Wenn Sie am Flughafen Ihr Gepäck vom Förderband nehmen oder in der Post ein Paket von Zalando abholen, dann haben Sie in der Regel mit Produkten von Interroll zu tun. Die Firma mit Standort Sant'Antonino TI stellt Förderrollen, Antriebe und Steuerungen her, die in internen Logistiksystemen Verwendung finden - zum Beispiel an Flughäfen oder in Verteilzentren grosser Versandhäuser.

Weil die Automatisierung zunimmt und der sogenannte E-Commerce in den letzten Jahren stark gewachsen ist, konnte Interroll den Umsatz laufend erhöhen. An der Börse hat sich der Aktienkurs vervielfacht. Der langjährige CEO Paul Zumbühl hat Interroll restrukturiert, neu ausgerichtet und ist nun mitverantwortlich für diesen Erfolg. Im Gespräch mit cash nennt er die Gründe für diese positiven Ergebnisse, erkennt mit Blick in die Zukunft aber auch Herausforderungen und Risiken.

cash: Herr Zumbühl, wie oft schauen Sie auf den Aktienkurs von Interroll?

Paul Zumbühl: Ich schaue nicht täglich auf den Aktienkurs. Nicht, weil es mich nicht interessiert. Aber wir können den Aktienkurs nicht täglich beeinflussen. Für uns ist es wichtig, dass wir einen langfristigen Horizont haben. Nichtsdestotrotz freut es uns, wenn es auch an der Börse gut läuft.

Das ist in der Regel der Fall. Als Sie vor 18 Jahren bei Interroll den CEO-Posten übernahmen, war die Firma mit knapp 200 Millionen Franken bewertet, heute sind es fast 1,5 Milliarden. Was sind die Gründe für diesen Erfolg?

Ich sehe mich nun in meiner fünften CEO-Rolle bei Interroll. Das Unternehmen durchlief in dieser Zeit folgende Phasen: Restrukturierung, Akquisition von Technologien, globaler Footprint, Harmonisierung der Prozesse. Nun folgt die Zeit des beschleunigten Wachstums mit der Integration neuer Themen wie der Digitalisierung.

Haben Sie auch vom Zeitgeist profitiert? Den Boom im Onlinehandel konnte man damals ja noch nicht erahnen.

Das ist schon so. Zu meiner Anfangszeit war die interne Logistik noch kein 'sexy' Thema. In der Zwischenzeit haben die Unternehmen gemerkt, dass Logistik ein wichtiger Kostentreiber sein kann. In bestimmten Branchen wie E-Commerce ist Logistik gar matchentscheidend geworden. Dennoch gibt es Unternehmen aus unserem Bereich, die trotz des Booms nicht entsprechend profitabel geworden sind. Gleichzeitig schoss in Asien die Konkurrenz wie Pilze aus dem Boden. Das hat uns noch mehr dazu veranlasst, innovativ und kostenbewusst zu arbeiten.

Und Sie persönlich? Sind Sie auch zum Onlineshopper geworden?

Ich brauche nicht monatlich neue Kleider. Aber die Vorteile durch Anbieter wie Zalando in Bezug auf Auswahl und Lieferzeiten sind enorm. Das ist etwas, das unterschätzt wurde.

Mit dramatischen Folgen für den stationären Handel. Wird das Ladensterben noch lange andauern?

Ich verbringe 70 Prozent meiner Zeit auf Reisen. Und die Veränderungen, die ich in China oder den USA antreffe, sind gewaltig.

Vieles deutet darauf hin, dass sich im Onlinehandel wenige sehr grosse Player wie Amazon durchsetzen werden. Sehen Sie das auch so?

Diese Tendenz zeichnet sich ab, weil die grossen Unternehmen viel Geld für Investitionen zur Verfügung haben. Was wir aber auch sehen: Jede Firma muss sich früher oder später mit E-Commerce beschäftigen und dadurch wird es auch weiterhin viele Nischenanbieter geben. Solche Firmen gehören genauso zu unseren Kunden.

Auch Online-Lebensmittelhändler gewinnen an Bedeutung. Wie sehen Sie hier die Perspektiven?

Ich war soeben in Spanien bei einem Kunden, der landwirtschaftliche Produkte herstellt und vertreibt. Dieser hat massiv in den digitalen Handel investiert. Das Konzept funktioniert so, dass die Bestellung zu einem bestimmten Punkt geliefert wird, wo sie der Konsument abholen kann. Ich sehe diese Entwicklung stark am Wachsen.

Sogar die Schweizer Post experimentiert mittlerweile mit Lieferrobotern. Wie beeinflussen solche Trends ihre Absatzmärkte?

Irgendwie müssen die Lieferungen ja zum Roboter oder zur Drohne gelangen und dafür braucht es nach wie vor unsere Logistiklösungen. Ich glaube nicht, dass sich solche Formen der Auslieferung auf breiter Form durchsetzen, aber sie werden zunehmen.

Sie beliefern auch Flughäfen oder Postunternehmen. Gibt es eine Kundengruppe, die sich in den letzten Jahren wider Erwarten negativ entwickelt hat?

Die zwei grössten Probleme für jeden Manager sind: Dass er sich verzettelt und dass seine Strategie zu komplex wird. Deshalb fokussieren wir uns auf fünf Märkte, die alle gut laufen. Klar: Der Flughafenbereich wächst in Europa weniger stark als in Asien. Aber das können wir durch unsere regionale Diversifikation kompensieren.

Laut früheren Aussagen erwarten Sie in China besonders hohe Wachstumsraten. Wie sind Sie dort unterwegs und welche Probleme treffen Sie an?

China ist für uns nicht als günstiger Produktionsort von Bedeutung, sondern vor allem als Absatzmarkt. In China ist es sehr wichtig, die richtigen Leute zu haben. Wir starteten vor 14 Jahren mit zwei Leuten, heute haben wir drei verschiedene Firmen mit einem äusserst schlagkräftigen Managementteam. Den Chinesen bedeutet Vertrauen viel und vor allem haben Sie ein hohes Markenbewusstsein. Hier haben wir als Schweizer Firma einen Vorteil. Qualität und Betreuung spielt eine gleich wichtige Rolle wie in Europa.

Müssen Sie sich dort besonders gut gegen Industriespionage schützen?

Wir haben eine klare Strategie, was wir patentieren und was nicht. Aber damit kann man nicht alles schützen. Der beste Schutz in China und anderswo ist unsere Innovation: Wir wollen immer zwei bis drei Jahre vor der Konkurrenz sein. Wir haben zum Beispiel ein neues Produkt für 2020 geplant. Eine konkrete Ankündigung haben wir aber noch nicht gemacht, weil die jetzige Version bereits kopiert wird. Innovation, Kreativität und Unternehmenskultur sind nicht kopierbar.

Wie lässt man eine solche Unternehmenskultur entstehen?

Es hat Jahrzehnte gedauert, in denen wir an bestimmten Werten gearbeitet haben: Dinge, die man macht und Dinge, die man nicht macht. Vor Ort setzen wir auf lokale Managementteams, welche diese Werte vertreten. Und wir haben keine 'Hire and Fire' Kultur. Auch nach dem Umsatzeinbruch 2009 entliessen wir keine Mitarbeitenden.

Interroll betreibt 32 Unternehmungen weltweit und beschäftigt 2100 Personen. Was sind die grössten Herausforderungen bei der Implementierung einer Firmenkultur?

Alle müssen die Strategie verstehen. Der Kunde muss immer dasselbe Gefühl haben, ob er uns in Brasilien oder in Japan antrifft. Wir investieren viel Herzblut in unsere Kundenbeziehungen, aber wir fordern auch von der Gegenseite Konstanz.

In Afrika und Südamerika betreiben Sie wenige Standorte. Möchten Sie dort in Zukunft wachsen?

Projekte in Afrika betreuen wir von unserem Standort in Südafrika oder von Europa aus. Ein Ausbau auf diesem Kontinent ist nicht geplant. Anders sieht es in Südamerika aus. Die Gesellschaft in Brasilien ist stark wachsend, insbesondere in der Luxusgüter- und Kosmetikbranche. Langfristig möchten wir weitere südamerikanische Länder wie Chile besetzen. In Mexiko haben wir soeben eine Verkaufs- und Servicegesellschaft eröffnet.

Auch in den USA streben Sie verstärktes Wachstum an. Wie empfinden Sie dort die wirtschaftspolitische Situation?

Ich erkenne eine positive Stimmung, kann aber nicht sagen, ob das die Folge der Regierung unter Donald Trump ist. Die 'american industrialization' ist schon seit längerem feststellbar.

Ein wichtiges Stichwort für sämtliche Industrieunternehmen ist 'Industrie 4.0'. Inwiefern prägt das Interroll?

Wir spüren das in zweierlei Hinsicht. Einerseits intern: Unsere Fabriken werden digital immer vernetzter. Auch unsere Produkte werden ständig intelligenter. Unsere Fördersysteme funktionieren immer dezentraler. Aufgrund der zunehmenden Komplexität würde die Steuerung von einer zentralen Stelle gar nicht mehr funktionieren oder würde an Flexibilität verlieren. Wir bringen im nächsten Jahr eine neue intelligente Plattform auf den Markt, die dem Kunden viele Vorteile bietet, zum Beispiel im Bereich präventive Wartung. Aber auch die Datenrücklieferung wird immer wichtiger: Der Kunde soll schneller erfahren, wo sich ein bestimmtes Produkt befindet, wie schwer es ist und welche Temperatur es hat.

Fortschreitende Digitalisierung birgt auch mehr Angriffsfläche. Müssen Sie Ihre Systeme auch verstärkt vor Hackern schützen?

Hacker sind auch für die Logistik eine Herausforderung. Aber es ist in erster Linie das Problem unserer Kunden, also der Integratoren, aber auch der Endkunden, also der Anlagenbetreiber, die Daten zu schützen.

Interroll hat unter anderem stark vom Boom im Onlinehandel profitiert. Was kommt, wenn dieser Trend zu stagnieren beginnt?

Wir sind ja in fünf Bereichen tätig: Postlogistik, Distribution, Flughafenlogistik, Lebensmittelverarbeitung und bestimmte Nischen wie die Reifenindustrie. In allen fünf Industrien sehen wir enorm gute Möglichkeiten. Die ganze Logistik wird in den nächsten 30 bis 40 Jahren weiter enorm an Bedeutung gewinnen. Denn Zeit ist die wichtigste Ressource. Wenn unsere Kunden Zeit einsparen können, dann sind unsere Produkte überzeugend. Wir müssen in Europa generell an Geschwindigkeit zulegen, weil die Chinesen schon enorm schnell sind.

Interroll investiert viel in Forschung und Entwicklung, temporär auf Kosten der Profitabilität. Wann werden sich die jüngsten Investitionen auszahlen?

Ab 2020. Wir forschen nicht an technischen Besonderheiten. Bei uns steht immer der Nutzen des Kunden im Zentrum. Mir gefällt das Bild des Legosystems, das ständig verbessert wird. Mit unseren Bausteinen soll der Kunde dann ein logistisches System aufbauen können.

In diesem und im nächsten Jahr sollen je rund fünf Millionen Franken in neue Technologien investiert werden. Wofür genau?

In der Vergangenheit haben wir neue Technologien für die Beförderung von leichteren Paketen entwickelt. Nun gehen wir vermehrt in den Bereich für schwerere Paletten. Fast jedes Produkt wird irgendwann auf einem Palett transportiert. Auch wenn in Zukunft vermehrt Roboter im Einsatz sein werden, fallen die logistischen Herausforderungen nicht weg, im Gegenteil sie nehmen noch zu. Damit hat sich noch niemand so richtig beschäftigt. Daran arbeiten wir nun.

Sie haben anlässlich der Halbjahreszahlen im August nicht genau gesagt, was Sie für das Gesamtjahr erwarten. Wie sind Sie bislang unterwegs?

Wir halten an unserer damaligen Guidance fest. Ein grosser Teil unseres Geschäfts ist kurzfristig nicht genau prognostizierbar. Allerdings konnten wir auch im zweiten Halbjahr einige wichtige Aufträge an Land ziehen. Aber die Zusatzkosten für Forschung und Entwicklung werden auch die Kosten für das Gesamtjahr belasten.

Erneut ein Umsatz von rund 200 Millionen Franken im zweiten Halbjahr wäre also ein Erfolg?

Ich kann keine genauen Zahlen nennen. Aber es wird eher etwas besser werden.

An der letzten Generalversammlung erhielt der Vergütungsbericht von Interroll einen aussergewöhnlich hohen Neinstimmenanteil. Was war der Grund dafür?

An der GV 2017 äusserten sich die anwesenden Aktionäre sehr positiv zur Vergütung, da eine klare Verbindung zwischen erbrachter Leistung beziehungsweise Vergütung und den  hervorragenden Finanzergebnissen ersichtlich war. Alle anwesenden Haupt- und Kleinaktionäre stimmten somit vorbehaltlos der Vergütung zu. Die Neinstimmen kamen via Stimmrechtsvertreter von institutionellen Anlegern. Die Nachfrage bei einigen dieser Anleger zeigte, dass eine erst- und einmalige Sonderentschädigung für ausserordentliche Leistungen und Verdienste über die vergangenen Jahre offensichtlich nicht ins Bewertungsschema dieser Fonds passte, da sie nicht explizit an konkrete Leistungsziele des abgelaufenen Geschäftsjahres geknüpft war.

Werden Sie an der Vergütungspraxis künftig etwas ändern?

Der Verwaltungsrat will keine einmaligen Sonderentschädigungen mehr gewähren, die sich nicht unmittelbar auf eine konkret erbrachte messbare ausserordentliche Leistung im abgelaufenen Jahr bezieht. Somit wird diese Möglichkeit im nächsten Vergütungsbericht gestrichen. Zudem wird unsere Corporate Governance Abteilung den Vergütungsbericht 2018 in Bezug auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit weiter verbessern und detaillieren.

Sie sind mittlerweile 60 Jahre alt und seit bald 18 Jahren CEO von Interroll. Wie langen möchten Sie noch weitermachen?

Ich habe grosse Freude an meiner Arbeit. Den grossen Herausforderungen habe ich mich immer gestellt, weil mich das fit hält. Ich könnte bis 70 arbeiten, aber es gibt ja auch noch andere Dinge im Leben.

In einem Analystenbericht war zu lesen, eine Schwäche von Interroll sei die Abhängigkeit gegenüber Führungspersönlichkeiten, die schwer zu ersetzen wären. Was wünschen Sie sich von einem allfälligen Nachfolger?

Interroll ist keine One-Man-Show. Wir haben ein breit abgestütztes Management. Ohne mich würde die Firma genauso weiterlaufen. Was fehlen würde, wären meine langfristigen Inputs. Denn ich arbeite heute bereits an der Strategie für 2022 und 2023. Mein Nachfolger müsste auf jeden Fall viel Herzblut, laufend neue Ideen mitbringen und vor allem hohe Disziplin für die Umsetzung der strategischen Entscheide haben. Kontinuität ist nur gut, wenn jemand jeden Tag neue Ideen einbringt, etwas bewegt und die Uhr immer wieder auf Null stellt. Dann müsste ein Nachfolger Prioritäten setzen können, sich nicht verzetteln, ein klares Konzept haben und dieses auch kommunizieren können.

Im Video-Interview mit cash äussert sich Paul Zumbühl auch zum Standort in Sant'Antonino, zu den Grenzgängern und zu politischen Gegenwind.

Paul Zumbühl (*1957) steht seit Januar 2000 an der Spitze von Interroll. Er übernahm die Führung von Unternehmensgründer Dieter Specht. Davor war er im Management verschiedener Industrieunternehmen tätig. Zumbühl verfügt über einen Abschluss als Diplom-Ingenieur der Hochschule für Technik in Luzern und über einen MBA der Universitäten Boston, Bern und Shanghai sowie über einen AMP der Kellogg Business School, Chicago. Paul Zumbühl ist zudem Verwaltungsratspräsident der Schlatter Holding und wurde kürzlich für den Verwaltungsrat der Mikron Gruppe vorgeschlagen.