Dieser Beitrag ist Teil des am 1. Februar 2017 erschienenen Anlegermagazins «VALUE» von cash. Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen.

 

Seit acht Jahren sind Sie Generalsekretärin der «FDP Frauen Schweiz». Was haben Sie erreicht?

Die Schweiz hat sich in dieser Zeit eher rückwärts- als vorwärtsentwickelt im Sinne einer konservativen Gesellschaft. Und doch konnten wir uns Gehör verschaffen für Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Teilzeit arbeitende Männer, Lohngleichheit oder Frauen in Chefetagen. Die Diskussionen um den Fachkräftemangel helfen uns dabei.

Von den 30 grössten Schweizer Firmen an der Börse hat keine eine Frau an der Spitze. Zufall oder Ausdruck des Schweizer Zeitgeistes?

Es ist die gesellschaftliche Realität in der Schweiz. Bis zum Alter von etwa 27 herrschen egalitäre Verhältnisse. Sobald aber die Familienfrage aktuell wird, ist es vorbei mit der Gleichberechtigung. Wie will eine Frau CEO werden, wenn sie mit 30 keine Stelle im mittleren Kader bekommt?

Was sind die Gründe dafür?

Zum einen die Familienplanung, die in grossen Teilen der Schweiz immer noch sehr traditionell gestaltet wird. Zum anderen gibt es viele Frauen, die Karriere machen wollen, aber nicht können, weil die Firmenstrukturen vielerorts sehr patriarchalisch geprägt sind. In kleinen Unternehmen ist der Frauenanteil traditionell höher als in Grossunternehmen.

Sie sind für eine Frauenquote in den Chefetagen. Wo bleibt die unternehmerische Freiheit?

Der aktuelle Vorschlag des Bundesrates ist eine wirtschaftsnahe Umsetzung eines Themas, das sehr wichtig ist. Viele Firmen sind nicht aktiv gegen mehr Frauen, haben aber das Thema nicht auf dem Radar. Das soll sich ändern.

Ihre Partei lehnt solche Quoten aber ab. Politisieren Sie am richtigen Ort?

Es gibt nie nur eine Meinung in einer Partei. Für viele Leute in der FDP ist Gleichberechtigung kein Thema, weil sie nicht direkt betroffen sind. Deshalb müssen wir näher zu den Leuten hin.

Laut Facebook-Topmanagerin Sheryl Sandberg trauen sich viele Frauen gar keine Karriere zu. Stimmt das?

Bei den Männern gibt es ja auch beide Seiten: Die einen wollen Karriere machen und die anderen nicht. Aber sobald es um die Gründung einer Familie geht, akzentuiert sich der Unterschied zwischen Frau und Mann nochmals. Deshalb braucht es auch 2017 immer noch Feministinnen.

Ein Ratschlag an junge Frauen, die Familie und Karriere anstreben ...?

Findet den richtigen Mann! Es ist entscheidend, dass man die wichtigen Fragen früh klärt: Wer schaut wann zu den Kindern, wer arbeitet wie viel? Nur wenn Mann und Frau zu gleichen Teilen in der Erziehung engagiert sind, kann eine Frau Karriere machen.

Als Bundespräsidentin für einen Tag: Was würden Sie unverzüglich ändern?

Ganz wichtig ist mir, dass die Bildungspolitik zur Wirtschaftspolitik gehören würde. Themen wie Tagesschulen, Berufsvorbereitungen oder Digitalisierung müssen bei den obersten Wirtschaftsführern auf die Agenda kommen.

Sie haben früher eine eigene Kommunikationsagentur geführt. Wie unternehmerfreundlich ist die Schweiz?

Die Schweizer Verwaltung ist sehr effizient, und auch finanzielle Unterstützung ist vorhanden. Wichtig ist aber, dass junge Firmen nicht frühzeitig zu stark besteuert werden. Es soll auch Aufgabe der Schulen sein, den Mut zum Unternehmertum frühzeitig zu fördern.

Was machen Sie mit Ihrem Geld? Investieren Sie an der Börse?

Meine Schwester ist Bankerin. Sie kümmert sich um den kleinen Teil der Einkünfte, der übrigbleibt. Aber der grösste Teil meines Geldes bleibt im Umlauf.

Claudine Esseiva (*1978) ist seit 2008 und bis Ende März 2017 Generalsekretärin der «FDP Frauen Schweiz» und seit 2017 Stadträtin von Bern. Neben ihren politischen Ämtern ist die zweisprachige Fribourgerin Beraterin in der Kommunikationsagentur furrerhugi in Bern. Sie ist Mutter eines Sohnes.