Der Elektrofahrzeugbauer Rivian aus dem kalifornischen Irvine ist der neue Börsenstar. Die Aktie stieg am Dienstag in New York in der Spitze um bis zu 20 Prozent auf über 179 Dollar. Am Tag zuvor war der Titel bereits um 15 Prozent gestiegen. 

Das Unternehmen ging dabei erst letzte Woche an die Börse. Gegenüber dem IPO-Preis von 78 Dollar hat sich die Aktie mehr als verdoppelt - plus 121 Prozent. Kein anderes US-IPO wies dieses Jahr in den ersten Handelstagen eine solche Entwicklung auf. Als Folge davon beläuft sich die Marktkapitalisierung von Rivian auf etwa 153 Milliarden Dollar.

Damit ist Rivian das grösste US-Unternehmen mit keinen nennenswerten Einnahmen. Das 2009 gegründete Unternehmen, das von Amazon und Ford unterstützt wird, hat zudem die Marktkapitalisierung von Volkswagen mit 137 Milliarden Dollar überholt. 

Dabei ist Volkswagen mit rund 10 Millionen Fahrzeugauslieferungen pro Jahr Europas grösster Autohersteller - weltweit die Nummer zwei hinter Toyota. Volkswagen erwirtschaftet etwa 250 Milliarden Euro Jahresumsatz. Porsche, Audi oder Lamborghini sowie Scania-Lastwagen und Ducati-Motorräder sind Marken des deutschen Industriegiganten.

Rivian hat erst in den letzten Wochen begonnen, erste Fahrzeuge auszuliefern. Das defizitäre Unternehmen will 2023 mit seinen Pick-ups und SUVs eine Jahresproduktion von 150’000 Fahrzeugen an seiner Hauptproduktionsstätte erreichen.

Gefahr einer Blasenbildung

Trotz der augenfällig hohen Bewertung sind Anlegerinnen und Anleger begierig darauf, in den Elektrofahrzeugbauer einzusteigen. Der junge US-Industriesektor von reinen Elektrofahrzeugherstellern bietet jetzt neben dem Vorreiter Tesla eine weitere Investitionsmöglichkeit.

"Es ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Blasenbildung wieder zunimmt", sagte Matthew Maley, Chef-Marktstratege beim Vermögensverwalter Miller Tabak, zum starken Kursanstieg bei Rivian. "Es fliesst immer noch ein besorgniserregendes Level an Liquidität in das Marktsegment."

Dabei ist Rivian nicht das einzige Unternehmen der Branche, das in der Anlegergunst steht: Die Aktien des US-Unternehmens Lucid Motors gewannen am Dienstag 24 Prozent - plus 129 Prozent seit dem Börsengang Ende Juli. Lucid Motors, das sich auf die Luxusautos spezialisiert hat, verfügt über eine Marktkapitalisierung von 91 Milliarden Dollar und ist damit gleich viel wert wie General Motors. Ford, das mit 79 Milliarden Dollar bewertet ist, lässt das Unternehmen aus dem kalifornischen Newark hinter sich.

Wall Street zieht Rivian Tesla vor

Rivian und Lucid profitieren dabei vermutlich von der Kursschwäche bei Tesla. Die Aktien sind 14 Prozent gesunken, seit Tesla-Chef Elon Musk Anfang dieses Monats mit einer Twitter-Umfrage gefragt hat, ob er 10 Prozent seines Anteils am Unternehmen verkaufen soll. 

Mit seinen Aktienverkäufen hat Elon Musk innerhalb von sieben Handelstagen bereits 8,8 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Will er tatsächlich 10 Prozent erreichen, müsste er nochmals das gleiche Volumen verkaufen. In diesem Umfeld setzen Anlegerinnen und Anleger im Zweifelsfall lieber auf Rivian oder Lucid.

Ed Moya, Analyst beim Broker sagt bezüglich den potenziellen Kursrenditen zudem: "An der Wall Street herrscht die Meinung vor, dass Rivian mehr Wachstumspotenzial als Tesla hat." Tesla sei ein reiferes Unternehmen als Rivian. Trotzdem handelt der Elektropionier zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 340. Der breite S&P 500 Index wird mit dem 26-fachen des zukünftigen Gewinns gehandelt.

Zudem kommt die hohe Volatilität bei grossen Investoren nicht gut an. Trotz der Billionen-Dollar-Bewertung, der Pole-Position im Elektrofahrzeuggeschäft und dem Aufstieg in den S&P 500 weist der Titel eine grössere Volatilität auf als jede andere Megacap-Technologieaktie. Die Tesla-Aktien weisen dieses Jahr an 21 Tagen Bewegungen von mindestens 5 Prozent nach oben oder unten auf.

"Es ist kein Name, den wir unseren Kunden empfehlen würden", sagt dann auch Edmund Shing, CIO von BNP Paribas, unter Berufung auf die hohe Volatilität bei Tesla.

Fantasie kann noch anhalten

Dass die Fantasie bei Rivian aktuelle keine Grenzen kennt, beweist auch folgende Tatsache: Zeitweise war Rivian am Dienstag mehr wert als 90 Prozent der S&P 500-Unternehmen - einschliesslich Aktien wie Goldman Sachs, Boeing, Citigroup, Starbucks und Caterpillar. Auf lange Sicht kann diese Bewertung kaum standhalten.

Doch kurzfristig kann das Momentum sicherlich noch anhalten: Vorbörslich steigen die Aktien von Rivian um 0,9 Prozent, Lucid Motors gewinnt 9,7 Prozent. Der Tesla-Titel wird 2,2 Prozent höher gestellt.

ManuelBoeck
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