die Entwertung gar nicht merkt?

Exakt. Die Enteignung geht sehr schleichend vor sich. Denn wir haben im Kopf, dass wir einen Euro als einen Euro sehen. Würden wir Bitcoin als die Referenzwährung nehmen, die immer stabil bleibt, könnten die Sparer den Wertverlust bei ihren Cash-Beständen täglich beobachten, weil man dann sehen würde, dass der Wert eines Euros gemessen in Bitcoin beständig an Wert verliert.

Ein anderes Zeichen boomender Börsen sind die SPACs – also leere Börsenmäntel, die erst Kapital über ein IPO einsammeln und erst anschliessend ein Unternehmen kaufen. Der Trend schwappt jetzt auch nach Europe. Auch Sie haben einen Spac initiiert. Sind Spacs nicht Zeichen eines überbordenden Hypes?

Die Spacs sind sicherlich ein Zeichen, dass wir in einem Boom-Markt sind. Der so genannte Sponsor, also der Initiator, bekommt im Erfolgsfall 20 Prozent des Upsides. Das ist wie die Gewinnbeteiligung bei einem Venture Fonds. Nur jetzt kann ein Sponsor, der entsprechenden Zugang zu guten Firmen hat, eine Gewinnbeteiligung auch bei einem Listing und darüber hinaus verlangen. Das ist wie eine Gewinnbeteiligung auf ein IPO. Man könnte das jetzt abtun und sagen: Zeichen des Hypes. Aber es ist auch ein Zeichen dafür, dass Liquidität eben in Übermassen vorhanden ist, und was wirklich rar ist sind wachstumsstarke Firmen. Es gibt zu wenig Ideen für dieses Geld. Ein weiterer Aspekt ist, dass die ganz guten Unternehmen in der Biotechnologie oder im Technologiebereich immer weniger Kapital brauchen, um ihre Pläne zu erfüllen. Alle Services um den Technologiesektor herum sind günstiger geworden. Also vereinfacht gesagt: Das Angebot an Kapital steigt durch die brummende Gelddruckmaschine der Notenbanken, aber die Nachfrage danach sinkt. Zurück zu Spacs: Deshalb sind die Investoren, die Liquidität im Überfluss haben, bereit, eine Gewinnbeteiligung zu zahlen, wenn Sie einen guten Deal bekommen.

Sie sprachen zuvor von nie dagewesenem technologischen Fortschritt in den nächsten Jahren. Kritiker sehen eher eine Dotcom-Blase 2.0...

Wir sind meines Erachtens gerade erst am Anfang einer spektakulären Phase echter technologischer Innovationen. Viele sagen, wir sind wieder im Dotcom-Boom, also in einer Blase. Damals war 'new economy kills old economy' das Schlagwort der Optimisten. Der Einbruch damals kam auch deshalb, weil die Leute gemerkt haben, dass das Schlagwort nicht eingetroffen ist. Wir waren damals viel zu optimistisch. Kritiker würden sagen, wir sind wieder in einer solchen Phase. Wir glauben 20 Jahre später wieder, dass technologischer Fortschritt die Welt verändern wird. Neue Schlagwörter wie 'technological disruption' werden verwendet, doch das Thema bleibt gleich: 'New economy kills old economy.' Ich glaube jedoch, dass diesmal die alte Wirtschaft wirklich auf der Strecke bleiben wird.

Dieses Mal stirbt die alte Wirtschaft?

Es gibt das berühmte Zitat meines Freundes Peter Thiel: 'Wir wollten fliegende Autos, wir erhielten stattdessen 140 Zeichen auf Twitter.' Mein Punkt ist: Jetzt kommen die fliegenden Autos wirklich. Dieses Mal wird die alte Wirtschaftswelt abgestraft werden. Es wird ein grosser Vermögenstransfer hin zu disruptiven Technologieunternehmen stattfinden.

Warum setzen Sie mit Ihren Investments insbesondere auf Biotechnologie?

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass der Wähler Gesundheit deutlich mehr priorisiert als noch vor einigen Jahrzehnten. Nur so kann man sich die hohe Zustimmung zu Aktionen erklären, die Teile der Wirtschaft ruinieren, unsere Freiheitsrechte massiv beschneiden und dabei oft gar keinen Effekt haben. Auch wenn diese Entwicklung gegen meine freiheitliche Einstellung geht: Schlussendlich muss ich akzeptieren, dass dies der Wunsch der Mehrheit der Leute ist. Und als guter Unternehmer produziere ich das, was die Masse will. Also Gesundheit. 

Schlussendlich gibt es immer dieses 'Black Swan'-Risiko. Was ist ein Risiko, dass Ihren Optimismus stören könnte?

Die meisten Anleger, private und institutionelle, waren die letzten 20 Jahre aufgrund der negativen Erfahrungen des Dotcom-Booms untergewichtet in Venture und Tech, und übergewichtet in Cash und Private Equity, also Eigenkapital- und Mezzanine-Investitionen. Über die Risiken von Cash haben wir schon ausreichend gesprochen. Aber auch die Private Equity Industrie könnte vor dem Platzen einer Blase stehen. Denn hier wurden aufgrund massiver Zuflüsse von Geldern in Private Equity Fonds Preise für meist 'old economy' Unternehmen bezahlt, die sich rückblickend als völlig absurd herausstellen könnten. Denn die meisten dieser teuer gekauften Firmen werden die nächsten 10 Jahre nicht überleben. Vergangene Cashflows haben Investoren in falscher Sicherheit gewogen.