Der Swiss Market Index (SMI) ist auf bestem Weg, sein Allzeithoch vom März bei 13’199 Punkten zu erreichen - es fehlen noch rund 2,5 Prozent. Saisonalitäten wie die sogenannte Weihnachtsrallye sprechen eigentlich für einen anhaltend positiven Jahresabschluss.

Die Kursavancen in diesem Jahr wurden dabei nicht von allen Schweizer Unternehmen getragen. Auch für die letzten drei Wochen dürfte sich dies nicht wesentlich ändern. Während Titel wie Implenia (+127 Prozent), Huber+Suhner (+105 Prozent), Holcim (+70 Prozent) oder Galderma (+62 Prozent) die Zugpferde waren, gibt es viele Nachzügler mit Aufholpotenzial - darunter auch bekannte Namen.

Sie sind aufgrund der Kursverluste - einige davon notieren auf einem 52-Wochen- oder Mehrjahrestief - attraktiv bewertet und haben Potenzial, die verpassten Kursavancen nachzuholen. Für andere Nachzügler dürfte sich die Performance-Schere gegenüber der Börsen-Zugpferde hingegen weiter öffnen. Bei welchen dieser Aktien lohnt sich also ein Einstieg?

Potenzial: Visibilität und Beteiligungsgewinne

Die bekannteste Verliererin ist Ems-Chemie. Die Aktie notiert nahe einem Fünf-Jahres-Tief und liegt seit Jahresbeginn rund 13 Prozent im Minus, während der SMI rund 12 Prozent zulegen konnte. Vom Hoch von Januar 2022 hat sich der Kurs etwa halbiert.

Grund für die tiefen Kurse ist die schwache Industriekonjunktur. Zum einen ist der Automobilmarkt (er macht zwischen 50 und 60 Prozent des Umsatzes aus) in einer so schlechten Verfassung wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Unsicherheiten sind gigantisch. Zum anderen sinken die Umsätze des zweiten Geschäftsbereichs, die Spezialchemie, deutlich. Der Umsatz von Produkten wie Klebstoffen, Fasern oder Reaktivverdünnern sank im letzten Quartal um knapp ein Viertel.

Kaufempfehlungen für die Ems-Aktien sind rar geworden: Je nach Datenanbieter wird im Durchschnitt entweder zu einem Halten oder Verkaufen geraten. Laut dem Dtenanbieter LSEG sind zwei Verkaufsempfehlungen, zwei Halten und eine Kaufempfehlung registriert. Der Konsens liegt zwar rund 17 Prozent über dem aktuellen Kursniveau, wurde aber in die vergangenen zwölf Monaten abermals gesenkt.

Zwar rechtfertige die starke Cash-Conversion, die robuste Margenentwicklung und das branchenführende Rendite-Profil eine Premiumbewertung, allerdings liege das künftige Gewinnwachstum bestenfalls auf dem Niveau der Vorjahre, so die Experten der UBS. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt mit 26x weiter über dem langjährigen Schnitt von 24,6x - trotz Kurskorrektur.

Kursentwicklung von Ems-Chemie, TX Group und Tecan.

Ems dürfte zwar den Bewertungszuschlag nicht verlieren, nachhaltige Kursavancen hängen indes von der Entwicklung der Automobilbranche ab. Die hohe Bewertung deckelt bedeutende Kursavancen. Der Chemiekonzern dürfte das geringste kurzfristige Potenzial aus dieser Auswahl aufweisen - denn wenige Experten rechnen mit einer baldigen Markterholung.

TX Group und Tecan sind zwei weitere Vertreter der Large- und Mid-Caps-Nachzügler. Die Valoren von TX Group notieren nahe dem 52-Wochen-Tief. Zur Gruppe gehören Unternehmen wie Tamedia, 20 Minuten oder eine 31-Prozentige-Beteiligung an der Swiss Marketplace Group (SMG) - das jüngste Schweizer IPO und in diesem Jahr grösste in Europa. Die neuerlichen Kursverluste verschleiern die ansonsten positive Kursentwicklung der TX-Aktien: Im Juli erzielten sie ein 25-Jahres-Hoch.

Die Kursentwicklung war in diesem Jahr vom Börsengang von SMG geprägt. Die Vorfreude auf eine hohe SMG-Bewertung trieb die TX-Aktien bis zur Publikation der Halbjahreszahlen Ende August. Enttäuschende Resultate lösten anschliessen einen ersten Kurssturz von rund 15 Prozent aus. Der nachfolgende Börsengang von SMG verlief zwar anfänglich positiv, dann fielen die SMG-Aktien aber bis 40 Prozent. Dieser Wertverlust ging nicht spurlos an den TX-Aktien vorbei. 

Die Aufholchancen der TX Group liegen indes in den Händen des SMG-Kurses. Dieser bietet laut Kurszielen ein Aufwärtspotenzial von rund 53 Prozent. Vermag SMG die Erwartungen zu erfüllen, führt dies zu Kursavancen beider Gesellschaften. 

Die Aktie von Tecan zählt in diesem Jahr zu den grossen Verlierern. Auf Jahressicht büssen sie rund 37 Prozent ein und notieren auf einem Zehn-Jahres-Tief.

Grund sind die seit zwei Jahren sinkenden Umsätze und Gewinne des Laborausrüsters. Währungsbelastungen, US-Zölle und eine bescheidene Nachfrageentwicklung für Produkte aus diversen Geschäftsbereichen haben die Visibilität in diesem Jahr weiter eingetrübt. Laut Experten dürften erste Lichtblicke erst nächstes Jahr sichtbar werden. 

Bislang agieren Analystinnen und Analysten deshalb vorsichtig. Im Konsens werden die Valoren mit einem Halten bewertet, wobei das Aufwärtspotenzial bei 40 Prozent prognostiziert wird. Das vorwärtsgerichtete KGV von 22,9x liegt unter dem langjährigen Durchschnitt von 24,7x. Die Bewertung ist so tief wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. 

Für die Expertin bei der Bank Vontobel sind die Herausforderungen jedoch nur von kurzfristiger Natur. Das Geschäftsmodell, basierend auf High-End-Produkten und einer zunehmenden Automatisierung, dürfte für langfristiges Wachstum sorgen. Tecan dürfte deshalb eine der besten Aufholchancen bieten. Neben fundamentalen Treibern könnte sich auch die verbesserte operative Leistung auf die Zahlen überdurchschnittlich auswirken. Die niedrige Bewertung ist dabei Zündholz.

Potenzial: Stimmungswechsel

Lem und Feintool: Beide Aktien sind ein einziges Trauerspiel. Lem notieren auf einem 15-Jahres-Tief, Feintool auf dem Allzeittief. 

Bei solch ausverkauften Titeln spielt die Stimmung für den kurzfristigen Kursverlauf meist eine grössere Rolle als eine Erholung der Fundamentaldaten. Denn in den meisten Fällen benötigt es nicht viel, um positiv zu überraschen.

Dies sehen auch die Experten der Zürcher Kantonalbank so: «Da wir keine weiteren Hiobsbotschaften erwarten, könnte der kürzliche Abverkauf den Beginn einer Bodenbildung darstellen», sagen sie zum Lem-Kursverlauf und empfehlen zum «Übergewichten». Zwar vergeben sie im Markt die einzige Kaufempfehlung, das durchschnittliche Kursziel für die nächsten zwölf Monate sehen Expertinnen und Experten jedoch bei 585 Franken - ein Gewinnpotenzial von rund 90 Prozent.

Kursentwicklung von Lem und Feintool.

Dieselbe Ausgangslage trifft auf Feintool zu. Neben der Branchenschwäche im Automobilmarkt - rund 84 Prozent des Umsatzes - befindet sich das Unternehmen in einem Restrukturierungsprozess. Die Feintool-Valoren werden mit zwei Halten und einer Verkaufsempfehlung bewertet.

Laut Expertin von ODDO BHF werde der Jahresumsatz von Feintool in diesem Jahr aufgrund der Stornierung eines Grossprojekts von einem zweistelligen Rückgang geprägt sein. Dies dürfte bei der Bekanntgabe die miese Anlegerstimmung noch weiter verschlechtert haben.

Könnte eine Nachricht erste Lichtblicke für den Industriekonzern offenbaren, wird es bei der Feintool-Aktie ganz schnell gehen. Denn operativ machen die Berner ihre Hausaufgaben: Die Restrukturierung läuft nach Plan - trotz Umsatzeinbussen konnten die operativen Margen von 7,2 auf 7,4 Prozent erhöht werden. Treffen vorteilhaftere Rahmenbedingungen (oder lediglich die Aussicht darauf) auf ein verbessertes operatives Leverage, dürfte eine erste massive Kurserholung eintreten.

Lem und Feintool bieten deshalb die grössten kurzfristigen Chancen. Denn bereits kleinste Anzeichen einer Verbesserung dürften bei solch niedrigen Erwartungen überraschen und eine grosse Kursreaktion auslösen. Längerfristig hängen sie von besseren fundamentalen Faktoren ab.

Auch die Aktionärinnen und Aktionäre von lastminute.com haben wenig Grund zur Freude. Die Valoren gaben in diesem Jahr rund 20 Prozent nach und notieren nahe dem Sieben-Jahres-Tief. Das KGV liegt wegen der Kursverluste auf einem Allzeittief bei 6,5x. Der Langzeitschnitt seit dem Börsengang vor elf Jahren liegt bei rund 11x.

Die Aussichten sind indes sehr positiv. In den kommenden zwei Jahren dürfte der Umsatz rund 19 Prozent steigen, der Gewinn pro Aktie um fast die Hälfte. Bis auf eine Halten-Empfehlung raten Expertinnen und Experten ausschliesslich zum Kauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt fast 70 Prozent höher.

Die Privatbank Hauck Aufhäuser lobt die moderne Plattform und den starken Fokus auf dynamische Pakete des Online-Reiseanbieters. Auch veränderte Reiseströme dürfte das Unternehmen wenig beeinflussen, mehr noch könnte es sogar von einer Verlagerung der Nachfrage von US zu paneuropäischen Reisen profitieren. Insgesamt rechtfertigen die wenigsten Punkte bei lastminute.com die Höhe des Bewertungsabschlags. Sie verfügen damit ebenfalls über grosses Aufholpotenzial.

Kursentwicklung von lastminute.com.

Luca_Niederkofler
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