Erst Kinarus, dann Spexis - bei immer mehr Schweizer Biotechunternehmen steht das Wasser so hoch, dass sie Konkurs anmelden müssen. Weitere Namen wie Obseva oder auch Evolva werden genannt, wenn es darum geht, die nächsten Opfer zu erraten. An eine grosse bevorstehende Pleitewelle glauben Branchenexperten dennoch nicht.

Vielmehr handelt es sich nach Ansicht von Beobachtern wie Nasri Nahas, CEO von Biopôle, einem Technopark und Inkubator für Life Science Unternehmen, um eine gesunde Auslese auf "den Grundlagen des Darwinismus". Und auch wenn das Umfeld derzeit hart sei für Biotechunternehmen, eine Konkurswelle sei "nicht zu erwarten".

Zur Erinnerung: Die Corona-Jahre 2020 und 2021 haben die Biotechbranche mit ihrem Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung ins Rampenlicht gerückt - nicht nur medial, sondern auch an den Finanzmärkten. Ein regelrechter Biotech-Boom brach aus. Unternehmen gingen zu Hauf an die Börse und Investoren waren bereit, grosse Summen zu investieren, Hauptsache es war Biotech.

Ungenügende Finanzmarktreife

"Womöglich sind in dieser Zeit auch Unternehmen an die Börsen gekommen, deren Finanzmarktreife durchaus zu hinterfragen war", sagt der Healthcare Analyst Thomas Heimann von HBM Partners AG. Tatsächlich haben manche Unternehmen in dieser Zeit den Gang an die Börse gewagt, obwohl sich ihre Pipeline-Kandidaten noch in einem sehr frühen Stadium befunden haben.

"Menschen sind seit jeher fasziniert von Wachstum", sagt Biopôle-CEO Nahas. "Aber in keinem System kann es das geben, ein anhaltend stetes Wachstum." Auch Firmen oder Branchen durchlebten Zyklen.

Biotech-Investoren brauchen aber im Allgemeinen, gerade wenn sie im früheren Stadium investieren, einen langen Atem und müssen entsprechend einige Geduld mitbringen bis erste Resultate in Form von klinischen Studien vorhanden sind, so Heimann.

Grundsätzlich aber stellen Biotech-Investments für "Investoren, die möglichst schnelle Resultate sehen wollen, ein Problem dar", so Heimann. Denn nicht nur, dass die einzelnen klinischen Forschungsstadien oft Jahre brauchen um Ergebnisse zu liefern. Vielmehr sei Biotech nach wie vor "high-risk und statistisch seien immer noch mehr Programme nicht erfolgreich als erfolgreich", ergänzt der Life Sciences-Experte Frederik Schmachtenberg von EY. 

Und tatsächlich wurde dem Experten zufolge in den Covid-Jahren 2020 und 2021 noch deutlich mehr auch in "early-stage assets" wie z.B. präklinische Programme investiert, obwohl Investoren oft lieber in Programme in späten klinischen Stadien sogenannte "late stage assets" investieren wollen. "Allerdings ist der Biotech-Sektor von solchen späten Programmen nicht immer übersät." 

Katerstimmung seit Herbst 2021

So folgte auf den Hype die Katerstimmung. Laut Michael Altorfer, CEO der Swiss Biotech Association, hat sich die Stimmung den börsenkotierten Biotechs gegenüber seit Herbst 2021 geändert und ist seither schlecht.

Laut HBM-Analyst Heimann war es letztlich aber auch nur eine Frage der Zeit, dass es zu einer Konsolidierung kommt. Verstärkt wurde diese letztendlich auch durch die steigenden Zinsen seit vergangenem Jahr. So wurden andere weniger risikobehaftete Anlagen attraktiver als beispielsweise Biotech und damit erschwerte sich die Eigenkapitalaufnahme für Biotech-Unternehmen zusehends.

Hierzulande sind zuletzt Kinarus und Spexis als börsenkotierte Unternehmen dem geänderten Umfeld zum Opfer gefallen. Beiden Unternehmen ist es nicht gelungen, sich ausreichende Finanzmittel zu sichern, um die laufenden Programme zu finanzieren. Obseva gilt ebenfalls als hochgradig gefährdet und hat nur durch den Verkauf zahlreicher Pipeline-Assets und einer gross angelegten Entlassung von Mitarbeitenden bis heute überlebt.

Ähnlich ist zuletzt Idorsia ergangen, dem Nachfolgeprojekt des Ehepaars Clozel, nachdem sie Actelion verkauft hatten. Annähernd 500 Mitarbeitende vornehmlich aus der Forschungsabteilung mussten in diesem Jahr gehen und Kandidaten wurden veräussert.

Schweizer Markt ist anders

Für Altorfer von der Swiss Biotech Association stellen diese Unternehmen aber die Minderheit der Schweizer Biotechbranche dar. In der Schweiz sind nämlich rund 98 Prozent der Biotech Firmen privat finanziert. "Dies bietet zur Zeit einen gewissen Schutz gegenüber dieser schwierigen Situation im Börsenumfeld."

So war der Neukapitalzufluss 2022 denn auch höher als 2019 und vergleichbar mit 2018, so Altorfer weiter. Im privaten Umfeld fänden regelmässig Finanzierungen statt. Im laufenden Jahr habe eine dieser Runden ein Volumen von mehr als einer Milliarde Franken gehabt, zwei hätten bei mehr als 100 Millionen gelegen und viele im ein- oder zweistelligen Millionen-Bereich. Er gehe denn auch davon aus, dass die Finanzierungsumme insgesamt gleich gut oder besser als letztes Jahr sein werde.

Auch für Analyst Heimann stellt sich die Lage für private Unternehmen, insbesondere in späterem Entwicklungsstadium, etwas einfacher dar. Das erste Halbjahr sei in der Schweiz verhältnismässig gut gelaufen, obwohl im dritten Quartal nun auch einige dunklere Wolken aufgestiegen sind. Dies liege auch daran, dass Investorengelder bei den privaten Investoren, Venture Capitalists, sowie auch bei den Pharmakonzernen nach wie vor vorhanden seien und auch nach wie vor investiert würden, ergänzt Schmachtenberg.

Für den EY-Experten hat die Schweiz nach wie vor vielversprechende Assets, und diese Assets finden auch meist das benötigte Kapital, wenn die Suche nach dem frischen Geld manchmal auch etwas länger dauern kann.

(AWP)