Am Dienstag überquerte der Dax die 24'000-Punkte-Marke zum ersten Mal überhaupt. In der Spitze erreichte der deutsche Leitindex 24'082 Punkte, zur Schlussglocke stand er bei 24'036 Punkten.

Wie hoch der 40 Unternehmen umfassende und wichtigste deutsche Aktienindex damit gestiegen ist, zeigt der Blick in den Rückspiegel: Ende September 2022 stand der Dax noch bei 11'975 Zählern. Der Anstieg, der sich seither ergeben hat, beträgt über 100 Prozent. Der Swiss Market Index (SMI) ist im gleichen Zeitraum um 22,5 Prozent gestiegen. 

Ähnlich wie der SMI hatte auch der Dax seit Anfang Jahr einen wechselvollen Verlauf. Zunächst ging es von unter 20'000 auf über 23'400 Punkte hoch. Die Eskalation des Handelsstreits machte die Gewinne wieder zunichte, bevor die Erleichterung über 90-tägige Zollpause des US-Präsidenten Donald Trump eine neue Rally auslöste. «Die nun verkündete Pause der reziproken Zölle verringert das Rezessionsrisiko und die Börsen können nicht anders, als wieder deutlich zu steigen», stellte Analyst Jochen Stanzel vom Broker CMC Markets fest.

Für den insgesamt 20-prozentigen Anstieg des Dax seit Anfang Jahr ist eine kleine Gruppe von Unternehmen hauptsächlich verantwortlich: «Vier Aktien trugen knapp die Hälfte zur Indexperformance bei: Rheinmetall, SAP, Siemens und die Allianz», erklärt Pascal Kielkopf, Kapitalmarktanalyst von HQ Trust. Und die ersten zehn Titel hätten für mehr als 80 Prozent des Zuwachses im Dax gesorgt.

SAP hat zwar lediglich etwas über 11 Prozent und damit weniger zugelegt als beispielsweise die Aktien des Pharmakonzerns Bayer, die knapp 24 Prozent gestiegen sind. Doch der Performance-Beitrag zum Dax hängt nicht nur von der Wertentwicklung der einzelnen Aktien ab, sondern auch vom Indexgewicht, das seinerseits vom Börsenwert des Unternehmens abhängt. Deshalb hat das Schwergewicht SAP grösseren Einfluss auf den Gesamtmarkt als das Leichtgewicht Bayer.

Der Softwarehersteller hatte im ersten Quartal 9 Milliarden Euro umgesetzt, 11 Prozent mehr als zum Jahresauftakt 2024. Die Cloud-Erlöse stiegen gar um 27 Prozent auf 4,99 Milliarden Euro. Und das bereinigte operative Ergebnis entwickelte sich um 58 Prozent auf 2,46 Milliarden Euro und lag über den Markterwartungen. Nun stufen drei Viertel der von Bloomberg erfassten Analysten SAP mit «Buy» ein.

Rheinmetall macht 4 Prozent des Index aus und ist damit nicht unter den gewichtigsten fünf Dax-Unternehmen. Dennoch hat der Rüstungskonzern wesentlich zur Gesamtmarktentwicklung im laufenden Jahr beigetragen. Der Grund: Ein Kursanstieg um 191 Prozent - keine andere Aktie lief besser.

Rheinmetall profitiert von den wachsenden Rüstungsausgaben - in den ersten drei Monaten des Jahres stieg der Konzernumsatz gegenüber dem Vorjahresquartal um 46 Prozent auf 2,3 Milliarden Euro, und das operative Ergebnis kam mit 199 Millionen Euro 49 Prozent über dem Wert des ersten Quartals 2024 zu liegen. «Wir müssen und werden liefern. Dabei erleben wir ein Wachstum, wie wir es im Konzern noch nie hatten und kommen unserem Ziel, ein globaler Defence-Champion zu werden, näher», kommentierte CEO Armin Papperger das Abschneiden des Konzerns.

Der Aufschwung des deutschen Aktienmarktes hat noch einen anderen Grund als die Unternehmensergebnisse. Schon seit einiger Zeit schichten Anleger von US-Aktien in europäische Werte um. So hat der Dow Jones schon Ende 2024 nachgegeben und das Hoch von über 45'000 Punkten verlassen. Insbesondere der zuvor sehr gut gelaufene US-Technologiesektor wurde von wachsender Skepsis erfasst, die sich durch das Aufkommen von DeepSeek, der Künstlichen Intelligenz aus China, Anfang Jahr verstärkte.

Tiefere Zinsen in Sicht

Angesichts des Rekordstands stellt sich nun die Frage, ob der Dax noch weiter steigt oder ob bald eine deutlichere Gegenbewegung einsetzt. Anhaltspunkte finden sich im makroökonomischen Umfeld. Die Inflation im Euroraum liegt mittlerweile bei 2,2 Prozent.

Laut Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin, wird sie weiter zurückgehen, «insbesondere weil die teuren Lohnabschlüsse vorüber sind und die nächsten Abschlüsse moderater ausfallen dürften». Das bedeute, führt er aus, «dass die Europäische Zentralbank die Zinsen nicht nur im Juni, sondern auch im Juli und im September senken kann».

Die (EZB befindet sich schon seit vergangenem Sommer im Zinssenkungsmodus. Im April setzte sie die geldpolitischen Schlüsselsätze weiter herab, und zwar um 25 Basispunkte. Der Disinflationsprozess schreite gut voran, hiess es zur Begründung.

Weitere Zinssenkungen würden Kreditkosten abermals senken und so Unternehmen entlasten. Schub dürfte mittelfristig auch von den Staatsausgaben kommen. Die deutsche Regierung hatte im März ein umfangreiches Finanzpaket zugunsten von Verteidigung und Infrastruktur beschlossen.

Ein konjunktureller Aufschwung dürfte zwar noch nicht in diesem Jahr einsetzen. «Doch die Kombination aus tieferen Zinsen und einem Fiskalimpuls wird die Wirtschaft im nächsten Jahr beleben. Gelingen in Deutschland zudem strukturelle Reformen, so wird der Aufschwung mehr sein als bloss ein Strohfeuer», sagt Karsten Junius.

Seine Einschätzung deckt sich mit der aktuellsten Prognose des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die Wirtschaftsweisen sehen eine Nullrunde des deutschen Bruttoinlandsproduktes im laufenden und ein 1-prozentiges Wachstum im nächsten Jahr.

Sie weisen auch auf strukturelle Probleme hin. Etwa belaste die Bürokratie deutsche Unternehmen weiterhin. Nun sollten, so sagen die Sachverständigen, Bürokratiekosten reduziert werden, indem zum Beispiel öfter als bisher digitale Lösungen geschaffen werden. Zudem bedürfe es einer moderneren Verwaltungskultur.

Laut Junius bleibt - neben den guten Nachrichten - ein Risiko: Vergeltungszölle der EU gegenüber den USA würden auch die Europäer treffen, so der Safra-Sarasin-Chefökonom. «Zum einen würde die Inflation steigen, zum anderen würden sich die Produktionskosten für die Unternehmen verteuern.»

Reto Zanettin
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