Neuerliche Spekulationen darüber, dass die westlichen Regierungen Sanktionen gegen Moskaus Energielieferungen verhängen könnten, katapultierten den Ölpreis der Sorte Brent am Montag zeitweise auf 139 Dollar je Barrel. Und auch die europäischen Gaspreise stiegen weiter an, nachdem sie sich in der vergangenen Woche bereits verdoppelt hatten. 

Die steigenden Rohstoffkosten - von Aluminium, Getreide bis zu Erdgas - drohen Unternehmen und Konsumenten zunehmend einen Doppelschlag zuzufügen, und zwar durch eine noch stärkere Inflation und eine schwächere Nachfrage. Ökonomen senken bereits ihre Prognosen für das globale Wachstum, erwarten aber gleichzeitig eine höhere Inflation. 

"Steigende Rohstoffpreise und die durch den Russland-Ukraine-Krieg verursachte erhöhte Risikoaversion deuten auf einen Stagflationsschock hin", schreiben Barclays-Ökonomen um Christian Keller in einer Analyse.

Stagflation: Das ist ein Begriff, der sowohl Politiker und Notenbankerinnen als auch Börsianer zusammenzucken lässt, wenn er aufs Tapet kommt. Er beschreibt das unheilvolle Zusammentreffen einer hohen Inflation und einer anhaltenden Stagnation der wirtschaftlichen Aktivität. Populär wurde der Begriff Anfang der 1970er-Jahre nach dem ersten Ölpreisschock von 1973. 

Damals erreichte die Inflation ihren Höhepunkt bei 12,3 Prozent. Ausgelöst wurde die Teuerung vor allem durch einen negativen Angebotsschock bei Energierohstoffen, insbesondere bei Öl. Gleichzeitig – und das war das Verheerende – geriet damals am Ende des Nachkriegsbooms die Nachfrage in den Industrieländern arg ins Stocken. Doch ist die Situation mit heute überhaupt vergleichbar? Schliesslich sind wir noch weit weg von ähnlich hohen Inflationszahlen. 

Stagflation sehr wahrscheinlich

Zwar hält sich die Inflation tatsächlich länger und stärker als von vielen Experten vorausgesagt, doch das Gros der Ökonomen hielt noch bis vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs dagegen, dass das wirtschaftliche Wachstum weiter intakt sei. Letzteres hat noch bis vor kurzem gegen ein Stagflations-Szenario gesprochen. Der Ukraine-Krieg hat aber mit dem starken Anstieg der Rohstoffpreise die Ausgangslage auf den Kopf gestellt und den Zielkonflikt in der Politik zwischen Wachstum und Inflation zusätzlich verschärft.

Die Regierungen stehen unter dem Druck, soziale Belastungen durch höhere Ausgaben auszugleichen, zum Beispiel durch Subventionen zum Schutz der Armen vor hohen Energiekosten. Unterdessen müssen die Zentralbanken geldpolitisch vorsichtig vorgehen, auch wenn die US-Notenbank Fed weiterhin die Zinsen anheben will. Hebt die Fed die Zinsen zu stark an, dürfte dies das Wachstum zusätzlich belasten.

Dabei könnte insbesondere dem Euroraum noch zusätzliches Unheil drohen, sollte der Verlust der Gaslieferungen erfolgen. Bei einem vollständigen Verlust des russischen Gases dürfte die Wirtschaftsleistung um 2,2 Prozent zurückgehen, meinen die Analysten der US-Grossbank Goldman Sachs. Und auch auf dem Verharren der Energiepreise auf dem aktuellen Niveau prognostiziert Bloomberg Economics für die Wirtschaft des Euroraums eine Schrumpfung im dritten Quartal und eine Inflation von 6 Prozent in diesem Jahr.

Dabei steht das Gespenst einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale noch immer im Raum. Damit ist die unheilvolle Wechselwirkung zwischen Preis- und Lohnanstiegen gemeint. Das Prinzip: Wenn die Preise steigen, gehen die Löhne hoch, was wiederum die Preise weiter hochtreibt - und so geht es weiter. Das Tückische: Solch eine Spirale wieder einzufangen, gehört zu den schwierigsten Unterfangen für Regierungen und Notenbanken. 

Defensive Aktien bieten Schutz gegen Inflation und Stagnation

Würden sich die Stagflation-Tendenzen tatsächlich manifestieren und verschärfen, hätte das massive Auswirkungen auf sämtliche Anlageklassen. Und dieses Szenario ist immer wahrscheinlicher. Die schlechteste Wahl wären dann eindeutig Anleihen. Während Inflation die Zinsen steigen lässt und damit die Kurse von Anleihen ohnehin belastet, vermindert sich dadurch auch der reale Rückzahlungswert. 

Immobilien bieten sich als Sachanlage zwar durchaus als Schutz gegen eine Stagflation an. Allerdings sind insbesondere in Top-Lagen die Häuserpreise in der Vergangenheit derart angezogen, dass der Markt einigermassen heiss gelaufen ist. Gold ist seit jeher ein Sicherheitsanker und eignet sich in Stagflationsphasen als gute Absicherung. Während der Teuerungsschübe der 1970er-Jahre erlebte auch das Edelmetall eine Rally. 

Doch am Ende des Tages gilt mal wieder das Tina-Prinzip (There is no Alternative). Auch bei einer Stagflation gibt keine wirkliche Alternative zu dem Sachwert schlechthin: die Aktie. Allerdings sollten Anlegerinnen darauf achten als Stagflations-Schutz vor allem auf Aktien von Unternehmen zu setzen, die eine starke Preismacht besitzen. Diese können höhere Preise an die Kundschaft weitergeben und sich somit den neuen Gegebenheiten anpassen. Zu nennen wäre hier vor allem global Konsumgüterkonzerne wie Nestlé, Procter & Gamble, Unilever, Johnson & Johnson oder 3M

Vorsicht ist naturgemäss bei zyklischen Aktien geboten. Bei einer Stagflation überlegen sich Konsumenten zweimal, ob sie ein Produkt kaufen sollen, dass nicht zwingend zur Befriedigung der Grundbedürfnisse nötig ist. Am Schluss heisst es mal wieder: Qualität ist alles. 

Dies ist eine aktualisierte Version eines cash-Artikels, der zuerst am 18. Oktober 2021 erschien .

ManuelBoeck
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