Für Goldman Sachs ist das ein Kulturbruch. Jahrzehntelang pflegte die Nobeladresse enge Beziehungen zu ausgeschiedenen Bankern und baute so ein mächtiges Ehemaligen-Netzwerk auf. In ihren Folgekarrieren ziehen die Ex-Goldmänner die Bank oft für Beratungsaufträge, Deals und andere Geschäfte heran - zum lebenslangen, beiderseitigen Nutzen.

Die neue Herangehensweise könnte dieses erprobte Erfolgsrezept nun aufs Spiel setzen. 

Zu den Fällen, die den Geisteswandel illustrieren, gehört dem Vernehmen nach der Abgang von Omer Ismail, 42, der als aufstrebender Star der Bank galt. Als er mit seinem Kollegen David Stark Goldman verliess, um ein von Walmart initiiertes Bank-Startup zu leiten, zog dies den Zorn von Bankchef David Solomon und Vergeltungsmassnahman nach sich.

Dazu gehört offenbar die "nukleare Option", die Ansprüche der Banker auf Aktienboni zu kassieren. Dieser drastische Schritt kommt normalerweise nur bei grobem Fehlverhalten zur Anwendung, nicht bei Führungskräften, die einfach nur einen neuen Job annehmen.

Langjährigen loyalen Mitarbeitern wie den ehemaligen Spartenchefs Gregg Lemkau und Eric Lane wurden nicht ausgezahlte Vergütungen gestrichen, nachdem diese zu Investmentfirmen wechselten, die man eher als Kunden denn als direkte Wettbewerber betrachten könnte. 

Wall-Street-Chefs genervt

Wie andere Wall-Street-Chefs auch ist Goldman-CEO Solomon genervt von der eskalierenden Fluktuation, die die Banken dazu zwingt, die Anreize für ihre Spitzenkräfte auf ein Niveau zu heben, das seit der Finanzkrise nicht mehr erreicht wurde. 

"Aktienzuteilungen werden in dem vom jeweiligen Empfänger unterzeichneten Vertrag geregelt", betonte Goldman-Sprecher Patrick Scanlan. "In jedem der von Bloomberg erwähnten Fälle gab es ausdrückliche Bedingungen, die eingehalten wurden." Vertreter von Lemkau, Lane, Ismail und Stark lehnten Stellungnahmen ab.

Die Arbeitsverträge an der Wall Street geben den Banken tatsächlich weitreichende Befugnisse. Allerdings machen sie von diesen Rechten in der Praxis nur selten in vollem Umfang Gebrauch - es sei denn, jemand wechselt zu einem direkten Konkurrenten.

Orcel als Beispiel aus Europa

Ein notorisches Beispiel dafür spielte sich nicht in New York, sondern in Europa ab: der Wechsel des heutigen UniCredit-Chefs Andrea Orcel von der UBS auf den Chefsessel der spanischen Banco Santander. Der Wechsel beruhte zum Teil auf der Annahme, dass die Schweizer die spanischen Retailbank nicht als direkten Konkurrenten betrachten würde und Santander daher keine verfallenen Prämien ersetzen müsste. UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber machte aber klar: Wer geht, der verliert.

Bei Ismail und Stark ging Goldman noch einen Schritt weiter: Im Januar sperrte Goldman nach Angaben darüber informierter Personen die Auszahlung von Aktienprämien, die unverfallbar waren und vor fünf Jahren versteuert wurden. Nachdem die üblichen Beschränkungen gerade ausgelaufen waren, wäre die Papiere eigentlich zum Verkauf frei gewesen.

Bei Lemkau und Lane hätte auch ein als "60er-Regel" bekanntes Prinzip angewendet werden können, das langgedienten Mitarbeitern zugute kommen soll. Doch wurden ihnen millionenschwere Aktienzuteilungen gestrichen, die noch nicht unverfallbar waren - eine Abfuhr, die einigen führende Goldmännern sauer aufstiess. 

Viele Führungskräfte an der Wall Street müssen versuchen, die Abwanderung von Mitarbeitern einzudämmen und gleichzeitig die Vergütungskosten im Griff zu behalten. Könnten sie Praktiken kopieren, die bei Vorreiter Goldman Gestalt annehmen? Zumindest die Bank of America verfolgte kurzzeitig ebenfalls den Plan, die 60er-Regel zu streichen. Doch ein Aufschrei hochrangiger Dealmakern und Händler zwang die Bank, den Plan schnell wieder fallen zu lassen.

(Bloomberg)