Die Konjunkturprognosen zeichnen ein düsteres Bild. Welche Gründe sehen Sie, warum Anleger dennoch Hoffnung schöpfen können?
Christof Strässle: Das ökonomische Gesamtbild sieht in der Tat düster aus. Die massiven Konjunkturstützen, gekoppelt mit krisenbedingt geringeren Staatseinnahmen, lassen die Verschuldung weltweit ansteigen, was mittelfristig zu höheren Steuern und Sozialabzügen führen wird. Ungleichgewichte bei Angebot und Nachfrage, die aktuellen Tendenzen zur Deglobalisierung, Druck auf die Margen und ein reduzierter Konsum tragen das ihrige zum eingetrübten Ausblick bei. Auf der positiven Seite stehen die immensen geld- und fiskalpolitischen Massnahmen, welche die 'Liquiditätsschwemme' weiter erhöhen. Es ist daher denkbar, dass wir auf Zusehen höhere Bewertungsniveaus an den Aktien- und Immobilienmärkten sehen. So lange die Zinsen tief bleiben, mag dies aufgehen. Zudem gibt es auch Branchen und Unternehmen, welche von einem beschleunigten Strukturwandel profitieren. So in den Bereichen Digitalisierung und Logistik.
Viele Anleger setzen derzeit auf Sachwerte wie Gold und Immobilien sowie auf Aktien. Sehen Sie andere Anlageklassen, die Investoren in ihrem Portefeuille berücksichtigen sollten?
Mit den genannten drei Bausteinen erreichen die meisten Investoren bereits eine sehr gute und ökonomisch zweckmässige Abdeckung. Mit einer adäquaten Diversifikation bei Immobilien und Aktien sowie einer auf die persönliche Situation abgestimmten Liquiditätsquote lassen sich auch Krisen durchstehen.
Bei internationalen Anlagen kommt immer ein Währungsrisiko ins Spiel. Wie gross ist dieses Risiko derzeit – und wie lässt es sich am besten umgehen?
Es ist vorwegzunehmen, dass das Währungsrisiko nicht bei allen Anlagen den gleichen Stellenwert einnimmt. So machten bei Fremdwährungsobligationen die Währungsbewegungen einen markant grösseren Teil der Gesamtrendite aus als bei Aktien. Letztere können je nach Absatzmarkt sogar von einer schwächeren Heimwährung profitieren. Für langfristig orientierte Investoren bietet sich daher bei Obligationen eine Absicherung an, während die Absicherung bei Aktien einen taktischen Charakter hat. Am einfachsten lässt sich die Absicherung über die Wahl von währungsgesicherten Fondstranchen oder ETFs realisieren. Grössere Direktengagements lassen sich über Devisentermingeschäfte oder Derivate steuern. Dies geht jedoch mit einer höheren operativen Komplexität einher.
Aus Sicht von Goldman Sachs könnte sich der Franken gegenüber dem Euro auf 1,02 Franken aufwerten. Erwarten Sie ebenfalls ein Erstarken des Frankens?
Aufgrund der vorherrschenden Zinsdifferenzen und der Theorie der Kaufkraftparität ist eine weitere Aufwertung des Frankens eigentlich nur eine Frage des Tempos. Dieses wird von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit Argusaugen verfolgt und nötigenfalls mittels Interventionen adressiert. Bei der Prognose von Goldman Sachs ist zu beachten, dass wir von heute 1,06 (das Interview wurde in der letzten Woche geführt, Anm. der Red.) auf 1,02 lediglich noch von einer Euro-Abwertung von knapp 4 Prozent sprechen. In den letzten zwei Jahren mussten wir eine Abwertung von über 10 Prozent hinnehmen! Vor dem Hintergrund, dass die Zinsdifferenz vorderhand stabil bleibt, sehe ich kurzfristig für das Verhältnis des Frankens zum Euro eher eine Seitwärtsbewegung. Mittelfristig werden die Wirtschaftsaussichten und die Stabilität der EU wieder auf die Kursentwicklung Einfluss nehmen.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Ich sehe die jüngste, positive Marktentwicklung als unmittelbare Einrechnung der vielfach diskutierten U-förmigen Erholung der Wirtschaft. Die Investoren erwarten, dass die sukzessiven Lockerungen fortgesetzt werden, zeitnah ein Impfstoff gefunden wird und wir Schritt für Schritt zum 'business-as-usual' übergehen können. Selbstverständlich ist dies ein mögliches Szenario. Das positive Marktsentiment lässt aber viel Raum für Enttäuschungen. So werden wir in den nächsten Wochen von der Wirtschaftsfront viele negative Zahlen präsentiert erhalten. Diese dürften dazu führen, dass die Bäume an den Finanzmärkten vorläufig nicht in den Himmel wachsen.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Aufgrund seiner Sektorenkonzentration in den Bereichen Pharma und Basiskonsumgüter ist der SMI nicht wirklich repräsentativ für die Entwicklung der Schweizer Realwirtschaft. Es ist daher gut möglich, dass wir beim SMI über die nächsten 12 Monate nochmals höhere Kurse sehen. Anders dürfte die Entwicklung in den breit gefassten Indices sein, welche die bestehenden Herausforderungen in der Schweiz besser widerspiegeln. Hier erwarte ich für die nächsten Monaten eine Seitwärtsbewegung.
Christof Strässle ist Gründungs- und Managing Partner der Strässle Schumacher AG in Luzern. Strässle Schumacher ist spezialisiert auf unabhängige Vermögensberatung und strategische Finanzplanung.
Dieser Artikel erschien zuerst auf handelszeitung.ch unter dem "'Eine weitere Aufwertung des Frankens ist nur eine Frage des Tempos'"