Die Grossbank SocGén rechnet mit einer Abwertung des Franken gegenüber dem Euro. Wie lautet Ihre Prognose zur Entwicklung der Schweizer Währung?

Burkhard Varnholt: Mario Draghi hat Christine Lagarde die Schlüssel zu einem gut bestellten Haus übergeben. Die Zweifel am Zusammenhalt der Eurozone sind heute, neun Jahre nach der EWU-Krise, gewichen, die Zustimmung zum Euro ist in den Mitgliesländern höher denn je. Die Kaufkraft eines Franken ist in der Eurozone deutlich höher als in der Schweiz – was langfristig für eine moderate Aufwertung des Euro spricht. Gleichwohl werden Wechselkurse primär durch Kapitalflüsse und nur langsam durch Kaufkraft getrieben. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2020 sehen wir eine Euro-Aufwertung, welcher bis Jahresende auf 1.15 im Vergleich zum Franken steigen könnte. 

Viele Aktien und Schuldtitel von Schwellenländern bieten attraktive Renditen. Welche Märkte sind aus Ihrer Sicht interessant – und was gilt es bei Investitionen zu beachten?

Bei den US-Dollar-Anleihen von Schwellenländern bieten Staatsanleihen von Russland – einem der am wenigsten verschuldeten Staaten der Welt – und von der Türkei attraktive Risikoprämien. Bei den Anleihen in Lokalwährung gefallen uns die Staatsanleihen von Mexiko, Indonesien, der Türkei und Südafrika. Doch alle diese Länder gewärtigen einen grossen Reformbedarf, so dass diese Anleihen nur in gut diversifizierten Portfolios sinnvoll sind und sich weniger als Einzelanlagen eignen.

Vor bald fünf Jahren hat die Schweizerische Nationalbank den Leitzins unter Null gesenkt. Welchen Spielraum bleibt der SNB in der Geldpolitik – halten Sie eine weitere Senkung des Leitzinses für möglich?

Für die SNB hat ein stabiler Wechselkurs des Frankens zu unseren wichtigsten Handelswährungen, insbesondere dem Euro, vorrangige Bedeutung. Schon deshalb wird die Nationalbank auch nächstes Jahr kaum Grund haben, die Leitzinsen zu erhöhen. Eine weitere Senkung der Leitzinsen wäre im Falle eines unerwarteten Finanzschocks als «Ultima Ratio» gewiss möglich. In normalen Zeiten wird die SNB aber eine weitere Verschärfung der Negativzinsen auf jeden Fall zu vermeiden trachten.

Gold, Immobilien oder Aktien: Mit welcher dieser drei Investitionsmöglichkeiten lässt sich im kommenden Jahr die attraktivste Rendite erzielen?

Wenn wir zwischen den drei Anlagen uns für eine entscheiden müssten, dann wählen wir die Aktien.

Und was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte sonst noch?

Anlegerinnen und Anleger beschäftigt der Jahresabschluss 2019 und die Frage, ob die exzellente Jahresperformance hält, oder ob es allenfalls nochmals, wie im Dezember 2018, Turbulenzen geben könnte. Sodann fragen sich Anlegerinnen und Anleger, ob die gute Performance 2019 die Aussichten für 2020 schmälert oder ob 2020 erneut ein gutes Jahr werden kann. In diesem Kontext beschäftigt sie die Frage, wohin nächstes Jahr die grössten Kapitalströme fliessen werden und welche Anlagen unterschätztes Überberraschungspotenzial beinhalten. Zudem fragen sich die Anlegerinnen und Anleger, wie lange die Negativzinsen noch negativ bleiben, was Brexit, der Handelskrieg oder die US-Wahlen im kommenden Jahr für die Märkte bedeuten werden.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Auf sechs bis zwölf Monate dürfte die Schweizer Börse erfreuliche Renditen abwerfen. Dividenden, Kapitalgewinne und ein starker Franken werden dazu beitragen. Kurzfristig könnten gleichwohl Gewinnmitnahmen oder überhöhte Erwartungen zu Korrekturen führen, welche aber vorübergehender Natur sind.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?

Wahrscheinlich bei über 10'300 Punkten.

Dieses Interview erschien zuerst bei HZ unter dem Titel «Erst in der zweiten Hälfte 2020 sehen wir eine Euro-Aufwertung».