cash.ch: Herr Brenner, dieses Jahr ist der Silberpreis von unter 29 auf über 50 US-Dollar je Feinunze gestiegen - ein Zuwachs von mehr als 70 Prozent. Haben auch Schweizerinnen und Schweizer vermehrt Silber gekauft?

Christian Brenner: Speziell im September und Oktober haben die Leute drastisch mehr Silber gekauft. Im Vergleich zu einem durchschnittlichen Monat zogen die Käufe auf das Vierfache an. Auslöser waren die Bilder von der Versammlung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, als die Chinesen eine grosse Militärparade veranstalteten.

Besitzen die Schweizerinnen und Schweizer nun mehr Schmuck oder mehr Barren beziehungsweise Münzen? Oder setzen sie verstärkt auf ETF?

Schweizerinnen und Schweizer besitzen momentan im Schnitt 377 Gramm Silber, wie wir aus unserer jüngsten Studie wissen. Ob sie nun mehr Münzen, mehr Barren oder mehr Schmuck gekauft haben, haben wir nicht ermittelt. Überraschend ist aber, dass die Bevölkerung dreimal mehr Silber als Gold besitzt.

Worauf aber konzentriert sich die Nachfrage der Leute Ihrer Erfahrung nach?

In der Schweiz sehen wir eine klaren Schwerpunkt zum Barren, und zwar zum Ein-Kilogramm-Silberbarren. Auf Platz zwei sind klassische Silberanlagemünzen wie die «Wiener Philharmoniker» aus Österreich oder das «Maple Leaf» aus Kanada. In Deutschland und Österreich ist es umgekehrt. Dort bevorzugen die Leute Münzen gegenüber Barren.

Welche Form von Silber ist - losgelöst von persönlichen Präferenzen - nachweislich am sinnvollsten?

Wer auf Edelmetalle setzt, muss in das physische Produkt investieren. Nur dieses bietet die Sicherheit, die man als Gold- und Silberanleger klassischerweise sucht. Vermögensverwalter bieten wohl auch ETF-Lösungen an, die sinnvoll sein können, aber einen Nachteil haben: Man sieht das physische Gold oder Silber nie, und die Auslieferung ist im Falle eines Falles nicht garantiert. Herkömmliche Gold-ETF kennen eine Auslieferungsverpflichtung erst ab einem 12,5-Kilogramm-Barren, der mehr als eine Million Dollar wert ist. Diese Summe muss man überhaupt erst einmal investieren können.

Raten Sie von solchen ETF ab?

Nicht unbedingt. Um ein physisches Investment kommt man meiner Überzeugung nach nicht herum. Diversifikation ist aber auch im Edelmetallbereich wichtig. Deshalb können ETF durchaus sinnvoll sein. Das verhält sich gleich wie bei Aktien: Man streut die Anlage und kauft nicht nur Finanzaktien oder Pharmawerte oder Titel von Autoherstellern.

Gibt es eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Wert von Gold und Silber und dem Wert, den die Menschen diesen Edelmetallen beimessen?

Silber wird wertmässig überschätzt, wie unsere aktuelle Befragung ergab. Der Grund ist: Eine Silberkette oder eine Silberschale enthält nur einen relativ geringen Anteil Silber, vielleicht 20 Prozent. Viel Wert steckt in der Gestaltung, in den hineinverarbeiteten Edelsteinen, im Marketing und dergleichen. Der Besitzer geht nun in seiner Schätzung des reinen Silberwertes vom Gesamtkaufpreis aus. Deshalb kommt er auf einen höheren Edelmetallwert, als es tatsächlich gerechtfertigt wäre.

Und wie verhält es sich beim Gold?

Gold wird oft unterschätzt. Im Unterschied zu Händlern verfolgt der Durchschnittsbürger den Goldpreis bloss sporadisch und nicht sehr eng. Die Überraschung ist dann gross, wenn das gelbe Edelmetall über lange Zeit stark gestiegen ist. Deshalb sind Kunden, die vor 20 oder 25 Jahren hochwertigen Goldschmuck erworben haben, erstaunt, wie viel sie heute dafür ausbezahlt bekommen. Kunden, die erst vor einem oder zwei Jahren solchen Schmuck gekauft haben, sind dagegen nicht selten enttäuscht - denn selbst in edelsten Ringen ist nur ein gewisser Anteil reines Gold.

Gerade in der Schweiz ist das Goldvreneli als Geschenk, doch auch unter Sammlern und Anlegern beliebt. Gibt es eine Art Pendant in Silber, allenfalls eine spezielle Fünffrankenmünze?

Nein, in der Schweiz gibt es im Anlagebereich nichts Vergleichbares zum Goldvreneli. Der Charme dieser Münze kommt ja gerade daher: Von der langen Tradition des Vrenelis, ihrer Herkunft und Nachfolge der ehemaligen «Helvetia»-Münze. Das Goldvreneli war zudem eine offizielle Umlaufmünze, hat mit 20 Franken einen relativ hohen Nominalwert, eine Geschichte und wird nicht mehr hergestellt, ausser natürlich als ebenfalls beliebte Sondermünze.

Gold ist seit Anfang Jahr um 60 Prozent gestiegen, also weniger stark als Silber. Was treibt den Preis für das weisse Edelmetall?

Silber ist ein Hybridmetall. Es ist ein Edelmetall und ein Rohstoff. Und mittlerweile wird Silber sogar als strategischer Rohstoff eingestuft. Branchen wie die Elektroindustrie, die Photovoltaikindustrie, aber auch in der Rüstung und Rechenzentren für Künstliche Intelligenz sind auf Silber angewiesen. Da diese Sektoren rasant wachsen, ist auch die Nachfrage nach dem weissen Edelmetall hoch, was den Preis antreibt.

Silber ist tatsächlich nicht ersetzbar?

Man hat Kupfer als Ersatz für Silber getestet, zum Beispiel in Leitungen von Elektroautos. Doch Silber war in puncto Leitfähigkeit und Power dem Kupfer überlegen. Es ist für die industrielle Nutzung nicht ersetzbar. Allerdings kommt man auch nicht immer an Gold vorbei - jeder Herzschrittmacher enthält eine gewisse Menge davon.

Bislang kaufen Zentralbanken Gold. Für wie wahrscheinlich halten Sie das Szenario, dass die Notenbanken auch Silberreserven aufbauen?

Es gibt bereits einen Präzedenzfall. Die chinesische Zentralbank hat Silberreserven aufgebaut, weil sie darin einen kritischen, strategischen Rohstoff erkannt hat. Ich schliesse nicht aus, dass andere Zentralbanken dem Beispiel folgen werden. Silber wird stärker ins Bewusstsein rücken, nachdem es lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurde. Das kann den Silberpreis nochmals deutlich beflügeln.

Welche anderen institutionellen Investoren setzen je länger, je mehr auf Silber?

Einst galt Silber als das «Gold des kleinen Mannes», wurde oft geradezu kleingeredet. Mit den Preisavancen ist das Metall nun auch unter Vermögensverwaltern, Stiftungen und vermögenden Privatanlegern salonfähig geworden - weil es eben eine starke und stabile industrielle Nachfrage gibt. Das ist der markante Unterschied zu den 1980er-Jahren, als die Brüder Hunt den Silberpreis durch Spekulationen auf Rekordstände getrieben und so eine Blase provoziert hatten, die schliesslich platzte.

Wenn immer mehr institutionelle Anleger in Silber investieren: Droht daher nicht, dass Kleinanleger verdrängt oder abgeschreckt werden?

In den vergangenen 15 Jahren habe ich festgestellt, dass grosse institutionelle Anleger bei Gold nicht auf kurzfristige Schwankungen oder günstige Zeitpunkte achten, sondern investieren, weil sie von der Anlageklasse überzeugt sind. Für Kleinanleger ergab sich deswegen kein Engpass. Sie kaufen nach wie vor Gold, obwohl der Unzenpreis gerade auf über 4200 Dollar beziehungsweise 3350 Franken gestiegen ist. Beim Silber wird es sich nicht anders verhalten.

2011 war eine Feinunze Silber nahezu 50 US-Dollar wert. Dann setzte ein jäher Preisverfall auf unter 15 US-Dollar ein. Was kann in naher Zukunft einen ähnlichen Kurssturz auslösen?

Sollte Silber in der Photovoltaik- oder der Elektroindustrie plötzlich nicht mehr eingesetzt werden, dürfte der Preis rasant fallen. Danach sieht es aber nicht aus, im Gegenteil: Diese Wirtschaftszweige wachsen ja.

Wo sehen Sie den Silberpreis mittelfristig?

Der Silberpreis dürfte mittel- bis langfristig auf 75 bis 80 US-Doller je Feinunze steigen, gegeben die anhaltende Industrienachfrage, die fallenden Zinsen und die geopolitischen Unsicherheiten. Allerdings ist der Markt für Silber kleiner als der Markt für Gold und deshalb volatiler. Anleger brauchen deshalb stärkere Nerven.

Und wie wird sich der Goldpreis entwickeln?

Hohe Staatsverschuldung, Unruhen und Kriege, Handelskonflikte, fallende Zinsen, massive Zentralbankkäufe - Gold kann gut auf 5000 Dollar steigen. Experten der Vermögensverwaltungsgesellschaft Incrementum sehen in einem inflationären Umfeld sogar 8900 Dollar je Goldunze.

Christian Brenner ist Geschäftsführer von Philoro Schweiz, einem inhabergeführten Familienunternehmen der Philoro Holding aus Wien. Zuvor hatte er zwischen 2011 und 2019 als Geschäftsführer der Philoro Edelmetalle GmbH in Deutschland fungiert. Brenner studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften und ist Gastdozent an der Universität St. Gallen (HSG).

Am Dienstag stellten er und HSG-Professor Sven Reinecke die Edelmetallstudie 2025 vor. Es handelt sich um eine repräsentative Befragung von Schweizerinnen und Schweizer zu ihrer Einstellung gegenüber Edelmetallen wie Gold und Silber.

Reto Zanettin
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