Was eint kriselnde Unternehmen? Die Unsicherheit über deren Fortbestand ist gross, sie erwirtschaften öfter Verluste als Gewinne und die Aussichten werden systematisch überschätzt.
Der sogenannten Value-Falle geht ein stark fallender Aktienkurs voraus und lässt betroffene Aktien günstig erscheinen. Dabei werden der Kurszerfall und die tiefe Bewertung zu Unrecht mit einer Unterbewertung gleichgestellt.
Nach einem Kursrückgang von über 85 Prozent seit dem Börsendebut stellt sich die Frage bei DocMorris: Wohin führt der Weg und sind die Aktien jetzt günstig?
Überschätzte Erwartungen bei DocMorris
Der Aktienkurs der Online-Apotheke kennt seit Jahren nur eine Richtung - nach unten. Nach einem Rekordhoch inmitten der Covid-Pandemie von über 510 Franken fiel der Titel zurück, zwischenzeitlich auf etwa 20 Franken.
Gründe dafür gibt es viele: Das Wachstum blieb hinter dem der Konkurrenz zurück, die ohnehin tiefen Margen verschlechterten sich, und abermalige Kapitalerhöhungen trugen dazu bei. Mindestens genauso gravierend: Die Aussichten wurden jahrelang zu optimistisch dargestellt und die Erwartungen enttäuscht.
So prognostizierte das DocMorris-Management im Jahr 2020 ein zwölfmonatiges Umsatzwachstum von 20 Prozent. Ein Jahr später wurde ein «doppelstelliger»
Prozentsatz in Aussicht gestellt. 2023 und 2024 rechneten Experten schliesslich mit einem Umsatzrückgang von 24 respektive 8 Prozent. In allen Jahren wurden diese Erwartungen nicht erfüllt - trotz der abermals nach unten angepassten Wachstumszielen.
Diese kontinuierliche Überschätzung zieht sich in die Gegenwart fort. Vor einem Jahr betrug der Marktkonsens für den Umsatz für das diesjährige Geschäftsjahr über 2 Milliarden Franken. Heute liegen dieselben Prognosen bei knapp 1,2 Milliarden Franken.
Doch nicht nur das Wachstum wurde überschätzt. Auch bei der Profitabilität lagen zu optimistische Hochrechnungen vor. Vor vier Jahren setzte das DocMorris-Management mittelfristige EBITDA-Margenziele in der Höhe von 8 Prozent in Aussicht. Später wurde der Breakeven als Ziel gesetzt. In keinem Jahr seit dem Börsengang hat es die Online-Apotheke auf nur ein positives operatives Jahresergebnis geschafft.
Wunschdenken statt Wirklichkeit
Die überschätzen Kennzahlen können zwei Faktoren zugeordnet werden: Dem eRezept und dem Ökosystem-Modell. An das eRezept waren Hoffnungen von Wachstum, Skaleneffekten sowie staatlicher Unterstützung geknüpft. Im Ökosystem-Ansatz sah man die Chance, durch Plattformangebote die Kundenbindung zu erhöhen - und so die Unternehmensbewertung zu steigern.
Beides machte Sinn - insbesondere wegen des dafür geeigneten Geschäftsmodells. Denn vor fünf Jahren wurden acht der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt als Plattform-Ökosysteme eingestuft. Sie genossen wesentliche Höherbewertungen als vergleichbare Unternehmen ohne Ökosystem und dienten als Vorbild für viele kleinere Unternehmen.
Beide Argumente stellten sich jedoch als falsch oder temporär heraus. Der Hype um Ökosysteme verpuffte spätestens 2022 - mit ihm auch die Bewertungen. Ökosystem-Strategien verloren daraufhin ihren Reiz. Und die obligatorische Einführung des eRezepts in Deutschland hat entgegen den Erwartungen nicht automatisch zu einem Geldsegen für Online-Apotheken geführt, sondern intensivierte vielmehr den Wettbewerb.
Lehren aus Hochdorf und Meyer Burger
Diese Fehleinschätzungen führten zum Kurssturz von etwa 96 Prozent vom Allzeithoch. Wie geht es nun weiter? Bei der Beantwortung dieser Frage liefern Beispiele wie Meyer Burger und Hochdorf aufschlussreiche Hinweise.
Hochdorf (mit heutigem Namen HOCN) ist noch eine leere Hülle. Das komplette operative Geschäft des ehemaligen Milchverarbeiters wurde veräussert, nachdem eine aussichtslose Schuldensituation das Unternehmen grösstenteils handlungsunfähig machte. Die Erlöse aus diesem Verkauf werden die Schulden nicht decken können. Die Aktionäre stehen vor einem Totalverlust.
Grund für die missliche Lage war der Expansionsversuch nach Afrika und Mittlerer Osten und die damit verbundene Übernahme eines damaligen Hochdorf-Kunden. Um die Übernahme stemmen zu können, verschuldete sich der Milchverarbeiter. Das dazugekaufte Geschäft benötigte unvorhergesehene Summen an Cash, weshalb sich Hochdorf abermals neu verschulden musste oder Unternehmensteile verkaufte, um solvent zu bleiben.
Diese Geschäftsentwicklung unterscheidet sich zwar fundamental von der von DocMorris, dennoch sind die Parallelen in Bezug auf überschätzte Erwartungen eindrücklich. Hochdorf verpasste sechs der sieben vergangenen Jahresgewinn- und vier der sieben Umsatzerwartungen. Die systematische Fehleinschätzung des zugrundeliegenden Geschäfts verschönerte dabei nicht nur die vermeintlichen Prognosen, sondern verdeckte das tatsächliche (Anlage-)Risiko.
Derselbe Mechanismus kann bei Meyer Burger festgestellt werden. Beim Solarzellenhersteller ist die drohende Zahlungsunfähigkeit noch eine Frage der Zeit. Schon fast im Monatstakt wird eine Brückenfinanzierung verlängert. Der grösste Kunde ist abgesprungen und mit dem Fokus auf die USA und dem dortigen Sinneswandel der neuen Regierung, dürfte es für erneuerbare Energien sehr schwierig werden, dort erfolgreich zu wirtschaften - besonders für Unternehmen aus dem Ausland. Meyer Burger verfehlte in den vergangenen acht Jahren siebenmal die Gewinnerwartungen. Auf Umsatzebene konnte das Unternehmen nur zweimal die Prognosen übertreffen.
Während im November 2023 die Umsatzerwartungen bei Meyer Burger für 2025 und 2026 bei etwa 1,1 Milliarden Franken respektive 1,33 Milliarden Franken lagen, betragen sie heute noch etwa 370 Millionen Franken und 540 Millionen Franken. Ob Meyer Burger diese Ziele überhaupt erreichen kann und wie dies nach sechs Jahren Umsatzrückgang bewerkstelligt werden will - trotz erschwerten Rahmenbedingungen -, bleibt offen.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Trotz Unterschieden in Alter, Branche und Geschäftsmodell eint DocMorris, Hochdorf und Meyer Burger ein gefährliches Muster: über Jahre hinweg zu hohe Erwartungen, chronische Verluste, unterdurchschnittliche Profitabilität. Hochdorf steht kurz vor dem Ende, Meyer Burger ist mitten im Überlebenskampf und DocMorris scheint am Anfang eines potenziell ähnlichen Leidenswegs zu stehen.
Die Beispiele zeigen: Wer systematisch zu hohe Prognosen abgibt und Erwartungen nicht erfüllt, riskiert nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Kapital. Mit der Selbstüberschätzung werden die Risiken verschönert und Anleger stehen im Glauben, die tiefe Bewertung entspricht einer Unterbewertung - dieser Irrglaube kann teuer werden.
Sollte es DocMorris nicht schnellstens gelingen, das Ruder herumzureissen, droht dem Unternehmen dasselbe Schicksal wie Meyer Burger und Hochdorf. Dabei läuft die Zeit gegen die Online-Apotheke - je länger der derzeitige Zustand anhält, desto unausweichlicher der bereits eingeschlagene Weg.
3 Kommentare
Ich bin Ihrer Meinung. Vielleicht gehört dieser Analyst auch zu den short sellers! Es würde mich nicht wundern wenn er für solche negative Berichte auch noch dafür bezahlt wird, denn „jemand“ hat Interesse, dass der Kurs der Aktie im Moment niedrig bleiben soll.
Das ist ein sehr schwacher Vergleich, die Branchen lassen sich überhaupt nicht vergleichen. Zudem ist das E-Rezept jetzt da und die Umsätze steigen extrem - es hat einfach länger gedauert. Bei den beiden anderen Firmen war und ist dies nicht der Fall. Was mir in dem Bericht auch fehlt ist die Tatsache, dass die Hälfte der DocMorris-Aktien leerverkauft sind. Wenn analysieren, dann bitte richtig
Da bin ich gar nicht Ihrer Meinung. Die Branchen lassen sich vielleicht nicht vergleichen, aber die schlechte finanzielle Situation bei allen dreien schon.
Steigende Umsätze nützen gar nichts wenn die Differenz zwischen Einkauf und Verkauf nicht reicht um die Kosten zu decken. Im Gegenteil, je mehr Umsatz Doc Morris hat, desto mehr Verlust werden sie haben. Schauen Sie die Gewinn- und Verlustrechnung von Doc Morris an, dann werden Sie es sehen. Und wenn Sie dann noch die Bilanz anschauen, dann wird Ihnen auffallen, dass Doc Morris per Ende 2024 rd. 400 Millionen Schulden hat und dem nur 95 Millionen Guthaben gegenüber stehen. Mit den rund 500 Millionen bilanzierten immateriellen Werten (Know how) kann man nichts bezahlen. Auch die bald durchgeführte Kapitalerhöhung wird an der misslichen finanziellen Situation nichts ändern, da der grösste Teil davon für Werbezwecke vorgesehen ist und vielleicht noch um Schulden zurückzahlen zu können. Bin leider Aktionärin, aber keine Leerverkäuferin.