cash.ch: Die Schweizer Börse kommt gemessen am Swiss Market Index (SMI) dieses Jahr mit einem Plus von 2 Prozent nur langsam vom Fleck. Wie sehen Sie die Marktlage für Schweizer Aktien?

Eugen Perger: Es sind die Schwergewichte, die am Markt nüchtern betrachtet werden. Roche, Novartis und Nestlé dominieren und es besteht nur wenig Fantasie, dass ihre Aktien höher gehen. Roche hat mit den Zahlen enttäuscht und 2024 wird für die Basler ein schwaches Jahr werden.

Der SMI wird für das restliche Jahr von ausländischen Indizes wie dem DAX abgehängt…

Ja, dies ist gut möglich. Der Franken ist superstark, was immer eine Last darstellt. Wobei das letzte Quartal 2023 von der Währungsseite besonders belastend war. Viele Unternehmen haben gerade wegen des Franken-Faktors enttäuscht, sei es EMS-Chemie, Sika oder Givaudan.

Jetzt aber nicht mehr? Die Frankenstärke hat sich ja ein wenig abgeschwächt.

Der Aufwertungsdruck auf den Franken hat nachgelassen. Der Dollar ist stärker geworden und der Euro bleibt konstant schwach. 

Wie beurteilen Sie die bisherigen Jahresabschlüsse? 

Trotz der Frankenstärke sind die Jahresabschlüsse gesamthaft positiv zu werten. Die Ängste haben sich nicht bewahrheitet. Fast überall konnte man trotz verhaltenem Ausblick eine Erholung beobachten. Lonza ist aber das einzige Unternehmen, das wirklich positiv aus der Masse hervorgestochen ist.

Mit plus 30 Prozent überzeugt Lonza dieses Jahr an der Börse. Wie viel davon ist der Personalie Präsident Albert Baehny geschuldet, die bei Lonza wegen des Abgangs für ein positives Sentiment sorgt? 

Nein, es ist die Marge und der Ausblick, die überzeugt haben. Hinzu kommt die Phantasie bezüglich der Alzheimer-Behandlung. Diese künftigen Blockbuster werden wohl von verschiedenen Unternehmen produziert werden, so auch im Auftragsverhältnis von Unternehmen wie Lonza. Aber ja: Präsident Albert Baehny hat enttäuscht, das ist klar. Die Kommunikation ist bei Lonza nicht gut. Bei einem Konzern dieser Grösse ist man sich anderes gewohnt.

Wer hat mit den Jahreszahlen bislang am grössten enttäuscht?

Roche. 

Stichwort Temenos: Wie ordnen Sie die Situation ein?

Es ist nicht allzu viel hinter den Vorwürfen. Jemand versucht, die Leute zu verunsichern und davon Kapital zu schlagen. Die Substanz im 50-seitigen Hindenburg-Bericht ist gering.

Ist es ein typischer «Short Attack»?

Ja, es sieht danach aus.

Ein idealer Zeitpunkt für einen Zukauf? 

Wir denken ja, wir haben ein 12-Monats-Kursziel von 100 Franken und damit eine Kaufen-Empfehlung.

Welches sind andere Schweizer Aktien, die stark im Fokus von Leerverkäufern stehen?

Sicherlich Meyer Burger. Von den grösseren Werten eventuell BKW.

BKW, wirklich?

Man munkelt am Markt, dass bei BKW im Dienstleistungsbereich etwas abgeschrieben werden muss. Man hat vielleicht etwas überzahlt. Aber das sind derzeit alles Gerüchte. Wir glauben, dass es sicherlich nicht substanziell für BKW ist, da beim Stromkonzern alles mit Energieerzeugung steht und fällt.

Bei Meyer Burger waren die Leerverkäufer sicherlich erfolgreich…

Klar, dies ist aber eine andere Dimension.

Was ist hier passiert? Wollten viele Anleger die Realität nicht wahrhaben?

Es ist dramatisch. Meyer Burger muss neues Eigenkapital in grossem Umfang beschaffen. Insgesamt ist von einem Kapitalbedarf über 400 Millionen Franken die Rede, wohl zum erheblichen Teil Eigenkapital. Es ist nicht einmal klar, ob die ersehnten Subventionen in den USA an die Eigenkapitalstruktur der Firma geknüpft sind. Man kann nachvollziehen, dass der Staat nur Geld an eine Firma mit gesunder Bilanz spricht.

Meyer Burger ist in der heutigen Form gefährdet?

Die Existenz von Meyer Burger ist gefährdet, muss man leider sagen. Eigenkapital kann vernichtet werden. Es könnte sogar so weit kommen, dass nicht mehr alle Schulden bedient werden können.

Denken Sie, dass Meyer Burger gekauft werden könnte?

Wohl eher nicht, die US-amerikanischen und chinesischen Anbieter haben selbst sehr grosse Produktionskapazitäten

Woran droht Meyer Burger zu scheitern? War die Politik zu blind gegenüber der chinesischen Billigkonkurrenz?

Ja, hier hätte man mehr tun können. Andere Staaten wie die USA oder auch China sind auch protektionistisch.

Meyer Burger sucht jetzt den Befreiungsschlag in den USA. Ist dieser Weg gangbar?

Ja, es könnte schon klappen. Aber man verliert wieder Zeit.

Wo sehen Sie an der Schweizer Börse weitere Titel mit Enttäuschungspotenzial?

Vor allem bei den ESG-Titeln im Bereich Wind- und Solarenergie. Dort sind sehr viele Gelder- auch von Institutionen - hingeflossen. Es besteht jetzt die Gefahr - auch im Windbereich -, dass zu viele unausgelastete Kapazitäten aufgebaut wurden.

Sie denken an Gurit?

Gurit und Schweiter. Beide haben eine sehr vorsichtige Guidance. Beide sind auf ein rasches Wiederanspringen der Investitionen in die Windkraft angewiesen. Doch dies ist bislang Wunschdenken geblieben.

Der Spinnereimaschinenhersteller Rieter steckt noch immer in der Krise. Wie sehen Sie die Situation? 

Ja, Rieter blickt auf schwierige Semester zurück, aber es gibt Anzeichen einer Markterholung. Zumindest konnte man im Januar anlässlich der Bekanntgabe des Umsatzes 2023 diesen Eindruck gewinnen. Wir haben unser 12-Monats-Kursziel leicht von 120 auf 110 Franken reduziert, halten aber an der Kaufen-Empfehlung fest. Das After-Sales-Geschäft hat zudem nicht enttäuscht.

Noch keine klaren Wetten auf stark zyklische Werte?

Wir mögen Titel mit einem hohen Exposure zur Basisinfrastruktur oder zum Energie- und Transportsektor. Dazu gehören Sulzer, Burckhardt Compression oder Sika.

Sehen Sie neben Gurit oder Schweiter noch andere Titel mit Enttäuschungspotenzial?

Nein. Anleger sind im gegenwärtigen Zinsumfeld eher skeptisch und zu vorsichtig.

Jetzt ist der Zeitpunkt zum Investieren?

Ja. Die Tatsache, dass die Zinsen zurückkommen werden, ist gegeben. Und die Wirtschaftslage ist ja in einer guten Verfassung.

Welches sind die wichtigsten Kennzahlen, die Anleger bei einem Aktieninvestment hinzuziehen sollten? 

Die operativen Multiples wie Ebit - Gewinn vor Zinsen und Steuern - im Vergleich zum Umsatz und zur Marktkapitalisierung. Es sind Zahlen, die wenig anfällig für Manipulationen und relativ konstant sind. Man sieht gut, ob ein Titel teuer oder günstig bewertet ist. 

Zu den Chancen: Welches sind derzeit Ihre Schweizer Aktienfavoriten und warum?

Im Infrastrukturbereich sind viele Titel günstig. Dazu gehört Sulzer mit einem guten Bestellungseingang. Lonza hat sehr gute Zahlen abgeliefert und noch weiteres Potenzial. Der Titel kann wieder 600 Franken erreichen. Sika musste an der Börse unten durch. Der Bauchemiekonzern hat ein grosses Erholungspotenzial. Die wenig zinssensitive und auch teilweise staatliche Nachfrage aus dem Infrastrukturbereich gibt hier den notwendigen Rückhalt.

Wo bleiben die Schweizer Technologietitel?

Also sehen wir positiv. Wir haben ein 12-Monats-Kursziel von 300 Franken. Der Titel kann Marktanteilsgewinne verbuchen und zahlt eine hohe Dividende. Zudem profitiert er betreffend Kunden-Cross-Selling am ehesten von den Fortschritten in der KI.. Halbleiterzulieferer wie VAT sind bereits teuer geworden, ebenso Comet. Hier haben wir eine Halten-Empfehlung.

Welches sind Dividendentitel, die man in einem Portfolio berücksichtigen sollte?

Hier kann man aus dem Vollen schöpfen. Insbesondere, da die Zinsen in absehbarer Zeit zurückgehen werden. Swiss Re oder Zurich Insurance gehören sicherlich auf die Kaufliste. Aber auch die grossen Nestlé, Roche und Novartis haben eine gute Dividendenrendite. Die Gefahr von einem Ausfall ist dort gering.

Eugen Perger war vor seiner Position als Leiter Aktienstrategie bei Research Partners bei der Falcon Private Bank (vormals AIG Private Bank) für den Aufbau und das Portfolio Management des Infrastruktur Aktienfonds verantwortlich. Vorgängig war Eugen für zwei an der Schweizer Börse SWX kotierte Investmentgesellschaften als Private Equity Analyst tätig. Bei der ehemaligen Bank von Ernst war Eugen zudem als Buy Side Aktienanalyst stellvertretender Ressortleiter der Research Abteilung. Eugen hat einen Abschluss als lic. oec. publ. an der Universität Zürich und wurde zum Dr. oec. publ. promoviert.
 

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