cash.ch: Die US-Technologiewerte gerieten im November kurzfristig unter Druck. Ist das ein Anzeichen einer länger anhaltenden Schwäche?

Johan van der Biest: Langfristig haben wir einen Sektor, der in Bezug auf das Gewinnwachstum und die Bruttomargen eine Outperformance erzielt, und es gibt wirklich einen grossen Unterschied zwischen dem Markt als solchem und dem Technologiesektor. Ich stimme zu, es gibt ein gewisses Klumpenrisiko, selbst bei diesen Kennzahlen. Wenn ein Unternehmen wie Nvidia eine operative Marge von 62 Prozent in ihrem letzten Quartalsbericht veröffentlichen kann, dann wirkt sich das bei ihrem Gewicht in der Branche positiv auf den gesamten Sektor aus. Aber selbst bei den Dienstleistungsunternehmen sieht man, dass die Margen auf der Softwareseite immer noch recht attraktiv sind. Die Margen und das Gewinnwachstum im Technologiebereich werden weiterhin beständig besser sein als im Rest des Marktes.

Als Anleger zahle ich einen hohen Aufschlag für diese Titel. Ist der gerechtfertigt?

Dieser Aufschlag ist bei weitem nicht so hoch wie der im Jahr 2000. Im Vergleich zu damals gibt es einige Unterschiede. Einerseits war die Gesundheit der Bilanzen bei einzelnen Unternehmen schlechter. Andererseits erzielen die Techfirmen derzeit hohe freie Cashflows. Das war im Jahr 2000 nicht der Fall. Zudem sahen wir 2000 massive Ausgaben für Netzwerkausrüstung in der Dotcom-Ära. Nach zwei, drei Jahren zeigte sich dann eine Kapazitätsauslastung unter den Erwartungen - vor allem im Vergleich zu den getätigten Investitionen. Das ist heute anders. Es hat bei vielen Unternehmen wie Google oder Microsoft, um nur einige zu nennen, die nicht genügend Kapazität verfügen. 

Die Finanzierung zeigen zunehmend ähnliche Übertreibungen wie im Jahr 2000?

Die Hyperscaler haben bisher Investitionen rein aus dem operativen Cashflow getätigt. Das ist definitiv ein grosser Unterschied zum Jahr 2000. Allerdings fangen diese Hyperscaler teils an, Schulden aufzunehmen. Das macht mir Sorgen, auch wenn es bis jetzt kein Problem ist. Diese Firmen sind nicht hoch verschuldet und haben einen positiven Cashflow. Eher besorgniserregend ist, wie rasant diese Schulden steigen. Um die grossen Player mache ich mir keine Sorgen, aber vielmehr um die kleinen und kleineren Unternehmen. Die Sätze für Kreditausfallversicherungen (CDS), zum Beispiel bei Oracle, blähen sich regelrecht auf.

Vielen Investoren sind auch die zirkulären Investitionen ein Dorn im Auge.

Das ist ebenfalls bedenklich. Nvidia zum Beispiel garantiert die Schuldenemissionen von CoreWeave. Und das ist genau das, was auch im Jahr 2000 passiert ist. Damals garantierte Cisco Schuldenemissionen von ICG Communications. Es fängt an, nach 2000 zu riechen. Die grösste Herausforderung in Bezug auf KI ist der Mangel an verfügbarer Elektrizität, denn Halbleiter hat es genügend. Wenn es keinen Strom gibt, dann sind all diese Investitionen wertlos. 

Kann es unter diesen Vorzeichen zu einem Crash bei den KI-Werten kommen?

Das ist immer sehr schwer zu sagen und vorherzusagen. Ich bin zu alt, um zu sagen: 'Nein, das wird nicht passieren'. Ich habe schon einige Male vorhergesehen. Aber in diesem Stadium, denke ich, dass die Situation recht gesund bleibt, weil die Endnachfrage weiter anzieht. Die Einführung von KI fängt gerade erst an und die KI-Lizenzen sind ziemlich billig. Aber eigentlich zählt nur die Nutzung, denn dort wollen die Firmen viel Geld verdienen. OpenAI zum Beispiel hat Verpflichtungen in der Höhe von 1,5 Billionen Dollar und macht etwa 15 Milliarden Umsatz. Die Frage ist deshalb, ob OpenAI in der Lage sein wird, in den nächsten zwei, drei Jahren den Break-even zu erreichen. Wenn ich mir die Preise ansehe, die sie diesen KI-Unternehmen berechnen, denke ich, dass sie es schaffen können. Gesichert ist das aber noch nicht.

Am Anfang profitieren nur die Infrastrukturaktien. Gewinnt die KI-Rally an Breite?

Die Auftragsbücher bei den Infrastrukturanbietern sind gefüllt. Dieser Bereich ist sehr breit definiert von Halbleiterunternehmen über Rechenzentren, Rechenzentrumskühlung, erneuerbare Energien oder Versorger. Das ist unser Fokus, weil wir da greifbare Umsatzbeweise sehen.

Softwarefirmen wie Adobe oder Salesforce investieren auch viel Geld in KI.

Diese Softwareunternehmen müssen erst noch ein Modell in den Griff bekommen, das ihre KI-Anwendungen monetarisiert. Das ist eine Herausforderung, weil jeder mit ChatGPT 5 selbst ein Produkt entwickeln kann, das mit Salesforce vergleichbar ist. Es ist natürlich nicht auf dem gleichen Niveau der Raffinesse, weil es weniger Wahlmöglichkeiten hat. Manchmal ist gut genug eben gut genug. Das gilt auch für Adobe, welche vor ein paar Jahren Firefly entwickelt haben. Wenn man sieht, was derzeit kostenlos verfügbar ist, kann man einige Fragezeichen hinter die KI-Strategie von einigen Gesellschaften setzen. Und das ist aktuell auch das, was man sieht: Einige Unternehmen entwickeln sich an der Börse unterdurchschnittlich, weil es diese Disruption durch KI gibt.

Droht den KI-Infrastrukturaktien nicht das gleiche Schicksal?

Bei den Infrastrukturaktien haben wir keine Unterperformance. Wir wissen alle, dass Nvidia dort wahrscheinlich so etwas wie die Ausnahme ist. Da ist klar, dass das Gewinnwachstum wirklich im Einklang mit der Aktienkursentwicklung steht. Aber bei diesen High-Beta-Titeln, manchmal im Netzwerkbereich, gibt es auch viele Erwartungen. Die Bewertung fangen an, ein wenig überzogen zu sein. Das ist auch der Grund, warum wir, wenn wir in die KI-Infrastruktur investieren, versuchen, so weit wie möglich zu diversifizieren. Wir sind immer noch übergewichtet in KI, wir sind immer positiv gestimmt.

Bei den Dienstleistern performen IBM sehr gut, Accenture dagegen weniger. 

Auch die IT-Dienstleistungsunternehmen wie Accenture oder IBM werden 'disruptiert', aber wohl eher erst in einigen Jahren. Es gibt viele Unternehmen mit Datensätzen, die nicht in der Lage sind, einen Anwendungsfall zu definieren. Da können IT-Dienstleister eine prominente Rolle spielen. Sie helfen, Anwendungsfälle zu definieren, die Datenintegration zu entwickeln. Diese Unternehmen sollten deshalb nicht vollständig durch KI disruptiert werden. Das bestätigt auch ein Blick in die Auftragsbücher von IBM und Accenture. In diesem Bereich fängt der Umsatz an zu wachsen, das Wachstum ist exponentiell. Ich bin also etwas positiver gegenüber den Dienstleistungsnamen im Allgemeinen eingestellt. Das ist auch das, was wir in unseren Fonds spielen, selbst in unseren Kern-Aktienfonds setzen wir auch auf IT-Dienstleister. In diesem Bereich sind zumindest Erwartung an die Bewertung, das Umsatzwachstum und die Margen vernünftig.

Johan Van der Biest leitet den Bereich Thematic Global Equity bei Candriam. Zuvor war er Co-Leiter dieses Bereichs und in 2023 stellvertretender Leiter. Er war massgeblich an der Einführung aller neuen thematischen Anlagestrategien beim Vermögensverwalter beteiligt. In seiner Funktion als Lead-Portfoliomanager für verschiedene Strategien betreut er seit 1992 Technologieportfolios bei Candriam und deren Vorgängerunternehmen, darunter Robotik, Digital und andere innovative Technologien.

Das Interview fand im Rahmen einer Medienreise statt, die von Candriam organisiert wurde

Thomas Daniel Marti
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