Am 16. August des vergangenen Jahres schlossen die Aktien von Schaffner mit 282 Franken. Einen Tag später veröffentlichte das schweizerisch-amerikanische Sensorik-Unternehmen TE Connectivity ein öffentliches Übernahmeangebot für alle ausstehenden Aktien - der gebotene Preis 505 Franken je Aktie. Eine Übernahmeprämie von 79 Prozent, die viele zum Träumen verleitete.

Auf potenzielle Übernahmekandidaten zu setzen ist eine beliebte Strategie von Anlage-Profis und Spekulanten. Denn in der Regel wird bei Übernahmen ein deutlicher Aufschlag zum letzten gehandelten Börsenkurs bezahlt. Diese Übernahmeprämie kann signifikant sein und führt entsprechend oft zu einem grossen Kursgewinn, wenn die entsprechende Aktie im Vorfeld einer Übernahme gekauft wurde.

«Die im vergangenen Jahr initiierte vollständige Übernahme von sechs Unternehmen (vier Übernahmeangebote und zwei Fusionen) lag lediglich leicht über dem 10-Jahresdurchschnitt von fünf Unternehmen», sagt Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB), gegenüber cash.ch. Das Interesse, kotierte Unternehmen zu übernehmen, bestehe unverändert. 

Wegen der wirtschaftlichen Abkühlung in gewissen Branchen und den gestiegenen Fremdfinanzierungskosten geht Neumann für das Jahr 2024 von einer leicht tieferen Anzahl von Übernahmen im Vergleich zum Vorjahr aus.

Anhaltende Übernahmefantasien bei Clariant

Die Schwierigkeit liegt darin, potenzielle Übernahmekandidaten zu finden. Eine Hilfestellung bietet der «Solactive European Mergers & Acquisitions Index». Dieser beinhaltet rund 20 europäische börsennotierte Firmen, die in den Augen des Indexbetreibers «eine vergleichsweise hohe Wahrscheinlichkeit aufweisen, das Ziel einer Firmenübernahme oder -fusion zu werden.» Mit AMS Osram, Basilea, Clariant, DocMorris stammen gleich vier Titel aus der Schweiz.

«Übernahmefantasien bei Clariant kommen seit Jahren immer wieder hoch. Viele bezweifeln, dass Clariant die kritische Grösse hat, um alleine zu gedeihen», sagt Beat Pfiffner, Analyst bei der Schwyzer Kantonalbank, auf Anfrage von cash.ch. Der Grossaktionär Sabic - besitzt 32 Prozent der Aktien - könnte den Konzern vollständig übernehmen. Auch eine Fusion unter Führung des US-Industriekonglomerats Standard Investments ist denkbar, denn die Amerikaner haben im vergangenen Jahr Clariant-Aktien gekauft.  

Generell können insbesondere tiefere Kurse Käufer anlocken: Eine Krise kann für ein anderes Unternehmen eine Chance sein, wie die Credit-Suisse-Übernahme im letzten Jahr gezeigt hat. Von den im Index enthaltenen Titeln fallen insbesondere AMS Osram (-52 Prozent), Basilea (-33 Prozent) und Clariant (-27 Prozent) auf Jahressicht mit Verlusten auf. 

Auch Temenos oder SoftwareOne als Kandidaten

Derzeit gelten auch die Techwerte Temenos und SoftwareOne als mögliche Übernahmekandidaten. «Oft sind es Unternehmen, die sich an der Börse schlecht entwickeln, aber grundsätzlich über gute Wachstumsperspektiven verfügen und deshalb in den Fokus von Private Equity Firmen oder Konkurrenten geraten», so Geissbühler. Damit eine Übernahme gelingt, müssen aber auch die Preisvorstellungen beider Seiten passen. 

Bei SoftwareOne hat der Verwaltungsrat zwar das Übernahmeangebot von Bain kürzlich abgelehnt, allerdings befürworten viele Grossaktionäre eine Übernahme - diese könnten möglicherweise eine Stimmenmehrheit für den Deal erreichen. «Zudem ist die Differenz zwischen der Preisvorstellung des Verwaltungsrats und jener von Bain gering», fügt Pfiffner an.

Im vergangenen Jahr gab es bei der Softwareschmiede Temenos diverse Berichte bezüglich Interessenbekundungen von Private Equity Firmen. Zuletzt wurde es stiller. «Wenn sich der Markt für Private Equity dank sinkenden Zinsen belebt und die Fonds ihre steigende Liquidität investieren müssen, könnte das Interesse aber wieder wachsen», prognostiziert der SZKB-Analyst.

Biotechfirmen auf dem Radar von Pharmakonzernen

«Anlässlich einer Studie, welche wir im 2023 zusammen mit der Hochschule Luzern durchgeführt haben, zeigte sich – wie bereits 2003 und 2013 –, dass vor allem Unternehmen mit einem Hauptaktionär mit einer Beteiligung von mindestens 50 Prozent, einem tiefen absoluten Freefloat von unter 100 Millionen Franken sowie einem tiefen Jahresgewinn im einstelligen Millionen-Bereich für ein Going Private in Frage kommen könnten», sagt Andreas Neumann von der ZKB. Zumindest lohne es sich in diesen Fällen zu prüfen, ob der Nutzen der Börsenkotierung die Kosten übertrifft.

Gemäss der erwähnten Studie sind insbesondere nachfolgende Punkte Gründe für eine Dekotierung: Fusionen, Umtauschangebote, Wechsel an einen anderen Börsenplatz oder in den OTC-Handel, Insolvenzen und Liquidationen und seitens der Börse erwirkte Dekotierungen.

Zu den kleineren und mittelgrossen Unternehmen, welche einen grossen Ankeraktionär respektive Familienaktionär haben und Kandidaten für ein Going Private oder einen Verkauf sind, gehören beispielsweise Feintool, V-Zug, Arbonia, Zehnder oder Calida.

Übernahmekandidaten sind grundsätzlich auch viele in der Schweiz kotierte Biotechfirmen. Gerade die grossen Pharmakonzerne sind laufend auf der Suche nach vielversprechenden Medikamentenkandidaten um ihre Pipeline zu vergrössern. «Anlegern empfehlen wir allerdings nicht, nur aufgrund von Übernahmefantasien in den Sektor zu investieren. Auf Einzeltitelebene sind die Risiken und die Volatilität hoch», warnt Geissbühler. Wenn, dann sollte nur breit diversifiziert wie mit ETF oder Fonds in den Biotechsektor investiert werden.  

«Allerdings ist die Strategie höchst spekulativ. Eine Aktie alleine wegen einer möglichen Übernahme zu kaufen empfiehlt sich nicht», so der Anlagechef von Raiffeisen Schweiz, gegenüber cash.ch. Anlegerinnen und Anleger sollten von der Qualität einer Unternehmung und den Wachstumsaussichten überzeugt sein. «Eine mögliche Übernahme wäre in dieser Hinsicht dann die Kirsche auf dem Kuchen.»

ManuelBoeck
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