Bei sogenannten Peer-to-Peer-Krediten, auch Crowdlending genannt, werden Kredite von bis zu 20 verschiedenen Kreditgebern finanziert. Die Internet-Plattform, auf welcher sich Kreditnehmer und Kreditgeber finden, agiert dabei bloss als Intermediär. Sie ist für die Kreditfähigkeits- und Bonitätsprüfung zuständig und führt die finanzielle Abwicklung durch. Für kreditgebende Anleger liegen durch solche Investments Renditen von 4 bis 10 Prozent drin. Doch je höher die Rendite, umso höher auch das Ausfallrisiko.

Michael Borter, CEO von Cashare, äussert sich im cash-Interview zum Crowdlending-Business in der Schweiz und den Konsumkredit-Markt im Allgemeinen. Die Firma  Cashare war bei der Gründung im Januar 2008 die erste Crowdlending-Plattform der Schweiz. Inzwischen gibt es zahlreiche weitere Anbieter, etwa CreditGate24Lendmiteinander-erfolgreichVeolis oder Wecan.fund.

cash: Herr Borter, an der Konsumkredit-Branche haftet etwas der Ruf von Intransparenz und Wucher. Was ist dran?

Michael Borter*:  Auch wir sind nicht glücklich über alles, was in der Branche abläuft. Ich finde beispielsweise Werbung zur Kredit-Finanzierung von Konsumgütern wie Handtaschen oder Fernsehgeräten nicht in Ordnung. Wir grenzen uns ein Stück weit davon ab. Das ist nicht unser Geschäft. Fairerweise muss aber auch gesagt werden, dass sich durch die selbst auferlegte Verordnung der Konsumkreditbanken, aggressive Werbung zu verbieten, die Lage verbessert hat.

Inwiefern unterscheidet sich Crowdlending von der traditionellen Kreditvergabe?

Der grosse Unterschied zur traditionellen Kreditvergabe ist, dass die Kreditnehmer bei uns deklarieren, wofür sie das Geld verwenden wollen. Jeder Investor kann so selber entscheiden, ob er jemandem dem Kredit gewähren möchte oder nicht. Die moralische Instanz sind nicht wir, sondern die Masse. Es gibt aber natürlich auch Investoren, denen der Verwendungszweck keine Rolle spielt. Sie schauen nur auf die Risikoparameter und die Rendite. 

Wofür werden die Kredite auf Ihrer Plattform benötigt?

Die meisten Kredite werden für Ausbildungen, Fahrzeuge, Renovierungen und Investitionen in Wohnungseinrichtungen verwendet.

Crowdlending steckt in der Schweiz noch immer in den Kinderschuhen. 2015 wurden knapp 8 Millionen Franken Kredite auf diese Weise vergeben, 2016 rund 50 Millionen Franken. Im Vergleich zu den Banken, die jährlich ein Kreditvolumen von 4 Milliarden Franken vergeben, ist das sehr klein.

Das ist so. Aber wir fokussieren uns vor allem auf das Wachstum. Im unserem ersten Jahr, 2008, hatten wir gerade mal ein Kreditvolumen von 125'000 Franken. Für uns war das damals viel, da wir nicht wussten, wie diese Art der Finanzierung in der Schweiz überhaupt ankommen wird. Im nächsten Jahr konnten wir die Zahl gleich verdoppeln, 2010 überschritten wir bereits die Millionengrenze und seither wachsen wir im dreistelligen Prozentbereich.

Was hat zu diesem Wachstumsschub verholfen?

Die Finanzkrise brachte uns mehr Glaubwürdigkeit. In einer Zeit, wo die UBS gerettet werden musste, fragten sich viele: 'Wie sicher sind Banken überhaupt?' Die Leute waren deshalb eher geneigt, etwas Neues auszuprobieren. Hinzu kam und kommt noch immer der Anlagenotstand wegen des Tiefzinsumfeldes.

Wie stark wird die Crowdlending-Branche 2017 wachsen?

Crowdlending ist inzwischen einiges bekannter geworden. Das wird sich auch in den Wachstumszahlen widerspiegeln. Ich gehe in diesem Jahr von Kreditvolumen im dreistelligen Millionenbereich aus. Das sind dann aber nicht nur reine Konsumkredite, sondern auch Kredite für kleine und mittlere Unternehmen.

Robert Oudmayer, CEO von Cembra Money Bank, sagte in einem cash-Interview im Mai 2016, dass Peer-to-Peer-Kredite in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der Schweiz kaum grosse Marktanteile dazugewinnen werden. Hat er recht?

Nein. Herr Oudmayer unterschätzt die Dynamik und die Professionalisierung der Crowdlending-Branche. Wir sind zwar noch in den Kinderschuhen, aber die Professionalisierung nimmt extrem schnell zu. Das wird auch an traditionellen Finanzinstituten nicht spurlos vorbei gehen. Ich meine das nicht nur im negativen Sinn, sondern auch in Form von Kooperationen. Wir sind zum Beispiel in Gesprächen mit diversen Banken und Versicherungen. Irgendwann wird sich dann auch eine Cembra überlegen müssen, wie sie im Peer-to-Peer-Markt auftreten will.

2008 war Cashare die erste Crowdlending-Plattform in der Schweiz. Inzwischen tummeln sich sehr viele Anbieter in diesem Gebiet. Wie hart ist der Konkurrenzkampf?

Da wir uns in einem Wachstumsmarkt befinden, ist kein eigentlicher Konkurrenzkampf auszumachen. Jede weitere Plattform hilft uns sogar, diese Art der Finanzierung bekannter zu machen. So vergrössert sich der Markt insgesamt. Aber irgendwann wird es zur Konsolidierung kommen. In der Schweiz können längerfristig nicht 20 verschiedene Plattformen überleben. Es wird aber noch einige Jahre dauern, bis es soweit ist.

In den USA und in Grossbritannien werden Peer-to-Peer-Kredite auch von vielen institutionellen Anlegern benutzt, sie machen dort sogar die Mehrheit der Crowdlending-Kredite aus. Wird der institutionelle Bereich auch in der Schweiz so gross werden?

Ja, das wird passieren. Institutionelle Kunden haben immer mehr Interesse an diesem Geschäft. Auf unserer Plattform tummelt sich bereits die ganze Palette an Institutionellen Investoren: Versicherer, Family Offices, Vermögensverwalter und wahrscheinlich sehr bald auch Pensionskassen. Spannend an Crowdlending ist, dass es mit anderen Anlageklassen kaum korreliert und für die meisten Investoren bisher gar nicht zugänglich war.

Wie hoch ist der Anteil an institutionellen Investoren am gesamten Kreditvolumen bei Cashare?

Bei uns werden noch immer knapp 70 Prozent der Kredite von Privaten vergeben. Die institutionellen Investoren holen aber auf.

Das Spezielle an Crowdlending ist ja, dass die Bank als Zwischenhändler wegfällt. Das macht die Kreditevergabe günstiger…

Es wird nicht nur die Bank als Zwischenhändler abgestellt. Unter dem Strich macht die Effizienz und die Technologie den massgeblichen Unterschied zur klassischen Kreditvergabe aus. Will ein Unternehmen einen Kredit beantragen, dauert der gesamte Prozess beim Crowdlending 16 Tagen ab der Kreditbeantragung bis zur Auszahlung. Bei einer Bank hingegen erfolgt der Entscheid der Finanzierung erst nach ungefähr fünf Wochen.

Kaufen Sie zur Bonitätsüberprüfung auch externe Daten ein?

Ja. Wir kaufen Daten von drei externen Datenbanken ein, besitzen aber auch selber viele eigene Daten. Bei der Unternehmensfinanzierung analysieren wir über 3000 Datenpunkte, bei Privaten sind es ungefähr 300 Datenpunkte.

An welchen Informationen orientieren Sie sich?

Im Privatkundenbereich ist die Kredithistory ein relevanter Punkt. Wurden Rechnungen nicht bezahlt? Wie schnell erfolgte die Begleichung? Wir haben einen komplexen Algorithmus entwickelt, der praktisch selbstlernend ist und laufend das Zahlungsverhalten der Kunden beobachtet. Das ist big-data-basiert und dient uns als wichtige statistische Grundlage.

Wieviele Kreditanträge werden bei Cashare abgelehnt?

Die Ablehnungsquote liegt zwischen 80 bis 90 Prozent. Es gibt aber verschiedene Arten der Ablehnung. Eine ungenügende Bonität macht nur einen sehr kleinen Teil aller Ablehnungen aus. Häufiger werden Anträge schon vor der eigentlichen Bonitätsprüfung abgelehnt, da vom Kunden gewisse Dokumente nicht geliefert werden.

Wie hoch ist die Ausfallrate aller genehmigten Kredite?

Das hängt stark von unserem Bonitätsrating ab. Bei der höchsten Kreditwürdigkeit, den Ratings A und B+, gab es bei uns noch nie einen Ausfall. Allerdings sind dies auch die Ratings, die am seltensten vergeben werden. Über alle Ratings gesehen liegt die Ausfallrate bei 1,2 Prozent. In diesen Fällen kümmert sich Cashare um den gesamten Inkassoprozess.

Welche Rendite konnten Anleger bei Cashhare im letzten Jahr erzielen?

Über alle Bonitätsstufen hinweg betrug die Rendite 7,1 Prozent. Davon müssen allerdings noch Plattform-Gebühren von 0,75 Prozent abgezogen werden.

Gemäss regulatorischen Vorgaben dürfen sich an einem Crowdlending-Projekt nur maximal 20 Kreditgeber beteiligen. Schränkt das stark ein?

Das Problem dabei ist, dass die Kreditnehmer eine Banklizenz bräuchten, damit sich mehr als 20 Personen an einem Projekt beteiligen könnten. Durch diese Beschränkung kann auf Geldgeberseite viel weniger diversifiziert werden.

Gibt es Bestrebungen, dieses Gesetz anzupassen?

Wir haben bereits viele Gespräche mit der Finanzmarktaufsicht und anderen Aufsichtsorganen geführt. Glücklicherweise stossen wir zunehmend auf offene Ohren. Schlussendlich entscheidet aber das Parlament über eine Abschaffung der '20-er-Regel', da es sich um ein Gesetz handelt. In der Sommersession 2017 wird eine Anpassung im Parlament behandelt. Aktuell läuft die Vernehmlassung dieser neuen Fintech-Regulierung (Anm. d. Red.: Link zur Vernehmlassung). Läuft alles reibungslos, dürfte die Umsetzung im Herbst 2017 erfolgen. Bis zu einer gewissen Grenze, zum Beispiel bei Geldbeträgen von bis zu einer Million Franken, könnte dann die Hürde von maximal 20 Geldgebern abgeschafft werden. Noch ist aber nicht absehbar, wie das Gesetz genau aussehen wird.

Würde die Abschaffung der '20er-Regel' einen Crowdlending-Boom auslösen?

Der Effekt wäre sicherlich positiv für unsere Branche, mehr Menschen hätten dadurch Zugang zu solchen Investments. Aber von einem regelrechten Boom zu sprechen, wäre wohl etwas übertrieben.

* Michael Borter ist Gründungsmitglied und Geschäftsführer der Cashare AG aus Hünenberg ZG. Nach einer Lehre mit Berufsmaturität bei der Credit Suisse absolvierte Borter ein Studium als Betriebsökonom FH und arbeitete im Kreditzentrum der UBS. Anschliessend wechselte er zur Bank Vontobel, wo er während mehrerer Jahre als Portfolio Manager und Compliance Officer tätig war. 2005 kehrte Borter wieder zur Credit Suisse zurück. Im Januar 2008 erfolgte die Gründung von Cashare.