Wegen der geopolitischen Spannungen gilt die Notwendigkeit von Importen zunehmend als Problem. Daher diskutieren in Berlin Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft darüber, wie diese Abhängigkeiten reduziert werden können. Nachfolgend eine Übersicht, wie es um die digitale Souveränität Europas in bestellt ist:
Computerchips
Der Löwenanteil hochmoderner Prozessoren für Smartphones, PCs und KI-Server wird in Asien produziert. In Europa laufen vor allem Chips älterer Bauart vom Band, die für die Industrie benötigt werden. Konkurrenzfähig sind europäische Hersteller unter anderem bei sogenannten Leistungshalbleitern, die unter anderem zur Steuerung des Ladevorgangs von Elektroautos zum Einsatz kommen.
Zur Förderung der heimischen Chip-Industrie hatte die Europäische Union (EU) 2023 den Chips Act verabschiedet. Das Ziel des Gesetzes, den Weltmarktanteil der in Europa produzierten Computerchips bis 2030 auf 20 Prozent zu verdoppeln, gilt inzwischen als nicht mehr erreichbar - auch weil Grossinvestitionen wie die von Intel in Magdeburg scheiterten. Daher fordert die heimische Technologiebranche einen «Chips Act 2.0».
Chip-Packaging
Neben der eigentlichen Halbleiter-Fertigung gilt das sogenannte Packaging als kritischer Teil der Produktion. Dabei werden Chips zum Schutz vor Umwelteinflüssen in Kunststoff eingegossen, auf Funktionsfähigkeit getestet und teilweise auf Leiterplatten verlötet. Auch hier sind asiatische Firmen führend, weil sie diese Dienstleistungen besonders günstig anbieten können. Daher gilt eine Rückverlagerung dieses Produktionsschritts als unwahrscheinlich.
Lediglich beim «Advanced Packaging» erwarten Experten den Aufbau von Kapazitäten in Europa. Hier werden mehrere Chips gestapelt oder kombiniert. Dieser Prozess ist technologisch anspruchsvoller und stark automatisiert.
Künstliche Intelligenz
Bei der Entwicklung sogenannter grosser KI-Sprachmodelle geben die USA mit ChatGPT von OpenAI oder Gemini von Google sowie China mit DeepSeek den Takt vor. Als einzig verbliebene europäische Hoffnung gilt Mistral aus Frankreich. Deutsche Startups machen sich mit hochspezialisierter KI einen Namen. Für das Training und den Betrieb ihrer Programme sind diese Firmen jedoch von aussereuropäischer Technologie abhängig. Die hierfür notwendigen Hochleistungsprozessoren stammen meist von den US-Anbietern Nvidia oder AMD. Die EU-Politiker räumen mittlerweile ein, dass die EU-Regulierung des KI-Sektors die Innovation eher gebremst hat - weshalb sie nun geändert werden soll. Gleichzeitig rückt auch durch Gerichtsurteile immer mehr ins Bewusstsein, dass man gerade US-KI-Anbietern das kostenlose Training mit riesigen europäischen Datensätzen etwa bei Büchern oder Musik erlaubt hatte.
Cloud
Der Markt für Cloud-Dienstleistungen wird von den drei sogenannten Hyperscalern dominiert: Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google. Sie locken mit weltweiter Verfügbarkeit von Rechenzentren und günstigen Preisen. Kritiker werfen ihnen vor, mithilfe ihrer Marktmacht Kunden den Wechsel zur Konkurrenz zu erschweren.
Sorgen bereitet den europäischen Kunden dieser US-Konzerne auch der Datenschutz. So können ihre Daten auf Rechner ausserhalb der europäischen Jurisdiktion landen. Zudem hat die US-Regierung prinzipiell die Möglichkeit, sich Zugang zu diesen Daten zu verschaffen. Um diese Bedenken zu zerstreuen, lagern die Hyperscaler einige ihrer europäischen Rechenzentren in rechtlich eigenständige Unternehmen aus.
Europäische Cloudfirmen spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Die Branche wirbt für mehr Aufträge öffentlicher Institutionen, um Wachstum finanzieren und der US-Konkurrenz Paroli bieten zu können. Frankreichs Regierung will sogar einen klaren «Buy European»-Ansatz. So weit mag Digitalminister Karsten Wildberger zwar nicht gehen, aber er verweist auf neue Ausschreibungsregeln für Cloud-Lösungen in seinem Haus: Statt der bisherigen Preiszentrierung geht es nun auch um Fragen, wo Daten liegen, wie die Verschlüsselung aussieht, wer darüber verfügen kann und ob es einen offenen Standard gibt. Auch hier begünstigt Frankreich mit strengeren Vorgaben europäische Anbieter.
Rechenzentren
Auch bei leistungsstarken Rechenzentren für KI hinkt Europa hinterher. Daher will die EU den Bau sogenannter KI-Gigafactories fördern. Im Vergleich zu den gigantischen Investitionen etwa von US-Tech-Konzernen wirkt dies bescheiden. Aber Wildberger verweist darauf, dass der «Jupiter»-Rechner im Forschungszentrum Jülich nicht nur sehr schnell, sondern auch weltweit der energieeffizienteste Rechner ist. Zudem hat etwa die Schwarz-Gruppe gerade Investitionen von elf Milliarden Euro angekündigt. Nur: Auch sie laufen mit Nvidia-Chips.
Klassische Software
Neben KI beherrschen US-Konzerne auch die Märkte für Betriebssysteme für PCs und Smartphones. Bei Büroanwendungen gilt Microsoft Office als Standard. Es gibt zwar zahlreiche Alternativen. Sie fristen bislang jedoch ein Nischendasein. Auch hier könnten öffentliche Einrichtungen als Ankerkunden das Wachstum beschleunigen. So setzt Schleswig-Holstein verstärkt auf Open-Source-Angebote wie das Betriebssystem Linux oder die Bürosoftware LibreOffice. Bei diesen Angeboten ist der Programmcode einseh- und veränderbar. Das Digitalministerium setzt ebenfalls auf solche Lösungen und ermuntert andere Ministerien, dem Vorbild zu folgen. Aber dies sind im globalen Massstab winzige Nadelstiche gegen Microsoft & Co.
Endgeräte
Vom Smartphone bis zum Fernseher werden fast sämtliche elektronischen Geräte in Asien gefertigt. Ähnlich wie beim Chip-Packaging sind die niedrigen Kosten hierfür der ausschlaggebende Faktor. Schätzungen zufolge würde sich der Verkaufspreis eines iPhones von Apple bei einer Produktion in den USA oder Europa vervielfachen. Durch die Vielzahl an Produzenten gibt es zwar Alternativen zu einem Hersteller. Die Lieferkette könnte bei einem Krieg in Ostasien dennoch gestört werden.
(Reuters/cash)
