Spätestens seit Girokontoguthaben bei der Schweizerischen Nationalbank mit einem negativen Zinssatz von minus 0,75 Prozent verzinst werden, scheint die Selbstverständlichkeit einer positiven Verzinsung des Geldes abrupt ein Ende gefunden haben: Verschiedene Assetklassen geben praktisch null Zins her, Staatsobligationen sind gar negativ.

Bei solchen Renditebetrachtungen wird aber gerne vergessen, dass es sich dabei "nur" um den sogenannten Nominalzins handelt. Dieser vernachlässigt die Veränderung des Geldwertes durch die Inflation. Ein Phänomen, welches auch Felix Brill, CEO des Unternehmensberaters Wellershoff & Partners, nicht unbekannt ist. Gegenüber cash sagt er: "Viele Leute verfallen der Geldwertillusion. Man schaut nur, was da steht".  Ganz rational gesehen müsse man nicht den nominalen, sondern den realen Zins betrachten. Ersterer wird nahezu überall verwendet, letzterer wäre eigentlich korrekt.

Gemäss dem Bundesamt für Statistik betrug die Inflation in der Schweiz im Jahr 2015 minus 1,1 Prozent. Korrigiert man nun die Rendite der verschiedenen Anlageklassen um die negative Inflation, erhält man deren "wahre" Rendite:

Rendite verschiedener Anlageklassen

  Nominale Rendite, in % Reale Rendite, in %
Performance SPI 2015 (2,68) 3,79
Konto 3. Säule* (0,78) 1,88
Unternehmensanleihen Schweiz** (0,50) 1,60
Kassenobligationen, 2 Jahre* (0,20) 1,30
Sparkonto* (0,12) 1,22
"Eidgenoss", 10 Jahre (-0,21) 0,89
Performance SMI 2015 (-1,84) -0,74

Quellen: Comparis.ch, Ktipp.ch, cash.ch
*Jeweils Durchschnitt der aktuell zehn besten Anbieter.
**Durchschnittliche Jahresperformance von Schweizer Unternehmensanleihen 2015 mit Investment Grade.

Die obenstehendeTabelle zeigt, dass die reale Rendite stark unterschätzt wird. Der mit minus 0,22 verzinste Eidgenoss ist sogar rentabel, Sparkontos werfen über 1 Prozent Zins ab, und die 3. Säule kratzt an der 2 Prozent-Rendite. Einzig mit dem Swiss Market Index (SMI) liess sich 2015 auch real betrachtet keine positive Rendite erzielen, der Swiss Performance Index (SPI) hingegen kommt auf beachtliche 3,79 Prozent.

Wie gut oder schlecht diese reale Verzinsung im historischen Vergleich ist, zeigt ein Blick auf die Rendite-Entwicklung von 10-jährigen Bundesobligationen der letzten 25 Jahre: 

Nominale und reale Rendite von 10-jährigen Bundesobligationen

Quelle: cash.ch, bfs.ch

Während die nominale Rendite seit 1990 stetig sank und seit 2015 sogar in den negativen Bereich abgedriftet ist, kann man bei der realen Rendite nicht von einem historischen Tief sprechen. Die aktuelle Realverzinsung ist zwar tatsächlich eher im unteren Bereich anzusiedeln, wurde aber während der Immobilienkrise in den frühen 1990ern noch untertroffen.

Damals herrschte - ganz im Gegensatz zu heute - eine sehr hohe Inflationsrate nahe bei 6 Prozent, was die Realverzinsung extrem nach unten drückte. Die Grafik zeigt, wie sehr die Inflation die Renditewahrnehmung verzerren kann: Im Jahr 1990 betrug die nominale Rendite des Eidgenossen 6,34 Prozent, heute sind es minus 0,22. Real gesehen war der Zins jedoch in beiden Jahren etwa gleich, bei knappen 0,9 Prozent.

Inflation verzerrt Renditewahrnehmung

Die Inflation "frisst" dem Geld Wert weg und macht 100 Franken heute wertvoller als 100 Franken in einem Jahr. Der Grund ist ganz einfach: Da die Preise für Waren und Dienstleistungen in der Regel steigen, kann ich mir ein Jahr später mit dem gleichen Betrag weniger leisten. Das Geld hat an Wert verloren.

Um nun den realen oder effektiven Geldwert herauszufinden, muss die Nominalverzinsung um die Inflation – also die Teuerung - korrigiert werden. Ein Beispiel: Eine Geldanlage mit einer jährlichen Rendite von 3 Prozent in einem Umfeld mit einer 2-prozentigen-Inflation wirft real betrachtet eigentlich nur 1 Prozent Rendite ab. In diesem Fall wird die Rendite überschätzt.

Genau gegenteilig verhält es sich in einem negativen Inflations-Umfeld. Rendite wird unterschätzt, da man sich mit 100 Franken in einem Jahr mehr leisten kann als mit 100 Franken heute. Und genau das trifft aktuell auf die Schweiz zu. 

Günstiges Heizöl, teure Kartoffeln

Um die Inflation zu berechnen, greift das Bundesamt für Statistik auf den Landesindex für Konsumentenpreise (LIK) zurück. Dieser misst die Preisentwicklung für Waren und Dienstleistungen, die für private Haushalte bedeutsam sind. Mit anderen Worten zeigt er auf, wieviel mehr oder weniger sich ein durchschnittlicher Schweizer in einem Jahr mit demselben Vermögen leisten kann.

Bei einem Blick auf die Preisentwicklung des Warenkorbs im Jahr 2015 fällt auf, dass es ziemlich breitflächig zu Vergünstigungen kam. Beispielsweise wurden Heizöl (-19%), Fernsehgeräte (-13%), Reis (-11%) und Musikinstrumente (-7%) massiv günstiger. Es gab aber auch Preisanstiege, so gesehen bei Kartoffeln (+9%),  Küchen- und Gartenmöbeln (+6%) oder Kalbfleisch (+4%). Eine detaillierte Auflistung der Preisentwicklungen 2015 innerhalb des Warenkorbes ist hier ersichtlich.

Zuletzt war der LIK im Jahr 2011 positiv, das heisst die Schweiz befindet sich seither in einer längeren Phase des Preisrückgangs. Kann gar von einer gefährlichen Deflation gesprochen werden? Brill winkt ab: "Es handelt sich nicht um eine Deflation im klassischen Sinne. Fallende Preise sind nicht per se schlecht".

(Noch) keine bösartige Deflation

Damit eine Deflation gefährlich wird, muss sie nachfrageseitig bedingt sein. Das ist dann der Fall, wenn Konsumenten kein Geld mehr ausgeben, da sie wissen, dass die Preise künftig noch tiefer sein werden und deshalb mit Kaufen noch zuwarten. Das führt dann zu einer Negativspirale, in der die Arbeitslosigkeit ansteigt und die Wirtschaft in eine Rezession schlittert.

Doch die aktuelle Negativteuerung sei nicht auf mangelnde Kaufkraft der Konsumenten zurückzuführen, "sondern vielmehr auf die Rückgänge der Energiepreise und die Frankenaufwertung", so Brill. Deshalb solle man sich als Konsument vielmehr über die günstigeren Energiepreise freuen, als sich Deflationsängsten hinzugeben. 

Und diese "Vergünstigungswelle" könnte der Schweiz noch etwas erhalten bleiben. Brill geht davon aus, dass die Preise auch in den nächsten Monaten rückgängig sein werden, "wenn auch in einer etwas abgeschwächten Form." Was gleichzeitig auch bedeute, dass die reale Rendite von Anlagen weiterhin unterschätzt werde.