"Ocado startet mit '0', endet mit '0' und ist auch nichts wert". Genüsslich zitiert die britische Boulevardzeitung "Daily Mail" den Retail-Analysten Philip Dorgan von Ambrian Capital aus dem Jahre 2010.  Er war einer von zahlreichen Kritikern des britischen Online-Supermarktes Ocado, der vor 18 Jahren gegründet wurde.

Ocado galt einst als kommende grosse Tech-Sensation aus Grossbritannien, die gar dem grossen amerikanischen Versandhaus Amazon das Wasser reichen sollte. Doch mangelnde Partnerschaften und schlechte operative Resultate nährten über die Jahre Zweifel am Geschäftsmodell, trotz zwischenzeitlichen Lichtblicken. 

Auch im laufenden Jahr hielten die grossen Bedenken noch lange an. Hier eine Auswahl von Analystenkommentaren:

  • "Not as robust as company's champions believe" ("Nicht so robust, wie Verfechter der Firma glauben") - Bernstein, Februar 2018
  • "It is jam tomorrow" ("Sie ist morgen wertlos") - HSBC, März 2018 
  • "Sell the shares - we remain unconvinced" ("Verkaufen Sie die Aktien - wir sind weiterhin nicht überzeugt") -  Redburn, Mai 2018

Pech, wer auf diese Expertenmeinungen gehört und die Aktie gemieden hat. Denn anstatt ins Bodenlose zu fallen, hat die Aktie einen unglaublichen Lauf: Seit November 2017 sind es plus 325 Prozent, im laufenden Jahr beträgt der Zuwachs plus 152 Prozent.

Entwicklung der Ocado-Aktie in den letzten 12 Monaten, Quelle: cash.ch

Die Ocado-Aktie ist inzwischen 10,13 britische Pfund wert. Das ist weit über den noch vor ein paar Monaten geäusserten Kurszielen verschiedener Banken. Dieses lautete 2,8 Pfund bei der UBS und 2,6 Pfund bei HSBC.

Wichtige Partnerschaften verkündet

Wie konnten die Analysten so danebenliegen? Sie haben die Nachfrage nach dem Service von Ocado unterschätzt. Sie trauten Ocado nicht mehr zu, wertvolle Partnerschaften schmieden zu können. In Tat und Wahrheit kam es in den letzten Monaten aber zu einem regelrechten Feuerwerk an neuen Deals: Mit Kandas zweitgrösstem Lebensmittelhändler Sobeys, mit Schwedens grösster Supermarktkette ICA und mit Group Casino, einem führenden Retailer aus Frankreich.

Als allergrösster Coup gilt nun die im Juni eingegangene Partnerschaft mit dem US-Giganten Kroger, der rund 100 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr erzielt. Diese wird als "Game Changer" gesehen, auch bei den Analysten. Diese sind nun plötzlich konvertiert, die Kursziele wurden jüngst gleich reihenweise nach oben angepasst.

Am bullishsten zeigt sich die Bank Bernstein mit einem neuen Kurziel bei 13 Pfund. Jene Bernstein, die im Februar den Titel noch gemieden hatte. Immerhin schrieb deren Analyst vergangene Woche in einem erfrischend ehrlichen Ton: "Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Kommentar schreiben und Ocado von 'underperform' auf 'outperform' gleich doppelt heraufstufen würde". 

Ob er und die anderen "Bekehrten" diesmal mit ihrer Einschätzung richtig liegen werden?