Einige Wall-Street-Strategen setzen darauf, dass europäische Aktien im Vergleich zu den USA ihre beste Performance seit mindestens zwei Jahrzehnten verzeichnen werden. Das Hauptargument dafür sind die verbesserten Konjunkturaussichten in der Region.
Der Stoxx Europe 600 Index wird laut dem Durchschnitt von 20 von Bloomberg befragten Strategen das Jahr voraussichtlich bei etwa 554 Punkten beenden. Das entspricht einem Plus von etwa 1 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag.
JPMorgan hat für den europäischen Index mit 580 Punkten eines der höchsten Kursziele in der Umfrage, während Citigroup einen Anstieg um 4 Prozent auf 570 Punkte prognostiziert. Generell schrauben die Analysten ihren Pessimismus hinsichtlich der Unternehmensgewinne etwas zurück. Im Gegensatz dazu erwarten beide Banken für den US-Aktienindex im weiteren Jahresverlauf einen Rückgang.
Bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen
«Sollten wir den Höhepunkt der Gewinnunsicherheit bereits überwunden haben, könnte dies die Voraussetzungen für weiteres Aufwärtspotenzial und eine mögliche Neubewertung der Bewertungskennzahlen schaffen, insbesondere in den stärker angeschlagenen zyklischen Sektoren», sagte Beata Manthey, Strategin bei Citigroup, über europäische Aktien.
Der Ausblick markiert eine Kehrtwende gegenüber den Erwartungen zu Jahresbeginn, als Strategen damit rechneten, dass europäische Aktien deutlich hinter den US-Aktien zurückbleiben würden. Der europäische Index erholte sich jedoch, da die historische Steuerreform in Deutschland und robuste Gewinne Anleger anzogen, die nach einer Alternative zu den im Handelskrieg gefangenen US-Anlagen suchten.
Eine vor einer Woche veröffentlichte Umfrage der Bank of America ergab, dass 35 Prozent der globalen Fondsmanager mittlerweile in europäischen Aktien übergewichtet sind, während das Netto-Exposure in den USA auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren gesunken ist. Die im MSCI Europe vertretenen Unternehmen verzeichneten im ersten Quartal einen Gewinnanstieg von 5,3 Prozent und lagen damit deutlich über dem von Analysten erwarteten Rückgang von 1,5 Prozent, wie aus Daten von Bloomberg Intelligence hervorgeht.
Ein Index der Citigroup zeigt zudem, dass in den letzten Wochen weniger Analysten die europäischen Schätzungen herabgestuft haben. In den USA sind Strategen hinsichtlich der Marktaussichten deutlich weniger optimistisch. Eine separate Umfrage von Bloomberg ergab, dass Prognostiker erwarten, dass der S&P 500 das Jahr bei durchschnittlich 6'001 Punkten beenden wird. Am Dienstag notiert das US-Börsenbarometer vorbörslich bei 5'940 Punkten.
Eine Frage der Bewertung
Die diesjährige Rallye des Stoxx 600 um 8,3 Prozent hat allerdings Bedenken hinsichtlich der Bewertungen geweckt. Der Benchmark wird laut Bloomberg-Daten nun mit dem 15-Fachen des Gewinns gehandelt und liegt damit über dem 20-Jahres-Median von 13. Das ist aber immer noch niedriger als das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 von fast 22.
Sharon Bell, Strategin bei Goldman Sachs, erwartet angesichts der niedrigeren relativen Bewertungen und der hohen Konzentration in den USA weitere Umschichtungen der Anleger in Richtung alten Kontinent. «Wir stellen ausserdem fest, dass sich die Inflation in Europa in diesem Jahr weiter abschwächen dürfte und ein enger Zusammenhang zwischen niedrigerer Inflation und höheren Durchschnittsbewertungen besteht», schrieb sie in einer aktuellen Mitteilung.
Die Bloomberg-Umfrage ergab, dass nur sechs Unternehmen - Bank of America, Deka Bank, ING, Panmure Liberum, Société Générale und TFS Derivatives - einen Rückgang des Stoxx 600 um mehr als 2 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag erwarten.
SocGen-Stratege Roland Kaloyan sagte, er brauche stärkere Gewinntrends sowie eine weitere Reduzierung der zollbedingten Risiken, um auf eine Erholung des Stoxx 600 zu setzen. Sein Jahresendziel von 530 Punkten impliziert einen Rückgang von 3,5 Prozent. «Die Unsicherheit rund um die Zölle erschwert den Ausblick zusätzlich, da viele Unternehmen zögern, klare Prognosen abzugeben. Dies deutet darauf hin, dass die vollen Auswirkungen dieser Zölle möglicherweise noch nicht in den Gewinnprognosen berücksichtigt sind», sagte Kaloyan.
Bei der UBS erklärte Stratege Gerry Fowler, die Bewertungen seien angesichts der Prognosen eines stärkeren Wirtschaftswachstums in den nächsten zwei Jahren erwartungsgemäss gestiegen. «Für weitere Gewinne müssen wir eine Phase der Unsicherheit überstehen, die das EPS-Wachstum in diesem Jahr wahrscheinlich bei null oder leicht darunter halten wird.»
(Bloomberg/cash)