Nachdem die Teuerungsrate jüngst auf 8,6 Prozent in die Höhe geschnellt ist, rechnen viele Experten mit einer Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt. So haben es die Währungshüter um Fed-Chef Jerome Powell seit längerem schon signalisiert. An den Finanzmärkten wird nun jedoch auch die Möglichkeit durchgespielt, dass sie eine noch schärfere Gangart einlegen und eine Erhöhung um 0,75 Punkte (im Fachjargon 75 Basispunkte) beschliessen könnte - falls nicht schon am Mittwoch, dann spätestens bei der Sitzung Ende Juli.

Die Fed hatte im Mai den grössten Zinsschritt seit 22 Jahren unternommen und den Leitzins um einen halben Punkt (50 Basispunkte) auf die Spanne von 0,75 bis 1,0 Prozent gehievt. Powell will "klare und überzeugende" Anzeichen dafür sehen, dass der Preisauftrieb nachlässt. Andernfalls müsse die Fed ein aggressiveres Vorgehen erwägen, so der Fed-Chef.

Während die Europäische Zentralbank erst für Juli ihre Zinswende signalisiert hat, treibt die Fed den Preis des Geldes deutlich schneller nach oben. An den Terminmärkten wird für das Jahresende bereits mit einer Zinsspanne von 3,25 bis 3,5 Prozent gerechnet. Die höher als erwartet ausgefallene Inflationsrate im Mai verändere die Lage von Grund auf und zwinge die Notenbank bereits jetzt, einen Gang hochzuschalten, sagt Aneta Markowska von der US-Investmentbank Jefferies. Sie rechnet ähnlich wie die Volkswirte von Barclays damit, dass sich die US-Währungshüter unter dem Eindruck des hohen Preisauftriebs schon diese Woche zu einem Zinsschritt von 75 Basispunkten durchringen werden.

"Alles spricht für deutliche Zinsanhebungen"

Commerzbank-Experte Christoph Balz erwartet hingegen eine Erhöhung um 50 Basispunkte. Er geht davon aus, dass sich die hohe Inflation offenbar verfestigt hat. Zum einen habe sie die Dienstleistungen erreicht: "Dort ist die Inflation erfahrungsgemäss träger. Wenn sie also einmal ins Laufen kommt, ist sie hier nicht so rasch wieder einzufangen", warnt der Experte. Zum anderen stiegen nun auch die Warenpreise wieder schneller. Womöglich spiegele dies teilweise die höheren Transport- und Produktionskosten aufgrund der Verteuerung von Energie wider: "Es wird also immer deutlicher, dass die Fed zu spät die Zinsen angehoben hat. Alles spricht daher für weitere deutliche Zinsanhebungen." Auch Ökonom Dirk Chlench von der Landesbank Baden-Württemberg geht davon aus, dass es für die US-Notenbank "höchste Eisenbahn wird, ihren geldpolitischen Kurs beherzt zu straffen".

Die Inflation habe ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht, meint Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade: "Es werden noch weitere derart hohe Zahlen folgen." Die rasant steigenden Preise haben die Verbraucherstimmung auf das niedrigste Niveau seit etwa Mitte 1980 gedrückt. Die Aussichten für die kommenden Monate schätzten die Konsumenten im Juni so schlecht ein wie seit Mai 1980 nicht mehr. Die zuletzt massiv gestiegenen Benzinpreise dämpften die Kauflaune, wie die Universität Michigan zuletzt zu ihrer monatlichen Umfrage mitteilte.

Aufschluss über den weiteren Kurs erhoffen sich Fed-Beobachter von dem sogenannten "Dot Plot" - also der wieder anstehenden Leitzinsprognose der einzelnen Fed-Mitglieder. Im März hatten sie für das Jahresende im Mittel ein Niveau von 1,9 Prozent avisiert. "Mittlerweile ist ihnen aber klargeworden, dass dies kein realistischer Pfad ist", so Helaba-Volkswirt Patrick Franke. Daher sei für die aktualisierte Projektion nun von einem Wert im Mittel von 3,0 Prozent auszugehen: "Ob dies genügen würde, um das Inflationsproblem in den Griff zu bekommen, ist aber alles andere als eine ausgemachte Sache."

Ein Alternativ-Szenario, in dem die Fed den Leitzins noch deutlich stärker erhöhen müsse und die Konjunktur in eine Rezession abgleite, sei zudem "lange nicht so wahrscheinlich wie heute", so Franke. Powell hat sich mehrfach zuversichtlich geäussert, dass ihm "eine Art sanfte Landung" der Wirtschaft gelingen dürfte. Er will im Kampf gegen die ausufernde Inflation aber auch in Kauf nehmen, dass das Wachstum durch die geldpolitischen Straffungsschritte gedämpft wird. "Die Fed ist ja mittlerweile Millionen von Meilen hinter dem Geschehen", erklärte NordLB-Fachmann Bernd Krampen. "Perspektivisch ist aber eine Bremswirkung auf die Konjunktur zu beachten - und dann sicher heftig."

(Reuters)