cash.ch: Bei Aktien wechseln momentan oft die Stimmungen. Inflationssorgen wechseln sich im täglichen Aktiengeschehen mit Konjunkturhoffnungen ab. Darüber hängt die Befürchtung, dass Aktien noch mehr Konkurrenz von den Zinsen erhalten werden. Warum soll man bei Aktien bleiben?

Bettina Baur: Die Inflationsdaten werden volatil bleiben. Wir werden dieses Jahr durchaus weitere Male ein Überschiessen der Inflationsrate über das Ziel der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) von 2 Prozent sehen. Es wird aber ein temporäres Thema sein. Aus den Zahlen sollten wir mittelfristig nicht zu viel extrapolieren. Schwieriger für die Aktienmärkte wird es werden, wenn sich die Sprache der Fed in Bezug auf ein Zurückfahren der Anleihenkäufe oder ein Anziehen der Zügel in der Zinspolitik wirklich ändert. Davon gehen wir vor Ende dieses Jahres nicht aus.

Wenn die Fed den Ton ändert, dürften die Märkte womöglich trotzdem empfindlich reagieren. Wie sollen sich Aktien-Anlegerinnen und -Anleger positionieren?

Inflationsraten unter 4 Prozent haben historisch für die Aktienmärkte keine Gefahr dargestellt. Man darf nicht vergessen: In dieser Pandemie haben wir viele Produktivitätsgewinne bei den Unternehmen gesehen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch von der Lohn- und Beschäftigungsseite her weniger Inflationsdruck kommt, als man denkt. In der Schweiz wiederum sind sehr viele Unternehmen sowohl im Large-Cap- aber auch im Small- und Mid-Cap-Segment Marktführer in ihren jeweiligen Industrien. Inflationstendenzen in ihrer Kostenbasis könnten sie an die Kunden weitergeben. Die Schweizer Unternehmen kennen seit Jahrzehnten die Herausforderungen einer starken Währung und hoher Lohnkosten und sind es gewohnt ihre Kostenbasis kontinuierlich zu optimieren und effizienter zu gestalten.

Fundamental sind die Schweizer Unternehmen sicherlich gut gerüstet für neue Probleme. Aber wenn der Markt wegen Inflation und Fed-Zinsen panisch reagiert, sind die Aktienkurse der Schweizer Unternehmen dann geschützt?

In einigen zyklischen Segmenten des Schweizer Marktes haben wir bereits einen gewissen 'Overshoot' bei der Performance gesehen. Eine gewisse Flucht aus den zyklischen Titeln würde man in einem solchen Umfeld wohl schon sehen. Defensive Aktien wie Nestlé, Roche oder Novartis profitieren traditionell von solchen Marktbewegungen.

Der von Ihnen und Eleanor Taylor Jolidon gemanagte Fonds «UBAM Swiss Small and Mid Cap Equity» enthält eine Reihe von Schweizer Zyklikern, aber auch Wachstumsaktien, die ebenfalls unter Druck stehen. Müssen Sie in nächster Zeit das Portfolio überarbeiten?

Bei Wachstumsaktien muss man jene hervorheben, die von strukturellen Trends profitieren, beispielsweise die Auftragsfertiger in der Pharmaindustrie wie Lonza, Siegfried oder Bachem. Diese werden längerfristig vom vermehrten Outsourcing profitieren, denn viel Innovation kommt mittlerweile von den kleinen Biotechfirmen ohne eigene Produktionskapazitäten. Dieser Wachstumstrend bleibt. Der Logistiker Kühne+Nagel wiederum ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das von wachsenden und komplexeren Handelshemmnissen aufgrund des Brexit oder in den Handelbeziehungen mit China profitieren wird, weil es die Kunden in dieser Situation unterstützen kann.

Wer sind die Verlierer der heutigen Marktlage?

Wir betrachten primär das Wertschöpfungspotential von Unternehmen. Dort sieht man sicherlich, dass es traditionelle Banken schon seit der Finanzkrise nicht mehr überzeugend schaffen, Wert zu generieren. Die Cashflow-Renditen fluktuieren immer etwa in der Höhe der Kapitalkosten. Seit Anfang 2021 profitieren Bank-Aktien zwar von Trends wie mehr Trading oder auch von den steigenden Zinsen, aber die strukturellen Probleme der Industrie, der Margen- und Investitionsdruck wegen der Digitalisierung und die hohen Kosten werden sich nur bedingt eingrenzen lassen.

Was raten Sie bei Finanzaktien?

Sehr viel von der Innovation in der Bankenindustrie findet mehrheitlich ausserhalb der traditionellen Banken statt, bei alternativen Finanzdienstleistern und Fintechs. Die Banken sind nun zu einer Aufholjagd gezwungen. Als Investoren bevorzugen wir aber die innovativen Markteilnehmer wie die Partners Group, wo wir seit dem Börsengang investiert sind. Die Partners Group hat sich eine Marktführerschaft in der Nische der Privatmarktanlagen aufgebaut. Im Finanzsektor sind solche Firmen interessant, weil sich deren Geschäftsmodell auch nicht so einfach replizieren lässt. Bei den traditionellen Banken gibt es noch viel 'alten Ballast', der die Kursentwicklungen auch weiterhin hemmen wird.

Aktien wie die Partners Group sind ja aufgrund ihres Erfolgs im Kurs schon gestiegen und zum Teil etwas höher bewertet. Wer nach Einstiegsmöglichkeiten sucht, könnte schon jetzt abgeschreckt sein.

Eine gewisse Vorsicht dürfte angesichts der Bewertungen geboten sein. Auch die Erwartungen an das Gewinnwachstum sind schon stark angestiegen. In der Schweiz aber sind wir bei  Gewinnerwartungen von rund 10 Prozent für dieses Jahr, was unter dem globalen Schnitt liegt, bei einem realistischen Level angekommen. Die Visibilität wie auch die Qualität der Gewinnzahlen ist besser als in anderen Märkten.

Relativiert dies Ihrer Meinung nach die Bewertungen?

Bei den Bewertungen ist es interessant: Normalerweise wird der Schweizer Markt hierbei gegenüber den globalen Märkten mit einer Prämie von 5 bis 10 Prozent gehandelt. Diese Prämie gibt es gegenwärtig nicht. Relativ gesehen ist dies immer noch ein guter Einstiegszeitpunkt in den Schweizer Markt, wenn man das Wertschöpfungspotential, die Innovation und die Investitionen in Forschung und Entwicklung der Schweizer Unternehmen bedenkt. Dies führt zu nachhaltig höheren Cash-Flow-Renditen, mit denen im Grunde genommen nur die USA mithalten können. Der US-Markt ist derzeit aber höher bewertet als der Schweizer Markt.

Sehen Sie Anlegerinnen und Anleger im Schweizer Aktienmarkt auch genügend als nach unten abgesichert?

Auf jeden Fall. Die sehr starken Fundamentaldaten der Unternehmen geben dem Markt als Gesamtes und den Aktienkursen der entsprechenden Unternehmen einen guten Schutz gegen unten. Der Markt kennt immer wieder Phasen, in denen er sich nicht auf die Fundamentaldaten konzentriert, aber diese sind relativ kurzlebig. Man konnte dies sehr schön in der Erholung seit dem vergangenen März sehen.

UBP investiert auch in Versicherungsaktien wie die Bâloise Group. Die Schweizer Versicherer haben sich ja noch nicht richtig erholt seit der Krise. Warum finden Sie dieses Segment trotzdem interessant?

Wir haben das Exposure gegenüber den Versicherern über die vergangenen Monate eher etwas abgebaut. Dies aber vor allem bei Rück- und Lebensversicherungen. Positiv sind wir immer noch gestimmt bei Sach- und Haftpflichtversicherern. Diese werden von der konjunkturellen Erholung noch weiter profitieren. Gerade die kleineren Schweizer Versicherer wie zum Beispiel die Bâloise arbeiten mit sehr innovativen Modellen in den Kundenbeziehungen.

Zweifellos innovativ ist die Schweizer Medizinaltechnik, wo der von ihnen gemanagte Fonds unter anderem in Straumann, Sonova oder Tecan investiert ist. Wie stehen Sie bei diesen Unternehmen zu regulatorischen Problemen, oder, wie vergangene Woche aufgetreten, neuen Nachteilen wegen des Verzichts auf ein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU?

Es wird deswegen Herausforderungen geben, aber die Medtech-Branche hat sich schon länger darauf eingestellt, dass das Rahmenabkommen nicht so zustande kommen könnte, wie es ausgehandelt wurde. Ich bin überzeugt, dass sie auf eventuelle Hemmnisse vorbereitet ist. Straumann oder Sonova sind Markt- und Technologieführer in ihren Bereichen. Dies wird dazu führen, dass deren Produkte weiterhin gefragt sein werden. Kurzfristig kann es Schreckmomente geben, aber das Wertschöpfungspotential dieser Unternehmen ist intakt.

Also sind die Unternehmen, die hinter den Schweizer Qualitätsaktien stehen, einfach beneidenswert erfolgreich und stabil?

Das kann man so sagen. Straumann beispielsweise spürt beim Geschäftsgang in Brasilien kaum Probleme, obwohl dort die Pandemiesituation immer noch sehr prekär ist. Gerade im zweiten Lockdown hat auch die Schweizer Industrie sehr gut gewirtschaftet, was dazu beitrug, dass die Wachstumsschwäche im ersten Quartal für die Schweiz weniger stark ausfiel, als dies befürchtet worden war.

Die grösste Position in Ihrem Fonds ist derzeit der Peripheriegeräteentwickler Logitech – eine sehr beliebte und viel beachtete Aktie. Logitech als Schweizer Tech-Wachstumstitel hat massiv vom Homeoffice-Trend profitiert. Aber man wird doch kaum davon ausgehen können, dass so ein «Boost» nochmals kommt.

Wir werden nicht nochmal 100 Prozent Wachstum sehen wie dies in manchen Segmenten im vergangenen Jahr zu beobachten war. Aber Logitech hat implizit die Guidance für 2021 erhöht, indem das Wachstumsziel von minus 5 bis plus 5 Prozent trotz des unerwartet guten Abschlusses 2020 beibehalten wurde. Die Endmärkte von Logitech haben immer noch hohe Wachstumserwartungen, in gewissen bis hin zu tiefen zweistelligen Raten.

Nun sind aber die Kurse von Tech-Aktien seit Februar fast überall unter Druck. Muss Logitech jetzt noch mehr als bisher die Erwartungen übertreffen, um das Interesse der Aktienmärkte behalten zu können?

Eine gewisse Unsicherheit für ein Unternehmen wie Logitech dürfte die Halbleiter-Knappheit bieten. Bei den Wachstumsraten denke ich aber, dass weiterhin mehr drinliegt, als es die offizielle Guidance in Aussicht stellt. Weltweit stellen E-Sports schon heute die grössten Sportanlässe. Logitech ist eines der Unternehmen, das davon massgeblich profitiert. Dazu kommt noch ein anderer Punkt: Daten von Indexspezialisten deuten darauf hin, dass Logitech an der Stelle von Swatch im September in den SMI aufgenommen werden könnte. Die Börse SIX wird erst später im Sommer darüber entscheiden - aber  die Aufnahme in den SMI könnte dem Titel zusätzlichen Aufwind bescheren.