Die EZB eilt im Kampf gegen die Inflation von Zinserhöhung zu Zinserhöhung und gelangt Volkswirten zufolge nun langsam an das Ende ihres Anhebungskurses. Für die letzte Zinssitzung vor der Sommerpause am kommenden Donnerstag in Frankfurt wird allgemein erwartet, dass die Euro-Wächter um Notenbankchefin Christine Lagarde die Schlüsselsätze wie schon im Juni und im Mai um einen viertel Prozentpunkt anheben werden. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, würde damit auf 3,75 Prozent steigen. Es wäre bereits die neunte Erhöhung in Folge seit Beginn der Zinserhöhungsserie im Sommer 2022.

Die EZB habe sich bereits auf der letzten Sitzung auf eine Zinsanhebung im Juli festgelegt, meint Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa der Fondsgesellschaft DWS. "Daher wäre es eine wirkliche Überraschung, wenn sie am kommenden Donnerstag die Leitzinsen nicht um 25 Basispunkte anheben würde," merkt sie an. Ähnlich sehen das die Volkswirte der französischen Großbank BNP Paribas. "Eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte auf der EZB-Ratssitzung am 27. Juli sieht wie eine beschlossene Sache aus", schreiben sie in ihrer EZB-Vorschau. In der jüngsten Zins-Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters gingen alle 75 Volkswirte, die eine entsprechende Frage beantworteten, von einem solchen Schritt aus.

Die EZB habe noch eine Wegstrecke zu gehen, hatte Lagarde zuletzt angemerkt. Die Inflation im Währungsraum sei nach wie vor zu hoch und werde dies voraussichtlich zu lange bleiben. Die EZB-Volkswirte hatten in ihren jüngsten Prognosen für 2025 immer noch eine Rate von 2,2 Prozent vorhergesagt. Damit würde die Inflation auch in zwei Jahren noch oberhalb des Stabilitätsziels von 2,0 Prozent Inflation liegen, das die EZB mittelfristig anstrebt. Im Juni lag die Inflation zudem mit 5,5 Prozent nach 6,1 Prozent im Mai immer noch klar darüber. Sorgen bereitet der EZB auch, dass die Kernrate, in der unter anderem die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise außen vor bleiben, im Juni auf 5,5 Prozent gestiegen ist von 5,3 Prozent im Mai. Diese gilt als wichtige Messgröße für zugrundeliegende Inflationstrends.

Für die darauffolgende Zinssitzung am 14. September hat die EZB bislang keine klaren Hinweise gegeben. "Die eigentliche Debatte dreht sich darum, ob die EZB im September die Zinsen erneut erhöhen wird", meint Deutsche-Bank-Volkswirt Mark Wall. Zu den Gründen für die Zurückhaltung der EZB dürften Volkswirten zufolge die zunehmenden Konjunktursorgen zählen. Dazu kommt, dass die bisherigen Anhebungen nun langsam ihre Wirkung entfalten und die Wirtschaft mehr und mehr bremsen. Wie sich EZB-Präsidentin Lagarde nach dem Zinsbeschluss zum weiteren Vorgehen äußert, wird daher mit Spannung erwartet.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer rechnet damit, dass die EZB im September ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum im Euro-Raum nach unten revidieren wird. "Vor diesem Hintergrund wird die EZB mit dem wahrscheinlichen Schritt in der nächsten Woche voraussichtlich ihre Zinserhöhungen erst einmal beenden, wobei der Markt für September eher noch eine weitere Anhebung einpreist," meint Krämer. Dabei verweist er auch auf den jüngsten Abwärtstrend bei der Inflation. "In den kommenden Monaten wird sie voraussichtlich weiter fallen."

Aus Sicht von Deutsche-Bank-Volkswirt Wall werden die bis zur September-Sitzung veröffentlichten Wirtschaftsdaten den Ausschlag geben, ob der Einlagensatz auf dann 4,00 angehoben wird. "Wir können uns leicht eine Anhebung im September vorstellen," erläutert er. Schwächere Daten könnten aber eine Zinserhöhung verhindern und eine gewisse Schwäche sei auch zu erwarten. "Kurzum, eine Anhebung auf 4,00 Prozent im September ist noch nicht unvermeidlich."

DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter hält es für wenig wahrscheinlich, dass Lagarde am Donnerstag für September einen weiteren Erhöhungsschritt in Aussicht stellt. "Vielmehr dürfte sie hervorheben, dass der geldpolitische Kurs in Abhängigkeit der Datenlage adjustiert wird," führt er aus. Die Währungshüter würden sich voraussichtlich alle Optionen offenhalten. "Um aufkeimenden Zinssenkungsfantasien zu begegnen, wird Lagarde zugleich hervorheben, dass man die Leitzinsen für geraume Zeit auf einem restriktiven Niveau halten wird, um sicherzustellen, dass die Inflation zeitnah wieder im Einklang mit dem Notenbankziel steht", sagt er. Bislang wird am Geldmarkt mit ersten Zinssenkungen frühestens ab dem Ende des ersten Quartals 2024 gerechnet. 

(Reuters)