In Deutschland sollen Millionen Patientinnen und Patienten bald auf digitale Anwendungen umsteigen. Darauf zielen zumindest Gesetzespläne des deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ab, die das Bundeskabinett am Mittwoch auf den Weg bringen will. Nach vielen Verzögerungen will Deutschland bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen nun den Durchbruch schaffen. 

Für die vor allem in Deutschland tätige Thurgauer Online-Apotheke DocMorris dürften das gute Nachrichten bedeuten. Bis Anfang 2024 sollen wie schon länger bekannt elektronische Rezepte in den Praxen zum Standard werden. Und als zentrales Instrument sollen Anfang 2025 dann die E-Patientenakten für alle kommen - es sei denn, man lehnt das für sich ab. Auch die Nutzung kombinierter Gesundheitsdaten für die Forschung soll erleichtert und deutlich vorangebracht werden.

Lauterbach hat schon deutlich gemacht, dass es um eine «Aufholjagd» geht. Die FDP-Fachpolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus sagte: «Deutschland ist durch die jahrzehntelange Vernachlässigung in der Digitalisierung des Gesundheitswesens weit abgeschlagen.»

Dabei sei sie auch eine Antwort auf grosse Herausforderungen wie Kostenexplosion, Fachkräftemangel und die Versorgung auf dem Land. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) erwarten, dass «nach Jahren der Stagnation und des Durchwurschtelns» die E-Patientenakte zur Massenanwendung wird. Sie könne sich zu einer relevanten Plattform für den Austausch von Gesundheitsdaten entwickeln, sagte Verbandschefin Carola Reimann.

E-Rezept auf breiter Front

Lauterbach will also mit zwei Gesetzen Anwendungen mit praktischem Nutzen für Patientinnen und Patienten beschleunigen. Vom 1. Januar 2024 an soll es für Ärztinnen und Ärzte verpflichtend werden, Verschreibungen elektronisch auszustellen. Die Praxen sollen sich dafür schrittweise umstellen. Ein Start in grösserem Stil hatte sich auch wegen technischer Probleme mehrfach verzögert.

Eigentlich bestand die Verpflichtung für die Praxen dazu auch schon ab Anfang 2022. Entscheidenden Schub bringen soll ein einfacherer Einlöseweg für E-Rezepte. Seit 1. Juli ist es in Apotheken möglich, dafür die Versichertenkarte der Krankenkasse in ein Lesegerät zu stecken. Schon länger sind E-Rezepte anstelle der gewohnten rosa Zettel auch über eine spezielle App oder einen ausgedruckten QR-Code einzulösen.

In den Praxen sind aber noch nicht überall die Voraussetzungen dafür geschaffen. Dazu gehört ein Verbindungsgerät an die geschützte Datenautobahn des Gesundheitswesens. Die E-Rezepte werden auf einem zentralen Server gespeichert und beim Einstecken der Kassenkarte wird die Apotheke autorisiert, sie von dort abzurufen. «Der einzige volldigitale Weg beim E-Rezept ist eine Einlösung per App», sagte der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas. Mit dem Gesetz könne die E-Rezept-App künftig auch in die Apps der Kassen integriert werden.

E-Patientenakte für alle

Zudem will Lauterbach als wählbares Angebot die E-Patientenakte für alle. Diese wurde eigentlich bereits 2021 eingeführt. Sie soll ein persönlicher Datenspeicher sein und Patienten im Prinzip ein Leben lang bei allen Ärzten begleiten. Die gebündelten Daten sollen auch Wechselwirkungen von Medikamenten und unnötige Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Das Problem ist nur, dass sich bisher nur etwa ein Prozent der 74 Millionen gesetzlich Versicherten für eine E-Akte entschieden hat. Erklärtes Beschleunigungsziel der Bundesregierung ist es, bereits bis 2025 auf 80 Prozent zu kommen.

Dafür will die Koalition auf das Prinzip «Opt-out» umschwenken: Laut Gesetzentwurf sollen die Krankenkassen breit informieren und dann bis 15. Januar 2025 für alle gesetzlich Versicherten automatisch eine E-Akte einrichten - es sei denn, man widerspricht aktiv. Abrufbar sein soll die E-Akte dann mit bestimmten Identifikationsregeln über eine Kassen-App.

Was Ärzte und Ärztinnen in die Akte einstellen und wer worauf zugreifen kann, soll man selbst festlegen können. Zuerst soll eine Medikamenten-Übersicht nutzbar sein, folgen sollen unter anderem Laborbefunde. Bei Kassenwechsel kann man die Daten mitnehmen.

Leichtere Datenforschung

Ein weiteres Ziel ist es, die Forschung mithilfe von Gesundheitsdaten voranzubringen. Dafür will Lauterbach per Gesetz ermöglichen, an einer zentralen Zugangstelle Daten aus verschiedenen Quellen zu verknüpfen - etwa aus Krebsregistern und von Krankenkassen. Dabei sollen die Daten verschlüsselt (pseudonymisiert) werden. Für Daten, die in E-Akten gespeichert werden, ist wieder ein Opt-out-Modell geplant: Sie sollen also zunächst eine Einstellung für «Datenspenden» zu Forschungszwecken bekommen, der man aber widersprechen kann.

Lauterbach sieht ein grosses Potenzial in Datenauswertungen, mit denen andere Länder während der Corona-Pandemie schnelle Erkenntnisse erzielen konnten. Generell könnten dann auch mit künstlicher Intelligenz über Abgleiche mit ähnlichen Fällen zum Beispiel Tumore in frühen Stadien besser erkannt werden.

Offene Frage für DocMorris

Für die Online-Apotheken DocMorris und den Konkurrenten Redcare Pharmacy sind das im Prinzip gute Nachrichten. DocMorris sah sich zuletzt im August anlässlich der Halbjahreszahlen denn auch für deutschlandweite Umsetzung des E-Rezepts gerüstet.

Gleichzeitig betonte DocMorris aber auch, dass es bei der konkreten Umsetzung des E-Rezepts wichtig sei, dass keinerlei Papier verwendet werde, die Patienten also nicht etwa mit ausgedruckten QR-Codes hantieren müssten. Denn eine Lösung, bei der etwas ausgedruckt werden müsse, sei eigentlich gar keine digitale Lösung. Daher setzt DocMorris auf die Nahfunktechnik NFC. Mit dieser Technologie sind die meisten modernen Smartphones ausgestattet und sie kommt etwa auch beim kontaktlosen Bezahlen zum Einsatz.

DocMorris und Redcare Pharmacy sahen sich zuletzt aber gerade in dieser Hinsicht gegenüber stationären Apotheken strukturell benachteiligt und reichten daher im Juni eine Beschwerde bei der EU ein. Sie monierten, dass Patienten in Deutschland inzwischen zwar ihr E-Rezept deutlich vereinfacht in stationären Apotheken einlösen könnten. Dabei werde etwa keine PIN benötigt. Der volldigitale Weg direkte vom Arzt via App über eine Versandapotheke sei dagegen kompliziert und erfordere eine PIN.

So ist vielen Versicherten der Weg via App offenbar zu kompliziert, wie ein Sprecher der Thurgauer Gruppe im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP sagte. Er sprach von einer «verschwindend kleinen» Zahl der App-Nutzer gemessen an allen Versicherten in Deutschland. Die Downloadzahlen der entsprechenden App würden dies klar belegen. Einige Analysten bezweifeln denn auch, dass DocMorris bereits ab 2024 stark von den Neuerungen profitieren wird.

(AWP)