cash.ch: Herr Potstada, nach einem etwas ruhigen Jahresstart hat der April sämtliche Anleger wachgerüttelt. Wird es für den Rest des Jahres bei dieser Marktunsicherheit bleiben?
Henning Potstada: Wenn man sich die letzten Wochen anschaut, waren einige Faktoren aussergewöhnlich, nämlich zum ersten die hohe Volatilität und zum zweiten die Flucht aus dem US-Dollar und US-Anlagen. Zur Volatilität: Ein Volatilitätsindex VIX von über 50 oder 60 und eine Tagesschwankung von zehn Prozent im S&P 500 sind äusserst selten und gehen relativ schnell wieder aus dem Markt - das ist gerade passiert. Zum Dollar: Die Flucht aus dem US-Dollar ist eher untypisch für solch eine Krisensituation - der Dollar und der Markt für US-Staatsanleihen werden typischerweise als sicherer Hafen gesehen. Für die nächsten Monate ist diese Anomalie deshalb das grösste Fragezeichen. Geht diese Flucht weiter? Gerade beim US-Dollar sehen wir weiteres Abwertungspotenzial. Unser Zwölfmonatsziel für den Kurs von Euro zum Dollar liegt bei 1,18 - also eine Abwertung von weiteren fünf Prozent.
Wie sollten sich die Anleger in so einem Umfeld positionieren?
Wir haben seit Jahresbeginn US-Dollar-Positionen reduziert und wir erwarten eine weitere Abwertung des US-Dollars. Auf der Gegenseite haben wir Euro-Positionen aufgebaut. Für Investoren mit einer anderen Heimatwährung empfehlen wir, diese aufzubauen - also Schweizer Franken oder asiatische Währungen. Die grosse Frage ist jedoch die Divergenz zwischen europäischen und amerikanischen Aktien. Es ist sehr ungewöhnlich, dass der europäische Markt teilweise zweistellig im Plus ist, während die US-Börse immer noch im Minus ist. Dennoch: In Europa gibt es aktuell viele positive Faktoren, sodass wir weiterhin von europäischen Aktienanlagen überzeugt sind.
Wie schlagen sich Schweizer Aktien im Vergleich zu den europäischen und den amerikanischen Pendants?
Den Schweizer Aktienmarkt sehen wir aufgrund der Struktur der gelisteten Unternehmen typischerweise eher als defensiven Markt. Die Geschäftsmodelle der Nahrungsmittelhersteller oder Gesundheitsunternehmen sind sehr stabil. Im Augenblick ist dies attraktiv und solche Positionen sollten im Portfolio vertreten sein.
Einige Investoren und Strategen gehen von einer hartnäckigeren Inflation aus. Die US-Notenbank ist auch vorsichtig unterwegs. Was ist Ihre Einschätzung?
Die Federal Reserve hat das sogenannte «Dual Mandate». Auf der einen Seite muss sie die Inflation unter Kontrolle halten. Auf der anderen Seite hat sie die Arbeitslosigkeit niedrig zu halten. Wir haben den Eindruck, dass die US-Notenbank auf beiden Seiten dieses «Dual Mandate» eine gewisse Gefahr sieht: Die Inflation könnte anziehen oder der Arbeitsmarkt weiter überhitzen. Deswegen ist sie im Augenblick in einer Wartestellung. Wir rechnen mit der Beibehaltung dieses Zustands bis September - dann wird es wohl zu einer weiteren Zinsreduktion kommen.
Inwiefern sind die Zinsentwicklungen in der Eurozone und der Schweiz abhängig von der Fed?
Der globale Trend zu Zinsreduzierungen dürfte weiter intakt sein - trotz Zollkonflikten, Inflationsunsicherheiten oder dem unsicheren Verlauf des globalen Wirtschaftswachstums. Die derzeitige Wartestellung der Zentralbanken dürfte nur temporär sein.
Sind Negativzinsen in der Schweiz wieder eine Möglichkeit?
Nachdem bereits mehrere Notenbanken mit negativen Zinsen experimentiert hatten, dürfte die Hürde für ein erneutes Einführen gestiegen sein. Selbstverständlich werden sich die Notenbanker weiterhin die Möglichkeit von negativen Zinsen als Unterstützungsmechanismus für die Wirtschaft offenhalten, doch eine gewisse Zurückhaltung ist da.
Welche Anlagenbereiche sind für Sie derzeit interessant?
Als stabile «Safe Haven»-Anlage bietet sich aus unserer Perspektive Gold an. Als globaler Allokator schauen wir im derzeitigen Umfeld auf Anlagen, die echte Diversifikation für das Portfolio bieten. In jüngster Zeit hat Gold diesbezüglich eine ausgezeichnete Rolle gespielt. Der Renditetreiber ist weiterhin natürlich der Aktienmarkt, doch Gold bringt einem Multi-Asset-Portfolio einen starken Stabilisierungseffekt. Im April haben die Schwankungen nicht nur etwa bei Aktien, sondern auch bei Staatsanleihen oder Devisen zugenommen. Nur Gold hat sich diesem Verlauf entzogen. Deshalb wird es unserer Meinung nach auch in Zukunft eine wichtige Rolle in den Portfolios spielen.
Welche Aktien-Sektoren empfehlen Sie und welche sind zu meiden?
Ein «Barbell»-Ansatz ist sinnvoll. Die eine Seite besteht aus wachstumsgetriebenen Sektoren, die andere Seite aus Stabilitätssektoren. Im defensiven Bereich mögen wir im Augenblick vor allem den Gesundheitssektor - auch Titel aus der Schweiz. Wir denken, dass dort gerade wegen der relativen Wertentwicklung zu viel Pessimismus, zu viele negative Erwartungen in Bezug auf Zölle und Preisreduktionen in den USA eingepreist wurden. Trotzdem denken wir, dass der Portfoliokern weiterhin aus Technologieunternehmen bestehen sollte.
Inwiefern sind digitale Anlagen unabhängig von der Zinspolitik der Zentralbanken? Ein echter Test dürfte noch bevorstehen - seit deren «Entdeckung» befinden wir uns in einer globalen Niedrigzinsphase.
Die Niedrigzinsphase der vergangenen 15 Jahre und diese monetäre Unterstützung haben sicherlich nicht nur Aktien und andere traditionelle Anlageklassen positiv beeinflusst, sondern auch digitale Anlagen. Wie Sie sagen, da fehlen Datenpunkte aus einer anderen Zinswelt. Mittelfristig sehen wir hingegen schon, dass digitale Anlageklassen eine geringe Korrelation zu übrigen Anlageklassen haben. Wiederum haben digitale Anlageklassen in Stressphasen - wie im April - eine vergleichbare Volatilität mit den übrigen Anlageklassen aufgezeigt. Zu diesem Zeitpunkt waren sie nicht unbedingt ein Hort der Stabilität. Längerfristig müssten wir zur Beantwortung dieser Frage wahrscheinlich über mehrere Jahre in einer höheren Zinsphase sein und schauen, wie sich digitale Anlageklassen dann verhalten. Dennoch denke ich, dass der Hintergrund von digitalen Vermögenswerten - also die theoretische Unabhängigkeit vom Notenbankensystem - auch zu einer grösseren Unabhängigkeit vom Zinszyklus führen sollte.
Henning Potstada ist Managing Director und Global Head of Multi Asset & EMEA Head Fixed Income bei DWS in Frankfurt. Er stiess 2006 zum Unternehmen. Potstada verfügt über einen Abschluss als Diplom-Kaufmann von der Universität in Bayreuth.