Der Euro ist seit Anfang 2025 gegenüber dem Dollar um fast 13 Prozent gestiegen, das Pfund Sterling hat um fast 8 Prozent zugelegt. Der Bloomberg-Dollar-Index ist seit seinem Höchststand im Januar um 9 Prozent gefallen und liegt nun nahe dem niedrigsten Stand seit mehr als drei Jahren.
Für europäische Large Caps, die mehr als ein Viertel ihres Umsatzes in Nordamerika erzielen, können die Gewinneinbussen erheblich sein. Noch schlimmer ist es für Unternehmen, die keine soliden Absicherungsstrategien haben, um sich gegen Währungsschwankungen zu schützen.
Ein Anstieg des Euro-Dollar-Kassakurses um 10 Prozent könnte laut einer Citi-Analyse zu einem Rückgang der europäischen Gewinne um etwa 2 Prozent führen. Mit Blick auf die Gewinnentwicklung von Aktienindizes in den USA, Kanada, China sowie für breitere Schwellenländerindizes sind Währungsschwankungen weniger problematisch, da diese zu 72 bis 85 Prozent auf den Binnenmarkt ausgerichtet sind, gegenüber 40 Prozent beim europäischen Stoxx 600.
«Der Dollar durchlebt aufgrund der Finanz- und Handelspolitik von (US-Präsident Donald) Trump ein schreckliches Jahr«, sagte Susana Cruz, Strategin bei Panmure Liberum.» Auf der Verliererseite stehen amerikanische Produzenten, die von importierten Vorleistungen abhängig sind, Unternehmen, die in die USA exportieren, insbesondere solche, die mit Zöllen belegte Fertigwaren verkaufen, sowie ausländische Investoren, die auf Dollar lautende Vermögenswerte halten.»
Die am stärksten gefährdeten Sektoren sind laut Cruz die Gesundheitsbranche, Konsumdienstleistungen und -produkte, Luxusgüter und Software. Finanzdienstleistungen, Immobilien und Versicherungen scheinen dagegen relativ abgeschirmt zu sein, da ihre Umsätze nur begrenzt von der Volatilität des Dollars betroffen sind.
Exporteure werden die Auswirkungen wahrscheinlich stärker zu spüren bekommen. Der Essener Chemiekonzern Brenntag hat am Montag seine Prognosen für das Gesamtjahr gesenkt und dies mit dem ungünstigen Euro-Dollar-Wechselkurs seit Beginn des zweiten Quartals begründet. Nach Bloomberg-Daten erzielt das Unternehmen 32 Prozent seines Umsatzes in Nordamerika.
Für die Berichtssaison in Europa haben Analysten ihre Erwartungen nach unten korrigiert und rechnen nun mit Gewinnrückgängen. Damit liegt die Messlatte für die Unternehmen bereits niedrig, doch wenn sich der negative Trend fortsetzt, könnten weitere Herabstufungen folgen. Und obwohl ein starker Euro normalerweise Rückenwind für europäische Aktien bedeutet, hat sich diese Korrelation in letzter Zeit abgeschwächt.
Der Anteil der über den Erwartungen liegenden Gewinne pro Aktie dürfte in dieser Saison aufgrund der jüngsten Euro-Stärke dichter in Richtung 50 Prozent sinken. Der langfristige Durchschnitt lag bislang bei 53 Prozent, so die Strategen der Bank of America um Andreas Bruckner.
Laut den Experten erwarten Sell-Side-Analysten einen Rückgang der Gewinne pro Aktie innerhalb des Stoxx 600 um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das wäre der stärkste Rückgang seit fünf Quartalen. Der primäre Grund dafür ist der Umsatzrückgang aufgrund der schwächeren Nachfrage. Der zweite Grund ist die Stärke des Euro, dessen handelsgewichteter Index im Zeitraum April bis Juni um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen ist und damit den höchsten Stand seit fünf Quartalen erreicht hat, so das BofA-Team.
Obwohl sich der Dollar in den letzten Tagen stabilisiert hat, erwarten viele eine anhaltende Schwäche. Die Strategen von Goldman Sachs um Peter Oppenheimer prognostizieren einen fortgesetzten Abwertungstrend für die Währung, der die europäischen Unternehmensgewinne belasten würde.
«Ein schwächerer Dollar hat die europäischen Aktien belastet — und das wird auch so bleiben», schrieb das Team.
Ein Goldman-Korb europäischer Aktien mit hohen Dollarumsätzen hat in diesem Jahr rund neun Prozentpunkte schlechter abgeschnitten als der Stoxx Europe 600. Zu der Gruppe gehören unter anderem die Deutsche Telekom, Roche, BP, British American Tobacco und EssilorLuxottica.
Die Auswirkungen auf die Unternehmen werden auch davon abhängen, inwieweit sie sich gegen Währungsschwankungen abgesichert haben. So sind beispielsweise Luxusaktien tendenziell dem Dollar ausgesetzt, doch die Gewinneinbussen werden nicht einheitlich ausfallen.
Die Ergebnisse der Modemarke Brunello Cucinelli wurden am Freitag vom Markt positiv aufgenommen: Das Unternehmen verzeichnete in allen Regionen ein zweistelliges Wachstum und hatte keine Währungsprobleme. Das Unternehmen arbeite stets mit einem prognostizierten Wechselkurs, bevor es eine Kollektion herausbringe, sagte der Vorstandschef in einer Telefonkonferenz zu den Ergebnissen.
«Unternehmen mit fortschrittlichen Absicherungsprogrammen schneiden in der Regel besser ab», so die Strategen von Morgan Stanley unter der Leitung von Marina Zavolock. Das Team stellte fest, dass 38 Prozent der MSCI Europe-Mitglieder über solche Programme verfügen. Die Sektoren Software, Luft- und Raumfahrt, Automobil und Luxusgüter hätten die fortschrittlichsten Strategien zur Absicherung von Wechselkursrisiken.
(Bloomberg)